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Nein zum Bauzonen-Stopp: Schweizer Presse mahnt vor Gefahren

Maiensäss mit Baugerüst auf einer Alp
Maiensäss auf einer Bündner Alp mit Baugerüst: Die klare Abfuhr für die Zersiedelungs-Initiative könnte jenen Kreisen Auftrieb verleihen, die möglichst ohne Einschränkungen ausserhalb der Bauzonen bauen wollen. Arno Balzarini/Keystone

Das klare Nein des Schweizer Stimmvolks zum Einfrieren der Bauzonen in der Schweiz wird von den Schweizer Medien ebenso klar begrüsst. Doch herrscht die Befürchtung, dass das Verdikt jene Kräfte beflügelt, die dem Bauen ausserhalb der Bauzonen möglichst grosse Hintertüren offenhalten wollen.

Die Westschweizer Zeitung Le Temps kommentiert, das Abstimmungsresultat sei nicht als Zeichen der Gleichgültigkeit des Schweizer Volkes gegenüber der Zersiedelung zu lesen. Vielmehr sei es ein Vertrauensvotum gegenüber den Behörden, dass diese die Instrumente des revidierten Raumplanungsgesetzes richtig anwendeten. 

Es sei zu früh gewesen, ein Scheitern des Raumplanungsgesetzes zu verkünden und schon wieder auf das Thema zurückzukommen. Das Raumplanungsgesetz wurde 2013 vom Schweizer Volk an der Urne angenommen und ist seit 2014 in Kraft.

In dieselbe Kerbe schlägt auch die Aargauer Zeitung. Die Volksinitiative habe ein Thema aufgegriffen, das niemanden kalt lasse. Doch die Jungen Grünen hätten kein überzeugendes Rezept präsentiert. 

“Sie haben eine Initiative lanciert, die zum falschen Zeitpunkt kam, weil in der Raumplanung die Regeln erst kürzlich verschärft wurden. Und sie haben Instrumente vorgeschlagen, die einigen Schaden angerichtet hätten: Den strikten Einzonungs-Stopp etwa.”

Ferienhaus auf der Alp

“Der Volksentscheid ist richtig – und doch gefährlich”, titelt der Tages-Anzeiger. Bauzonen einzufrieren erscheine wenig sinnvoll. Zumal das seit 2014 geltende Raumplanungsgesetz es sogar ermögliche, Bauzonen aufzuheben. Doch die Initianten hätten recht damit, dass insgesamt zu viel gebaut werde, so der Tages-Anzeiger.

Das wuchtige Nein könnte instrumentalisiert werden, befürchtet die Tageszeitung. Konkret könnte das klare Verdikt jenen Kreisen Auftrieb verleihen, die kein Interesse daran haben, die aus den Fugen geratene Bauerei ausserhalb der Bauzonen abzustellen.

Dabei geht es etwa um alte Landwirtschaftsgebäude wie Hütten, Ställe und Scheunen, etwa auf einer Alp, die zu einer Ferienwohnung umgebaut werden. Selbstredend braucht es dazu eine Erschliessungsstrasse sowie Wasser- und Abwasserleitungen.

Terrain abstecken für zweite Gesetzesrevision

Das ist weder Schwarzmalerei noch Verschwörungstheorie. Sondern Thema der zweiten Revision des Raumplanungsgesetzes im Schweizer Parlament. Darin soll das Bauen ausserhalb der Bauzone neu geregelt werden.

Volksbegehren Nummer 194 ist vom Tisch

Erst 22 Volksbegehren sind seit der Einführung des Initiativrechts 1891 angenommen worden. Das ist ein bisschen mehr als zehn Prozent. Die Zersiedelungs-Initiative ist nun das 194. Volksbegehren, das vom Souverän abgelehnt wurde.

Die Profiteure des Bau-Booms ausserhalb der dafür vorgesehenen Gebiete könnten das Resultat für sich nutzbar machen, befürchtet der Tages-Anzeiger. “Die Argumentationslinie ist absehbar: Bei so deutlicher Ablehnung der Initiative kann den Schweizerinnen und Schweizern an einem griffigen Landschaftsschutz nicht gelegen sein – lassen wir also dem Treiben möglichst ungehinderten Lauf.”

Auch die Neue Zürcher Zeitung befürchtet, dass sich die Initiative als Bumerang für den Landschaftsschutz herausstellen könnte. “Heftig tobt in diesem Bereich die Auseinandersetzung darum, wie rigide die Auflagen für Umnutzungen von bäuerlichen Gebäuden, Ställen und Maiensässen sein sollen und wie weit Lockerungen und Ausnahmeregelungen gehen sollen”, so die NZZ.

Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung

“Die Kantone drängen auf höhere Autonomie in der Raumplanung und die bürgerliche Seite auf grössere Freiheiten für die Landwirtschaft und die Möglichkeit der Umnutzung von landwirtschaftlichen Gebäuden ausserhalb der Bauzone.” Derweil aber hätten Umwelt- und Heimatschutzverbände bereits zwei neue Volksinitiativen zum Schutz der Schweizer Landschaft angekündigt.

Dass diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt der Kommentar im Bündner Tagblatt. Die Grösse der Ablehnung zeige vielleicht, “dass auch im Unterland die Einsicht wachsen könnte, dass dies hier in den Alpen längst keine Urwaldlandschaft mehr ist, sondern eine für Landwirtschaft und Tourismus, vielleicht sogar für saubere Industrie.” Die Zeitung aus den Bündner Bergen tönt nicht nur Ferienwohnungen für Gäste an, sondern auch Gewerbe- oder Dienstleistungsunternehmen.

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