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Neuanlauf für Schweizer Migrationsmuseum

Wird nicht Migrationsmuseum: Das Amtshaus am Zürcher Helvetiaplatz. zvg

Wohlstand, Stabilität: Ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland wäre die moderne Schweiz undenkbar. Ein Museum, in dem auch die Leistungen der Migranten gewürdigt würden, war 2009 nach langjähriger Projektarbeit gescheitert. Jetzt erfolgt ein Neuanlauf.

Uhrenkönig Nicolas Hayek oder die Mineure, die seit dem 19. Jahrhundert die Eisenbahn- und Autotunnel durch die hiesigen Alpen gebrochen haben, symbolisieren den unverzichtbaren Beitrag von Menschen aus dem Ausland zur Modernisierung und zum Wohlstand der Schweiz.

Von den knapp 7,8 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern, welche die Schweiz Ende 2009 zählte, waren 1,7 Mio. oder 22% Ausländer. Wenn auch nicht zu einem offiziellen, machen diese Zahlen die Schweiz immerhin zu einem faktischen Einwanderungsland.

Anders ausgedrückt: Migration als sichtbarer Ausdruck der Globalisierung ist auch in der Schweiz zu einem zentralen Thema geworden.

Seit 1998 hatte sich der Verein Migrationsmuseum Schweiz für eine gleichnamige Institution als öffentlichen Ort eingesetzt, um “das Bewusstsein und das Wissen zum vielfältigen Themenbereich Migration” zu fördern.

Autorinnen und Autoren Schweiz übernehmen

Doch 2009 wurde die zwölfjährige Vorarbeit von Initiant Markus Hodel und Mitstreitern Opfer der Finanzkrise: Die Stadt Zürich, die das Projekt in ihr Kulturleitbild aufgenommen hatte, relegierte es ans Ende der Wunschliste. Enttäuscht gab der Verein auf.

Dass das Projekt Migrationsmuseum aber nicht tot ist, dafür sorgt der Verein Musée Imaginaire des Migrations Suisse (MIM). Treibende Kraft hinter der neuen Trägerschaft sind die Autorinnen und Autoren Schweiz (AdS), der Nachfolgeorganisation des 2002 aufgelösten Schweizerischen Schriftstellerverbandes.

Nicht nur gaben die beiden AdS-Mitglieder Daniel de Roulet und Fabio Pusterla den Anstoss zur Neuaufgleisung des Projekts, auch amtiert AdS-Geschäftsführerin Nicole Pfister Fetz als Präsidentin des Vereins Musée Imaginaire des Migrations.

Am Verein MIM beteiligt ist auch der Zürcher Limmat Verlag. Mit der Projektleitung, die sich in erster Linie um die Finanzierung und die operative Organisation des MIM kümmert, wurde das “p&s netzwerk kultur” betraut. Dieses verfügt als Organisator von Veranstaltungen in den Bereichen Literatur, Theater, Musik, Bildende Kunst und Neue Medien über regionale wie europäische Erfahrung.

Dezentral und modular

Ihr Projekt will die neue Trägerschaft in den nächsten Wochen vorstellen. “Aber im Gegensatz zum Vorgängermodell, das in der Stadt Zürich angesiedelt gewesen wäre, sind wir gesamtschweizerisch und mobiler ausgerichtet”, verrät Nicole Pfister Fetz gegenüber swissinfo.ch.

Beim Musée Imaginaire des Migrations Suisse handle es sich um ein mehrschichtiges Konzept, das sowohl reelle als auch virtuelle Module umfasse, die in zahlreichen Museen der Schweiz zu sehen sein würden, so Pfister Fetz weiter. Ebenfalls liessen sich einzelne Module herauslösen, beispielsweise für den Bereich Bildung/Weiterbildung.

Fehlender politischer Wille

Während Pfister Fetz und der Verein MIM mit Hochdruck daran arbeiten, letzte Abschlüsse mit wichtigen Partnern unter Dach zu bringen, ist die Enttäuschung bei Markus Hodel vom ehemaligen Verein Migrationsmuseum Schweiz auch knapp zwei Jahre nach dessen Aus immer noch spürbar.

Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise habe es an politischem Support gemangelt. Selbst die Sozialdemokraten, die in der Stadt Zürich noch mit dem Thema Migrationsmuseum in den Wahlkampf gezogen seien, hätten sich “uninteressiert davon verabschiedet”, sagt Hodel.

