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Kampf um ein Stück Heimat und Natur

Der Bauer Adolf Besmer: "Es ging um unsere Existenz und um eine grossartige Moorlandschaft." swissinfo.ch

Es war eine politische Sensation, als das Schweizer Stimmvolk vor genau 20 Jahren die Rothenthurm-Initiative zum Schutz der Moore annahm.

Die Initiative war anfangs der 1970er-Jahre ausgelöst worden, als das Militär in der Moorlandschaft von Rothenthurm einen Waffenplatz plante. Der Widerstand der lokalen Bevölkerung brachte das Projekt zu Fall.

Seinen Anfang nahm das Volksbegehren 1972. Damals wurden die Pläne des Eidgenössischen Militärdepartements (EMD) bekannt.

In der Folge entbrannte ein heftiger Streit zwischen Armee und Bürgern, der in der jüngeren Schweizer Geschichte seinesgleichen sucht.

Dabei galt das rund zehn Quadratkilometer grosse Moorgebiet über Generationen hinweg als “nutzlos”. Im Krieg wurde hier Torf abgegraben. Aber als Ackerland taugte das Moor nicht; daher sollte es trockengelegt werden. Das Projekt scheiterte nur knapp, weil sich die Bauern vor über 50 Jahren nicht einigen konnten.

Widerstand gegen “heilige Kuh”

Von der Küche des Bauernhofs “Nesseli” bietet sich ein grossartiger Ausblick über die Moorebene von Rothenthurm. “Mit diesem Blick vor Augen bin ich aufgewachsen”, erklärt der Bauer Adolf Besmer.

Das EMD wollte eine Kaserne für 500 Soldaten bauen. Im eigentlichen Moor war ein grosses Übungsgelände vorgesehen – mit Pisten und Brücken, Wällen und Stellungen.

Besmers Hof lag genau im Kugelfang und wäre zerschossen worden. Der drohende Verlust von Hof, Land und Heimat machte bei Besmer ungeahnte Kräfte frei:

“EMD und Armee waren damals noch heilige Kühe im Land. Wer sich denen in den Weg stellte, galt als Linker oder Landesverräter.” Das Nesseli bildete damals so etwas wie das Herz des Widerstandes gegen den geplanten Waffenplatz.

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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Anonyme Drohungen

“Es ging um unsere Existenz, aber auch um die grossartige Moorlandschaft”, betont Besmer. Warum denn brauchte das EMD einen weiteren Waffenplatz, wo es bereits über deren 42 verfügte? “Armeehasser waren wir nicht.”

Viele hätten den Schiesslärm gefürchtet, auch die Sicherheit habe zu reden gegeben. “Selbst Offiziere wiesen auf die Gefahr von Kugelabprallern am flachen Hang hin.”

1978 wurde Besmer zum Präsidenten der “Arbeitsgemeinschaft gegen einen Waffenplatz in Rothenthurm” (AWAR) gewählt. Nun stand er im Mittelpunkt des Medieninteresses.

Er musste überall Red und Antwort stehen, schrieb unermüdlich Leserbriefe und kassierte dafür Kritik der Befürworter. Besmer erhielt auch anonyme Drohungen. “Der jahrelange Kampf ging schon an die Nieren.”

Begegnung im Moor

Der damalige EMD-Chef Chevallaz war nicht gut auf Besmer zu sprechen. Er kritisierte ihn sogar namentlich. Das wollte Besmer nicht auf sich sitzen lassen. Bei einer Begegnung im Moor wollte er ihn zu einer Erklärung auffordern. Doch Polizisten drängten den Bauern vom Fahrzeug weg, in dem der Bundesrat sass.

1981 drohte Chevallaz offen mit Enteignung der verkaufsunwilligen Landbesitzer. “Für die Betroffenen wäre das eine ziemliche Katastrophe gewesen”, sagt Besmer, “denn das EMD hätte nur 2 Franken 70 für einen Quadratmeter Land bezahlt – gerade mal ein Kaffee Schnaps.”

Manche wurden trotzdem unsicher und dachten ans Verkaufen. Die Sache stand auf Messers Schneide. “Ohne unsere Ausdauer wäre damals die Sache möglicherweise gelaufen”, vermutet Besmer.

Die Demonstrationen gegen das Projekt wurden häufiger. 1982 brannten in Rothenthurm Warnfeuer, später loderten sogar EMD-Baracken. Die Stimmung war auf dem Siedepunkt.

Gerüchte über Enteignungen hielten das Tal in Atem, Streit entzweite Familien. “Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, wie hoch die Wogen gingen”, erinnert sich Besmer.

David gegen Goliath

Längst war der geplante Waffenplatz zum nationalen Thema geworden. Daher kamen in nur gerade sechs Monaten 163’000 Unterschriften für die nationale Volksinitiative zum “Schutz der Schweizer Moore” zustande.

Am 6. Dezember 1987 sagte das Stimmvolk deutlich Ja dazu: “Der klare Sieg von 57% Ja-Stimmen machte uns zuerst sprachlos, doch dann herrschte ein unbeschreiblicher Jubel.”

David hatte gegen Goliath einen Sieg errungen. Bauer Besmer konnte endlich wieder an die Zukunft denken – jetzt, wo das Moor endgültig geschützt ist.

Seit 1999 produziert Besmer nach biologischen Richtlinien. Derzeit baut er einen neuen Stall für seine 45 Stück Vieh.

swissinfo, Stefan Hartmann

Dank dem Ja zur Rothenthurm-Initiative im Jahr 1987 ist die Fläche der Moore und Moorlandschaften in den letzten 20 Jahren stabil geblieben.

Diese Feuchtgebiete machen zwar nur rund 0,5% der Landesfläche (190 km2) aus, beherbergen aber rund einen Viertel der bedrohten Pflanzenarten der Schweiz.

Viele Moore sind in schlechtem Zustand. Sie sind von Austrocknung und Verbuschung bedroht. Zudem bereiten die Nährstoffe aus der Landwirtschaft Probleme.

Die Hochebene zwischen Biberbrugg und Rothenthurm (930 Meter über Meer) hat eine Fläche von rund 10 km2.

Sie ist die letzte grosse zusammenhängende Moorlandschaft des Alpennordrands.

In den Lebensräumen der Riedwiesen, Flach- und Hochmoorbereiche sind seltene Vogelarten wie das Braunkehlchen, ein klassischer Bodenbrüter, anzutreffen. Bei den Pflanzenarten gedeiht etwa der Sonnentau.

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