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Mit steigendem Einkommen wird man nicht glücklicher

Wer der Beste sein muss, um glücklich zu sein, rennt dem Glück ewig hinterher.

Das Streben nach Glück wird durch immer höheres Einkommen oder ein brandneues Auto allein nicht gestillt, erklärt der Volkswirtschaftsprofessor Mathias Binswanger in seinem Bestseller "Die Tretmühlen des Glücks".

Wirtschaftswachstum allein macht noch nicht glücklich. Mehr Einkommen muss auch in Glück umgesetzt werden, und das ist nicht immer einfach.

In seinem Buch “Die Tretmühlen des Glücks” führt Binswanger eine Reihe von Hürden auf, mit denen sich der Mensch heute konfrontiert sieht.

Diese Tretmühlen verursachten häufig viel Stress und hinderten die Leute daran, glücklicher zu werden.

Oder anders gesagt, die Menschen stehen unter immer mehr Zeitdruck und suchen meist am falschen Ort nach dem Glück.

swissinfo: Bei Ihrer Forschung zum Glück beschreiben Sie die Tretmühlen, mit denen wir es in unserem täglichen Leben zu tun haben. Als erstes ist da die Status-Tretmühle. Wir versuchen demnach immer, den andern voraus zu sein.

Mathias Binswanger: Ja, das stimmt. Und diese Status-Tretmühle ist ein Nullsummen-Spiel. Nicht alle können mehr haben als alle anderen. Das gilt auch für das Einkommen. Diese Mühle dreht sich immer weiter, obwohl die Leute immer reicher werden, denn man will immer noch mehr haben als die anderen.

Und das drücken wir mit Statussymbolen aus. Ein typisches Beispiel ist das Auto. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte man jemanden beeindrucken, wenn man überhaupt ein Auto hatte. Rasch einmal hatten sehr viele Leute ein Auto, nun brauchte es einen ausgefalleneren Wagen, um Eindruck zu schinden. Die Industrie bringt immer wieder neue Wagen auf den Markt, mit denen man die andern übertreffen kann.

swissinfo: Und was ist die Anspruchs-Tretmühle? Die immer neuen Wünsche?

M.B.: Wir passen unseren Lebensstil schnell an materiellen Wohlstand und an höhere Einkommen an. Wenn wir mehr verdienen, gewöhnen wir uns rasch daran, der neue Zustand wird normal. Wenn man zum Beispiel ein neues Auto kauft, geniesst man dieses für eine Weile, aber schon bald wird es zur Normalität und schon bald entwickelt man wieder neue Ansprüche.

Das gilt besonders dann, wenn man sehr viel Geld gewinnt. Untersuchungen zeigen, dass Lotto-Gewinner zwar für eine Weile glücklich sind, doch wenn man sie nach etwa einem Jahr wieder fragt, sind sie genauso glücklich oder unglücklich wie vor dem Gewinn. Auf lange Sicht betrachtet, lohnt es sich in dem Sinne also nicht, in einer Lotterie zu gewinnen.

swissinfo: Die Multioptions-Tretmühle suggeriert, dass wir zu viele Auswahlmöglichkeiten haben – sei es bei der Wahl der Fernsehkanäle, beim Essen oder auch bei Investitions-Möglichkeiten. Können Sie das erklären?

M.B.: Es gibt ein immer grösser werdendes Angebot von Gütern und Dienstleistungen, aber etwas bleibt konstant: die Zeit. Der Tag hat immer noch 24 Stunden. Daher wird es immer schwieriger, all die Entscheide zu fällen, die anstehen. Man weiss, dass die Leute nicht allzu viele Optionen möchten, wenn sie Entschlüsse fassen müssen.

Nehmen wir das Fernsehen. In den 1950er-Jahren gab es ein Programm. Heute könnten wir tausend Kanäle nutzen – doch es ist völlig unmöglich, vernünftige Entscheide zu treffen, wenn man an einem Tag noch etwas anderes tun will, als nur das TV-Programm zu studieren.

swissinfo: Sie erwähnen auch eine Zeitspar-Tretmühle, im Zusammenhang mit Entwicklungen, die eigentlich Zeit einsparen helfen sollten. Können Sie ein paar Beispiele nennen?

M.B.: Wir können heute viele Dinge rascher erledigen. Theoretisch könnten wir also weniger Zeit verbringen mit Aktivitäten, die wir nicht besonders gerne haben, und dafür mehr Zeit verwenden für Dinge, die wir gerne tun.

Nehmen wir als Beispiel die Mobilität. Wir können heute viel rascher 100 Kilometer weit reisen als noch vor ein paar Jahrzehnten. Doch jetzt reisen die Leute meist häufiger und über längere Distanzen – und damit geht der potenzielle Zeitgewinn wieder verloren.

Das gilt auch für die Informations-Technologie. Wenn wir E-Mail und Brief vergleichen, braucht es zum Schreiben eines Briefes viel mehr Zeit als für eine E-Mail. Aber seit es E-Mail gibt, haben wir einen insgesamt viel regeren Informationsaustausch. Was letztlich dazu führt, dass wir eben keine Zeit einsparen können.

swissinfo: Können Sie ein Beispiel geben, wie es uns gelingen könnte, das Tempo auf diesen Tretmühlen etwas zu verringern?

M.B.: Wir haben heute in vielen Lebenslagen eine Ranking-Manie. Das heisst, man versucht, überall der Beste zu sein, oder unter den drei Besten oder zumindest in den Top Ten.

Im öffentlichen Sektor kämpfen die Universitäten darum, die Besten zu sein, bei den Schulen ist es genauso – und durch solches Denken verstärken wir den Status-Wettbewerb künstlich. Wenn wir der Ranking-Manie etwas Einhalt bieten würden, könnten wir die Status-Tretmühle etwas verlangsamen.

swissinfo: Wie glücklich sind Sie – und was tun Sie persönlich, um Ihre eigenen Ratschläge umzusetzen?

M.B.: Um mit dem guten Beispiel voranzugehen, muss ich natürlich einige der Ratschläge selber umsetzen. Im Buch findet sich eine Liste mit Dingen, die Menschen glücklich oder unglücklich machen. Was wirklich zu einem glücklicheren Leben beiträgt, ist ein intaktes Sozialleben, während etwa das Pendeln für mehr Stress sorgt und Menschen unglücklich macht.

Ich lebe in einem Haus direkt neben der Universität, meine Pendlerzeit beträgt also ein, zwei Minuten. Ich versuche auch, ein aktives Sozialleben zu haben. Der Multioptions-Tretmühle kann man entgegentreten, indem man gewisse Optionen einfach streicht. In meinen Fall das Fernsehen. Ich habe vor ein paar Jahren damit aufgehört und kann das nur empfehlen.

swissinfo-Interview, Robert Brookes, Olten
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen.

Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen (Lizenziat), Promotion zum Dr. rer. pol an der Universität Kassel.

Binswanger publiziert neben Fachzeitschriften auch in der Presse. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkt-Theorie und Umweltökonomie. Er schreibt regelmässig für die Schweizer Publikationen Cash und Die Weltwoche.

Sein Bestseller “Die Tretmühlen des Glücks” erschien 2006 in Deutsch im Herder Verlag.

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