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Schweizer Gesundheitssystem als Vorbild für die USA?

Präsident Obama ist der Meinung, die USA sollten aufhören, sich wegen den 900 Milliarden Dollars für die Reform des Gesundheitswesens zu streiten. Keystone

Das Schweizer Gesundheits-System ist alles andere als perfekt. Doch die USA nehme es als Vorbild für ihre Gesundheitsreform, sagt Thomas Zeltner, der Direktor des Eidgenössischen Bundesamtes für Gesundheit

Seit der Wahl von Barack Obama zum amerikanischen Präsidenten haben sich die Kontakte zwischen Schweizer Gesundheitsexperten und ihren amerikanischen Kollegen vervielfacht.

Der US-Präsident kämpft dafür, die Reform des Gesundheitswesens durchzubringen und will auch jene Leute versichern, die bis jetzt keine Krankenversicherung haben. Am Mittwoch hielt er im Kongress eine Rede, in der er den Gegnern der Reform vorwarf, sie betrieben “Angstmacherei”.

Zeltner wird Ende Jahr nach 19 Jahren als Chef des Eidgenössischen Bundesamtes für Gesundheit zurücktreten. Er wird ein Jahr lang an der “Advanced Leadership Initiative” der Universität Harvard in den USA teilnehmen. Diese Einrichtung will das Potential erfahrener Führungspersönlichkeiten nutzen. Zeltner soll weltweit zur Verbesserung der Gesundheitssysteme beitragen.

swissinfo.ch: Wieso interessieren sich die Amerikaner plötzlich für das Schweizer Gesundheitswesen?

Thomas Zeltner: Es gibt sowohl mediale als auch politische Interessen. Im August traf eine Delegation des US-Kongresses die Experten des Bundesamtes für Gesundheitswesen. Ich bin in ständigem Kontakt mit der Administration Obama und ich kenne den US-Gesundheissekretär. Mit habe ich meine Ansichten ausgetauscht. Die amerikanischen Medien haben sich danach ebenfalls dafür interessiert, mit uns zu sprechen.

Es begann vor fünf oder sechs Jahren, als die Harvard Professorin Regina Herzlinger in einigen Artikeln schrieb, das Schweizer Gesundheistssystem sei für die USA das Interessanteste.

In den letzten zwei Jahren gab es einen recht breiten Austausch zwischen den Fachleuten der Harvard-Universität und Schweizer Experten. Einige Mitglieder der Fakultät sind an dem Modell mit reglementiertem Markt sehr interessiert. Das Schweizerisches und das Holländische System sind dafür die besten Beispiele.

swissinfo.ch: Was kann die USA von der Schweiz lernen?

T.Z.: In der Schweiz haben wir erreicht, dass die Gesundheitsversorgung eine grosse Reichweite hat. Fast 99 Prozent der Bevölkerung haben eine Krankenversicherung. Sogar illegale Immigranten sind abgedeckt, wenn sie medizinische Hilfe brauchen.

Die USA haben ähliche Probleme wie sie die Schweiz vor der Revision des Krankenversicherungsgesetzes im Jahr 1996 hatte. Zu jener Zeit hatten wir keine obligatorischen Krankenversicherungen. Die Krankenkassen konnten auswählen, wen sie versichern wollten, unser Leistungskatalog war nicht vollständig und in manchen Gebieten war die Krankenversicherung mit der Anstellung, der Arbeit, verknüpft.

Die USA sahen sich verschiedene Systeme an. Bei unserem schweizerischen System hatten sie den Eindruck, dass es einige ihrer Probleme lösen könnte. Zum Beispiel, indem es privat betriebene Krankenkassen einbezieht.

swissinfo.ch: Ist es nicht etwas anmassend von der Schweiz, ein Modell exportieren zu wollen, intern insbesondere für die ständig steigenden Gesundheitskosten kritisiert wird?

T.Z.: Wir verschweigen nicht, dass unser System auch Schwierigkeiten hat. Wir haben die Resultate des externen Audits der OECD/WHO offengelegt. Unser System ist weit davon entfernt, perfekt zu sein.

Die Kosten sind in der Tat ein Problem, aber wenn man es aus einer internationalen Perspektive betrachtet, steht die Schweiz nicht so schlecht da, wie wir meinen. Die gesamten Gesundheitskosten haben pro Jahr um 2,1 Prozent zugenommen, wenn man die Zeitspanne von zehn Jahren anschaut. Damit liegt die Zunahme unter dem Durchschnitt der OECD. Das bedeutet, dass wir bei der Kostenkontrolle so gut sind wie andere OECD Länder, aber auf einem höheren Niveau.

Elf Prozent Zunahme bei den jährlichen Gesundheitsausgaben, das ist viel, aber wenn man sieht, was man dafür bekommt und wenn man den Grad der Zufriedenheit der Leute einbezieht, kann man sagen: Wir machen es gar nicht so schlecht.

swissinfo.ch: Warum funktioniert das US-System nicht?

T.Z.: Die Preise sind überall hoch, bei den Medikamenten, den Löhnen für die Ärzte und den Spitalaufenthalten.

