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Keine freie Fahrt für Rassisten

Georg Kreis, Präsident der Eidg. Kommission gegen Rassismus. Keystone

Am 25.09.1994 wurde der Strafrechtsartikel über Rassendiskriminierung vom Volk angenommen. Seither gibt das Antirassismus-Gesetz immer wieder zu reden.

Zehn Jahre danach zieht Georg Kreis, Präsident der Kommission gegen Rassismus (EKR), im Gespräch mit swissinfo Bilanz.

swissinfo: Das Antirassismus-Gesetz ist seit zehn Jahren in Kraft. Herr Professor Kreis, wie sieht Ihre Bilanz aus?

Georg Kreis: Ich habe den Eindruck, dass in diesen zehn Jahren die Rassismus-Problematik einerseits zugenommen hat, sie andererseits aber in dem Masse auch ernster genommen worden ist. Wir haben also die Antirassismusnorm in unserer Gesellschaft implementiert. Das nicht zur Freude aller, aber alles in allem glaube ich, dass unsere Arbeit und auch die Entscheide der Gerichte in diesem Bereich grundsätzlich anerkannt werden.

swissinfo: Gibt es nicht eine grosse Dunkelziffer von Rassismus-Delikten, die gar nicht angezeigt werden?

G.K.: Das ist anzunehmen, doch hier gilt trotz Offizialdelikt, wo kein Hinweis, keine Abklärung.

swissinfo: Wer soll mit dem Antirassismus-Gesetz eigentlich geschützt werden?

Zunächst vor allem die Minderheiten, weil diese unter Diskriminierung am ehesten und am stärksten leiden. In bestimmten Konstellationen, zum Beispiel Schulklassen, können Angehörige der Landesmehrheit durchaus Minderheit sein. Gemäss vereinzelten Urteilen ist aber auch rassistische Diffamierung von Schweizern im Allgemeinen ebenfalls ein Delikt gemäss StGB 261bis.

swissinfo: Die Antirassismus-Strafnorm stellt einzig die öffentliche Bekundung von Rassismus unter Strafe, nicht aber den Alltagsrassismus, der sich im privaten Raum abspielt. Genügt das, um den offenen oder latenten Rassismus in der Schweiz zu bekämpfen oder gar auszumerzen?

G.K.: Zum Wort “ausmerzen”: Auch wenn es dem “Bösen” gilt, Vernichtungsphantasien sind gefährlich und verfolgen zudem illusorische Ziele. Tatsächlich ist nur der öffentliche und systematische Rassismus strafbar. Hier zeigt sich, dass neben den exponierten Minderheiten der öffentliche Frieden – zum Teil wiederum zum Schutze der Minderheiten – ein geschützter Wert ist.

swissinfo: Was kann gegen den privaten Alltagsrassismus getan werden?

G.K.: Aufklären und einschreitend sich engagieren, da, wo man ihn wahrnimmt und deswegen sich selber nicht in eine gefährliche Situation bringt.

swissinfo: Der Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel A. Niggli bezeichnet die bisherige Rechtssprechung zum Strafgesetzartikel 261 als “ausgewogen und sehr zurückhaltend”. Das Gesetz habe sich “insgesamt absolut bewährt”. Teilen Sie diese Meinung?

G.K.: Ich teile diese Meinung, die nicht nur eine angemessene Einschätzung eines Sachverhalts, sondern zugleich ein deutliches Statement gegen die Position ist, der schon das Wenige zuviel ist und die mit übertreibender Einschätzung auch das Wenige eliminieren will.

swissinfo: Am 17. Mai 2004 hat ein Bundesgerichtsurteil den privaten Raum für Rassismus-Delikte enger als bisher ausgelegt. Von rechter Seite, insbesondere von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), kam sofort Kritik, das sei ein “Maulkorb-Urteil”.

G.K.: Das geht eben in die gleiche Richtung und beruht auf böswilligem Unverständnis. Die Auslegung des Bundesgerichts sorgt bloss dafür, dass man nicht eine Grosszahl von sich unbekannten und sonst nicht miteinander verkehrenden Menschen zu einem Treffen von im Grunde öffentlichem Charakter einladen und das als Familienfest tarnen kann.

Da geht es um eine Güterabwägung: auf der einen Seite die konkrete und praktische und doch definierte Einschränkung von rechtsextremer Agitation und auf der anderen Seite die sehr theoretische Sorge um die Versammlungsfreiheit und den Schutz der Privatsphäre. Wer hier meint, die gar nicht bedrohte “Garten-Grillparty” verteidigen zu müssen, zeigt, dass ihm das andere keine Sorge ist.

swissinfo: Die EKR wird von rechts, insbesondere von der SVP, immer wieder kritisiert. Was antworten Sie darauf?

G.K.: Erstens bitte ich darum, dass man konkrete Fälle diskutiert, und wenn das nicht geht, frage ich zweitens öffentlich, ob sich da latente Rassisten in ihrer Unflätigkeit eingeschränkt sehen und freie Fahrt für den Rassismus wünschen.

swissinfo: Was sagen Sie zum Entscheid der Mobiliar, für Leute aus dem ehemaligen Jugoslawien höhere Autoversicherungs-Prämien zu verlangen?

Wir klären dies zur Zeit juristisch ab. Es mag sein, dass diese Art von Diskriminierung rechtlich statthaft ist, das heisst aber nicht, dass es wegen seiner Symbolwirkung gesellschaftspolitisch nicht höchst problematisch ist.

swissinfo-Interview: Jean-Michel Berthoud

EKR-Auswertung 2004 über die Gerichtspraxis zum Strafgesetz-Artikel 261 seit 1994:

Erstinstanzliche Fälle: 218

Verfahrenseinstellung oder Freispruch: 56%

Verurteilung: 44%

Das Antirassismus-Gesetz wurde am 25. September 1994 vom Schweizer Stimmvolk angenommen.

Dies ermöglichte den Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung.

Es besagt: Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft (…), wird mit Gefängnis oder mit Busse verfolgt.

Auch das Militärstrafgesetz wurde entsprechend geändert.

Die Eidg. Kommission gegen Rassismus (EKR) ist für die Rechtsprechung nicht zuständig. Sie macht lediglich auf Vergehen gegen das Antirassismus-Gesetz aufmerksam und äussert sich zur Thematik.

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