Er räumt aber auch ein, dass Städte Museen langfristig finanzieren müssten. “Die Städte fragen sich zurecht, wieso gerade sie die hohen Kosten eines Migrationsmuseums finanzieren sollen, obwohl das Thema die Gesellschaft des ganzen Landes angeht.” Der Bund als möglicher Partner fällt weg, denn er leistet für neue nationale Museen keine Unterstützung.

Migration in beide Richtungen

Im Gegensatz etwa zu Ellis Island, dem berühmtesten Einwanderungsmuseum, auf einer Insel vor dem New Yorker Stadtteil Manhattan gelegen, wäre im Schweizer Migrationsmuseum auch die Auswanderung thematisiert worden.

“Heute ist kaum mehr bekannt, dass im 19. Jahrhundert praktisch ein Zehntel der Schweizer Bevölkerung auswandern musste, weil die Armut so gross war”, sagt Hodel dazu.

Ihr Projekt hatten er und seine Mitstreiter bewusst ambitiös formuliert. Mit dem Migrationsmuseum, je nach Standort wären Gesamtkosten von bis zu 50 Mio. Franken angefallen, hatten sie die Top Ten der Schweizer Museen angepeilt.

Das Erreichen einer “kritische Masse” erachtete Hodel als Voraussetzung, damit die Ausstellung auch Besucher aus 200 oder 300 Kilometern Entfernung angelockt hätte. Er macht den Vergleich mit der Einstein-Ausstellung – sie zog 2005/06 rund 350’000 Besucher ins Historische Museum Bern –, die aber sechs Mio. Franken gekostet habe.

Dazu kommt ein weiterer kostentreibender Faktor. “Einthemen-Museen haben das Handicap, dass sie ständig neue Ausstellungen anbieten müssen, was ebenfalls enorm kostet.”

Hartumkämpfter Museums-Markt

Das sind aber noch nicht alle Schwierigkeiten: Die Schweiz besitzt mit über 900 Häusern eine der höchsten Museumsdichten weltweit, was ein Museum pro 7500 Bewohner ausmacht. Der Kampf um Gelder führt in der Branche zu einem unerbittlichen Konkurrenzkampf.

Hodel macht für das Ende des Projekts Migrationsmuseum Schweiz aber nicht nur pekuniäre, sondern auch gesellschaftliche Gründe verantwortlich. “Die Offenheit gegenüber Zuwanderern, die vor 20 Jahren besonders in den Städten erlebbar war, ist auf dem Rückzug”, stellt Markus Hodel fest.

Mit einem Ausländeranteil von 22% ist die Schweiz faktisch ein Einwanderungsland. In den Städten beträgt der Anteil bis 40%, je nach Stadtteil sogar über 50%.

Einwanderer waren und sind ein wesentlicher Motor der Schweizer Wirtschaft und tragen seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu Wohlstand und Stabilität des Landes bei.

Noch im 19. Jahrhundert hatte die Armut 10% der Schweizer Bevölkerung zum Auswandern gezwungen.

Nach dem Scheitern der  bürgerlichen Revolutionen in Europa im 19. Jahrhundert kamen tausende politische Flüchtlinge in die Schweiz.

Der zweite grössere Zuzug erfolgte Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen der ersten industriellen Revolution.

Die bisher grösste Migrationsbewegung erlebte die Schweiz zwischen 1951 und 1970, als 2,7 Mio. Ausländer als Jahresaufenthalter oder Niedergelassene einreisten. Im gleichen Zeitraum wurden zudem 3 Mio. befristete Saisonnier-Bewilligungen ausgestellt.

Die Zuwanderung führte zu einer Überfremdungs-Bewegung mit teils fremdenfeindlichen Zügen, getragen von der damaligen Republikanischen Partei von James Schwarzenbach.

Seit Beginn der 1990er-Jahre ist die Migration Kernthema der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Seit Einführung des freien Personenverkehrs mit Brüssel 2002 dürfen nur noch Menschen aus Ländern der EU und der EFTA in der Schweiz arbeiten.

Menschen von anderen Ländern dürfen sich nur noch als hochqualifizierte Spezialisten in der Schweiz niederlassen, falls in EU und EFTA keine solchen rekrutiert werden können.

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