Weiter muss es substantielle Leistungsschwäche im System geben, teilweise beruht diese auf dem Mangel an der Deckung des Gesundheitswesens. Leute ohne Versicherung gehen nicht zum Arzt oder sie gehen zu spät und verursachen damit höhere Kosten.

Prävention hat also Priorität. Eine der grössten Herausforderungen in den USA ist Adipositas. Die Anzahl an Fällen von Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen belasten das System sehr.

swissinfo.ch: Glauben Sie, dass die Idee der Solidarität, die dem Krankenversicherungsgesetztes zu Grunde liegt, könnte auch in den USA zum Tragen kommen?

T.Z.: Die Frage der Solidarität und was die Gesellschaft tun sollte, wenn jemand krank wird, wird in den USA anders angeschaut.

Wenn wir mit unseren Kollegen aus den USA über Solidarität reden, schauen sie uns immer erstaunt an. Sie haben kein Gefühl dafür, was das bedeuten könnte.

Niemand spricht davon, abgesehen von den Leistungen für die Armen und Betagten, die von der Medicare, dem Gesundheitsdienst für alte Menschen oder dem Medicaid, dem Gesundheitsdienst für Bedürftige, geleistet werden.

In der Schweiz wird der Zugang zur Gesundheitsversorgung per Gesetz garantiert. Das übrträgt den Regierungen auf kantonaler und eidgenössischer Ebene viel Verantwortung. In den USA liegt es viel mehr beim Individuum, gesund zu bleiben. Die Arbeitgeber sind verpflichtet, wenn es zu Krankenkassenleistungen kommt. Die Rolle des States ist deshalb viel kleiner.

swissinfo.ch: Glauben Sie, dass Obama es schafft, die Reform durchzubringen?

T.Z.: Besucher aus den US, sogar Republikaner, sind der Meinung, dass diese Reform zu gross ist, um zu misslingen. Irgendetwas wird dabei herauskommen, aber was und wie ist immer noch die Frage. Die vorgeschlagene durch die Regierung betriebene Krankenversicherung könnte eine Lösung sein, die Republikaner zu überzeugen, mitzuhelfen. Obama braucht eine Vorschlag, der für beide Parteien taugt.

Die vom Staat Krankenkasse war der erste Vorschlag und er wurde von den Medien stark beachtet. Man kann keine Zeitung mehr öffnen oder keinen Fernsehsender mehr einschlalten, ohne mit der Reform des Gesundheitswesens konfrontiert zu werden. Sie steht weit oben in der Prioritätenliste, und das macht sie zu so einer grossen Heausforderung für die Administraton Obama. Obama braucht ein Resultat.

Simon Bradley, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Eveline Kobler)

Der amerikanische Präsident Barack Obama hat den Kongress mit Vorschlägen dazu aufgefordert, das System gründlich zu überprüfen. Die Prämien der Krankenversicherungen sind seit dem Jahr 2000 dreimal mehr gestiegen als die Löhne der Arbeitnehmenden

Medizinische Kosten sind die Hauptgründe für persönlichen Bankrott. Die Leistungen sind für viele zurückgegangen und die Kosten grösser geworden.

Beim heutigen Ansatz werden die Kosten 2018 mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandproduktes betragen.

Gemäss dem Europäischen Beobachtungsstelle für Gesundheistssysteme, begann die
offizielle Krankenversicherung in der Schweiz 1899, aber das System, das auf dem deutschen basierte, wurde an der Urne abgelehnt.

Ein neuer Vorschlag wurde 1911 angenommen. Um eidgenössisches Geld zu erhalten, mussten die Krankkenkassen Listen ihrer Leistungen anbieten und den Konsumenten erlauben, die Kasse zu wechseln. Die Kantonen konnten entscheiden, ob sie die Versicherung im Gesetz verankern wollten.

Teilweise wurde die Vorlage 1958 reformiert, 1964 gefolgt von Masssnahmen, die Subenvtionen verlangten. Die Prämein stiegen und 1987 führten die Gesetzgeber Massnahmen ein, um die Kosten zu kontrollieren. Diese Massnahmen griffen nicht.

Am 18. März 1994 stimmten die Schweizerinnen und Schweizer für mehr Reformen. Eine nächste Rund der Reform steht 2012 an. Diese will Spitäler dynamischer machen, indem sie Subventionen umverteilt und von den Leistungserbringern verlangt, die Qualitätsindikatoren öffentlich zu machen.

Die Schweiz ist in der Rangliste der Industrieländer auf dem dritten Rang. Sie gibt pro Jahr 10.8 Prozent des Bruttoinlandproduktes für Gesundheitskosten aus. Sie rangiert hinter den USA (16 Prozent) und Frankreich (11 Prozent).

Die Schweiz ist auch bei den durchschnittlichen Ausgaben pro Person (4760 Franken, 4417 Dollars) im Jahr 2007 hinter der USA (7’290Dollars) und Norweegen (4’763 Dollars). Der Durchschnitt der OECD ist 2’964 Dollars.

Die SChweiz hat auch eine hohe Dichte von Personen, die im Gesundheitswesen arbeiten: 3,9 Ärzte und 14,9 Pflegefachleuten pro 1000 Einwohner.

Die Leute in der Schweiz haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 81,7 Jahren. In den USA beträgt sie 78.1 Jahre.

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