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Teure psychiatrische und neurologische Krankheiten

Diese Privatklinik bei Nyon ist auf Depression, Stress und Burnout spezialisiert. Keystone

In der Schweiz gehören psychiatrisch-neurologische Erkrankungen zu den teuersten. Sie machen einen Sechstel der gesamten Gesundheitskosten aus.

Der grösste Kostenanteil entfällt laut Forschern der Uni Zürich auf Depressionen. Die neueste Studie ist die erste, die die Gesamtkosten von Gehirn-Erkrankungen schätzt.

Laut der Studie der Uni Zürich zu dieser Art von Erkrankungen liegen die jährlichen Ausgaben dafür bei 15 Mrd. Franken, oder über 2000 Franken pro Einwohner. Bislang existierte in der Schweiz keine umfassende Berechnung der Kosten psychiatrisch-neurologischer Erkrankungen.

Gemäss dieser in der Zeitschrift “Swiss Medical Weekly” veröffentlichten Studie ist jährlich jede fünfte Person in der Schweiz von einer neuropsychiatrischen Krankheit betroffen.

Angst, Migräne, Depressionen, Tumore

Die zahlenmässig häufigsten psychiatrischen Fälle betreffen die Angsterkrankungen (710’000 Fälle), während Migräne mit 630’000 Fällen die häufigste neurologische Erkrankung ist.

Trotz ihrer Häufigkeit verursachen diese aber relativ geringe Kosten (Angsterkrankungen 2700, Migräne 1700 Franken). Sehr teuer sind dagegen seltene Krankheiten wie Hirntumore (im Durchschnitt 112’000 Franken) oder Multiple Sklerose (68’000 Franken).

Depressionen gelten mit durchschnittlichen Kosten von über 10’000 Franken als teuerste psychiatrische Erkrankungen.

Psychiatrische Krankheiten 78%, neurologische 22% der Gesamtkosten

Insgesamt verursachen die psychiatrischen Erkrankungen 78%, die neurologischen und neurochirurgischen Krankheiten 22% der Gesamtkosten von rund 15 Mrd. Franken für Gehirn-Erkrankungen.

50% der geschätzten Kosten entfallen allein auf indirekte Folgekosten wie Arbeitsausfall oder Frühpensionierung. Die direkten Kosten für stationäre und ambulante Behandlungen betragen 30%. Die medikamentöse Therapie verursacht nur 2% der Gesamtkosten.

Die Studie habe alle verfügbaren Daten zu Kosten des schweizerischen Gesundheitssystems sowie Hochrechnungen des “European Brain Council” ausgewertet. Da aber die Datenlage für einige Erkrankungen und Kostenfaktoren ungenügend sei, würden die Kosten der psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen vermutlich noch unterschätzt, urteilen die Autoren der Studie.

Europäischer Vergleich

Verglichen mit den europäischen Nachbarländern scheint das Schweizer Gesundheitswesen im Umgang mit psychiatrisch-neurologischen Krankheiten pragmatischer zu sein. Dies obwohl die Schweiz eines der teuersten Gesundheitssysteme unterhält und das Kostenwachstum steigt.

“Andere Länder weisen einen Kostenanteil von 10 bis 14% für Psychiatrie-Neurologie auf”, sagt Wulf Rössler, einer der Studienautoren und Professor für klinische Psychiatrie an der Uni Zürich, gegenüber swissinfo.

Laut Rössler stigmatisieren die Schweizer neuropsychiatrische Probleme weniger als andere europäische Länder. “Doch dies genügt noch nicht.”

Rössler sagt, die Schlüsselfrage der Politiker auf diesem Gebiet laute immer, ob zu viel oder zu wenig Geld für mentale (Geistes-)Krankheiten ausgegeben werde, dass die Behandlungen im Spital teuer seien und dass gespart werden könnte.

Vorbeugung und Früherkennung spart Kosten

Für den Arzt Wulf Rössler hingegen haben Vorbeugung und Früherkennung Priorität. “Bei der Schizophrenie zum Beispiel weiss man, dass es drei bis fünf Jahre dauert, bis sich die Patienten zum ersten Mal in eine Klinik begeben.”

“In dieser Zeit kann eine Menge passieren, nicht nur krankheitsmässig, sondern auch gesellschaftlich. So verlieren die meisten in dieser Zeit ihre Jobs. Die Medizin muss deshalb viel früher eingreifen können, möglichst noch bevor all diese schädlichen Konsequenzen der Krankheit auftreten”, so Rössler.

swissinfo, Isobel Leybold-Johnson und Agenturen

Laut der Studie sind psychiatrische Erkrankungen die teuersten. Auf sie, also auf mentale Krankheiten, entfallen 78% der Kosten für Gehirn-Erkrankungen.

Die Forscher haben in dieser Zahlen auch die Folgekosten einberechnet, zum Beispiel Arbeitsunfälle oder Frühpensionierungen. Allein auf die Folgen entfallen 50% aller Kosten.

Auf die stationäre und ambulante Behandlung entfallen 30 Kostenprozente, während auf medikamentöse Therapien nur 2% entfallen.

Die gesamten Gesundheitskosten für die Schweiz sind in dieser Studie nicht erwähnt. Das Bundesamt für Statistik schätzt diese auf knapp 52 Mrd. Franken, oder 11,5% des Bruttosozialprodukts (2004).

Der Schweizer Bevölkerung geht es psychisch besser als noch vor zehn Jahren.

Laut dem Monitoring-Bericht des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums von Ende August 2007 bezeichnen über die Hälfte der Schweizer ihr Wohlbefinden und ihre Ausgeglichenheit als hoch.

Die Anzahl der Personen, die psychologische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen, hat sich leicht erhöht.

Nach 2003 ist dies der zweite Monitoring-Bericht zur psychischen Gesundheit.

Er beschreibt den psychischen Zustand der Bevölkerung und zeigt Veränderungen auf.

Psychische Gesundheit umfasst Aspekte wie emotionale Stabilität, psychische Belastbarkeit, die Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen oder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, persönliches Wohlbefinden oder Selbstbewusstsein.

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