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Kontroverse um in der Schweiz gestohlene Bankdaten

130'000 sensible Kundendaten verschwunden: Die Genfer Filiale der HSBC. AFP

Dass die französischen Behörden Daten auswerten, die sie auf ihrem Territorium finden, sei legal, sagt der Experte Mark Pieth. Im Streit um die gestohlenen Bankdaten solle die Schweiz nun eine rechtliche Analyse vornehmen und mit Frankreich das Gespräch suchen.

Hochrangige Französische Politiker drohen der Schweiz mit der “schwarzen Liste“ der Steuerparadise. Dies, nachdem der Schweizer Finanzminister Hans Rudolf Merz angekündet hat, er wolle die parlamentarische Genehmigung des eben erst ausgehandelten, aber noch nicht rechtskräftigen Doppelbesteuerungs-Abkommens mit Frankreich sistieren.

Mit dieser Strategie riskiere die Schweiz, “dass sich die Zahl der Länder multipliziert, die bereit sind“ im Kampf gegen Steuer-Hinterziehung – und -Betrug, gegen sie vorzugehen“, warnt der Strafrechtsexperte Mark Pieth im Gespräch mit swissinfo.ch.

Neuer Gegner in der EU

Im Steuerstreit mit Deutschland habe sich zwar der Ton gemässigt, aber “mit England, Italien und neuerdings Frankreich haben wir drei mächtige Gegner im europäischen Raum“.

Er denke, dass die Schweiz jetzt “eine seriöse rechtliche Analyse vornehmen“ müsse und dann “je nachdem was herauskommt, das Gespräch suchen“ sollte, sagt Pieth.

Es sei richtig, dass die Daten von 130‘000 Genfer Bankkunden “illegal beschafft“ worden seien. Wenn man jetzt aber sage, der französische Staat sei “illegal in den Besitz der Daten gekommen“, sei das – aufgrund der vorliegenden Informationen – “eine ziemlich kühne Behauptung“, so Pieth.

In der Schweiz ein Dieb, in Frankreich ein Informant

Die Geschichte beginnt im Dezember 2008 in Genf. Hervé Falciani, ein 38-jähriger Franzose italienischer Herkunft, arbeitet als Informatiker in einer Kaderfunktion bei der Genfer Filiale der weltweit zweitgrössten Privatbank, der Bank HSBC. Dabei entdeckt er “Strukturen, die nur ein Ziel haben, nämlich das Ziel, den Fiskus zu umgehen“. – Falciani sammelt die Daten auf seinem Laptop.

Wegen “unerlaubtem Zugang zu heiklen Daten“, verhaftet die Genfer Polizei am 22. Dezember 2008 den Datenbankspezialisten. Am nächsten Tag lässt ihn die Polizei frei. Falciani setzt sich mit Frau und Kindern umgehend nach Nizza ab.

Dort erhält er am 22. Januar 2009 Besuch von den französischen Behörden. Die Staatsanwaltschaft verhört ihn, durchsucht die Wohnung und beschlagnahmt den Laptop. Auslöser für die Aktion, bei der auch eine Mitarbeiterin der schweizerischen Bundesanwaltschaft zugegen ist, ist ein Rechtshilfegesuch aus der Schweiz. Die Bundesanwaltschaft begründet das Gesuch mit Datendiebstahl.

Hilfreiche Suchwörter

Die Staatsanwaltschaft von Nizza beginnt damit, die Daten auszuwerten. Die Bundesanwaltschaft stellt den französischen Behörden im Februar 2009 nach eigener Angabe eine Liste mit “Suchwörtern“ zur Verfügung.

Die Liste sei “sehr hilfreich“ gewesen, sagt nun der Staatsanwalt von Nizza, Eric de Montgolfier dem Tages- Anzeiger. Er habe ursprünglich Falciani lediglich einvernehmen und die Daten beschlagnahmen wollen. Den Brief der Bundesanwaltschaft habe er als Aufforderung verstanden, “die Daten anzusehen“. “Für uns war das okay“, so Montgolfier. Falciani half bei der Auswertung mit.

“Interessantes Material“

Im Juli hat Montgolfier die Daten ans französische Budgetministerium weitergeleitet, weil ihn das Gesetz dazu zwinge, “wenn es sich um Steuerbetrug handeln könnte. Laut dem Staatsanwalt hat die Entschlüsselung der Datenbank auf dem Laptop 130‘000 Namen von Kontoinhabern an den Tag gebracht. Dabei handle es sich nicht nur um “offene und geschlossene Konten aus mehreren Jahren“, sondern auch um Konten, “die nur kurz, manchmal nur für eine Transaktion“ benutzt worden seien. Das sei “interessantes Material für einen Ermittler“, so Montgolfier.

Im August 2009, hat der französische Haushaltsminister Eric Woerth bekannt gegeben, Frankreich sei im Besitz einer Liste mit Namen von 3000 französischen Steuerflüchtlingen mit einem Konto in der Schweiz.

Offensichtlich habe die Schweiz im Februar 2008 “ein Eigengoal geschossen“, da die französischen Behörden aufgrund des Rechtshilfegesuchs auf den Datenklau aufmerksam wurden, sagt Pieth.

Bundesanwalt mit leeren Händen

“Frankreich hat das Recht, bei Verdacht auf Delikte Zwangsmassnahmen zu ergreifen und auf seinem Territorium Daten zu beschlagnahmen. Die Frage, ob Falciani legal oder illegal zu den Daten gekommen sei, könne “keine Rolle spielen“

Die Bundesanwaltschaft hat mehrmals bei den französischen Behörden interveniert, damit diese die Daten beschlagnahme und an die Schweiz weiterleite. Ohne Erfolg, wie der zuständige Bundesanwalt Carlo Buletti erklärt: “Wir hatten nie Zugriff auf die Daten und können darum auch nichts dazu sagen.“

Andreas Keiser, swissinfo.ch

Der Bundesrat will dem Parlament beantragen, die Genehmigung des neuen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) mit
Frankreich auszusetzen.

Dass illegal erworbene Informationen in einem Steuerverfahren eingesetzt würden, sei in einem Rechtsstaat inakzeptabel, sagte Finanzminister Hans-Rudolf Merz.

Mit den illegal erhaltenen Daten fordere Frankreich erleichterte Amtshilfe.

Diese sei nach dem bisherigen DBA nicht möglich. “Es kann nichts passieren“, beruhigte Merz.

Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf kündigte ihrerseits an, man werde eine Protestnote nach Frankreich abschicken.

Alle Bemühungen seitens der Schweiz für eine Auslieferung des Ex-Kaders der Genfer Bank, Hervé Falciani, seien bisher gescheitert.

Falciani habe die Bankdaten nicht nur den französischen Steuerbehörden ausgehändigt, sondern – gegen Entgelt – auch verschiedenen anderen Staaten angeboten”, so Widmer-Schlumpf.

Die Bundesanwaltschaft werde sich erneut für dessen Auslieferung einsetzen, “und man wird sehen, wie man auf politischer Ebene tätig werden muss”.

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