Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Teurerer Strom – trotz oder wegen der Liberalisierung?

Stromproduktion und Stromverteilung wird seit der Deregulierung nicht mehr vom gleichen Unternehmen erbracht. swissinfo.ch

Kaum ist der Strommarkt in der Schweiz teilweise liberalisiert, sollen die Strompreise steigen, um bis zu 25%. Diese Ankündigungen haben bereits zu geharnischten Reaktionen geführt. Der Netzbetreiber Swissgrid soll schuld daran sein.

Wie in anderen Ländern Europas war die Deregulierung auch in der Schweiz vor allem mit dem Argument eingeführt worden, dass dadurch Monopole aufgebrochen und die Strompreise sinken würden.

Nun schlagen die Strompreis aber auf. Zahlt der Konsument die Zeche für eine verfehlte Liberalisierungspolitik?

Transparenz als Voraussetzung

“Vor der Deregulierung des Strommarktes kannten die Elektrizitätsunternehmen nur den Verkaufs- oder Endpreis”, sagt Matthias Finger, Professor für Management von Netzwerk-Industrien in Lausanne. “Sie hatten diesbezüglich wenig Kostentransparenz.”

Finger ist Mitglied der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom), die als unabhängige staatliche Behörde die Liberalisierung des Strommarktes überwacht.

Dank Deregulierung sollte nun erstmals Kostentransparenz erreicht werden. Diese ist erste Voraussetzung für eine Preissenkung. “Früher waren den Elektrizitätsunternehmen die Kostenanteile ihres Strompreises unbekannt. Sie wussten kaum, wie viel Kosten auf die Stromproduktion und wie viel auf den Stromtransport entfielen”, so Finger gegenüber swissinfo.

Teure Netznutzung

Für diesen Stromtransport wird 2009 nun die neue Nationale Netzgesellschaft Swissgrid insgesamt eine Milliarde Franken in Rechnung stellen. Im Verwaltungsrat von Swissgrid sitzen sowohl die grossen Stromproduzenten als auch die Vertreter der Behörden.

Diese erhöhten Transportrechnungen werden von den rund 900 Stromverteilern nun weiter an die Endkunden gegeben. Für das Bekanntmachen der neuen Tarife hatten sie bis Ende August Zeit. Und fast unisono wird Swissgrid jetzt von allen als hauptsächliche Ursache für die Preiserhöhungen genannt.

Aber ElCom-Sprecher Frank Rutschmann relativiert: “Swissgrid ihrerseits hatte diese Tariferhöhung bereits letzten Mai bekannt gegeben. Einen Aufschrei gab es im Mai jedoch keinen.”

Immerhin: Die kleinen Stromversorger hatten sich darauf bei der ElCom beschwert. “Und die ElCom leitete deshalb bereits vor zwei Monaten ein Verfahren gegen Swissgrid ein”, so Rutschmann.

Mehr Kompetenzen als Preisüberwacher

Die ElCom prüft nun, ob beispielsweise die Neubewertung des Übertragungsnetzes nach den Vorgaben des Stromversorgungsgesetzes erfolgt ist. Wegen des laufenden Verfahrens kann der ElCom-Sprecher noch keine Auskunft geben, ob die Tariferhöhung in diesem Fall gerechtfertigt ist oder nicht.

Die ElCom hat ab 2008 vom Preisüberwacher für die Übergangszeit bis 2014 das Dossier “Strompreise” erhalten. Nur: Im Gegensatz zum Preisüberwacher, der nur Empfehlungen aussprechen darf, vermag die ElCom auch Tarifsenkungen zu verfügen.

Matthias Finger schränkt auch hier ein: “Der Strompreis setzt sich aus drei Grössen zusammen, von denen die ElCom nur auf eine einwirken kann, und zwar den Transport-Anteil.” Zum Herstellungs-Anteil, der ein Produktions- und Marktpreis sei, habe die ElCom nichts zu sagen, mit der Liberalisierung habe dieser nichts zu tun.

Auch zu den Steuern, inklusive den ökologisch motivierten Lenkungsabgaben, kann sich die ElCom nicht äussern, obschon diese ebenfalls als Gründe für die Verteuerung des Stroms gelten.

Wahlfreiheit kommt erst 2014

Erst ab 2014 werden auch die Konsumenten die freie Wahl des Stromverteilers haben. “Ein Stadtberner wird also ab 2014 Strom aus Zürich beziehen dürfen, wenn ihm der Tarif des Berner Verteilers zu teuer ist.”

“Ähnlich auch wie bei der Mobiltelefonie”, so Finger, “da kann der Konsument auch wählen, ob er sich Swisscom, Orange oder Sunrise anschliesst – egal, wo er wohnt.”

Doch bis 2014 sei der Konsument noch gezwungen, den Strom bei seinem regionalen Verteiler zu beziehen, sagt das ElCom-Mitglied. Was den Stromverteilern auch das Überwälzen der Swissgrid-Transporttariferhöhung auf den Endkonsumenten erleichtert.

Erfahrungen im Ausland: Zuerst hoch, dann runter

In der EU hat die Strom-Deregulierung schon früher begonnen. “Im Gegensatz zur Schweiz haben die Regulierungsbehörden in Deutschland mehr Kompetenzen”, sagt Rutschmann. “Sie dürfen beispielsweise Tarifabsenkungen im Voraus festlegen oder zur Beweissicherung Razzien durchführen.”

Auch Matthias Finger sagt, dass in Deutschland und Österreich die Strompreise nach der Deregulierung erst mal nach oben schnellten, um dann vom Regulator wieder nach unten korrigiert worden zu sein.

swissinfo, Alexander Künzle

Ende 2006 hat Swissgrid als Nationale Netzgesellschaft ihre operative Tätigkeit aufgenommen.

Sie spielt die Rolle einer neutralen Übertragungs-Netzbetreiberin.

Vor der Deregulierung des Strommarktes hielten die Energiegesellschaften integral Stromerzeugung, Verteilung und Vertrieb in ihren Händen.

Sie ist zuständig für das schweizerische Hochspannungsnetz in der Länge von 6700 km.

Sie gewährleistet, dass alle Marktteilnehmer (Stromproduzenten) das Netz benutzen können.

Mit Swissgrid gleicht sich die Schweiz in wesentlichen Punkten der EU-Verordnung für den grenzüberschreitenden Stromhandel an.

Die Liberalisierung der Strommärkte beinhaltet die Öffnung der Märkte und das Recht auf Durchleitung.

Beim Recht auf Durchleitung muss auch der Stromtransit geregelt werden (Vertrag Schweiz – EU).

In der EU wurde die Liberalisierung des EU-Strommarktes im Juli 2007 beschlossen.

In der Schweiz ist das Stromversorgungs-Gesetz (StromVG) im Januar 2008 fast vollumfänglich in Kraft getreten.

Es sieht vor: ab 2009 freie Lieferantenwahl für Grosskunden; ab 2014 freie Lieferantenwahl für alle Endverbraucher.

Die Schweiz als Stromdrehscheibe Europas erwirtschaftet mit dem Stromfluss über die Grenzen einen jährlichen Handelsüberschuss von rund 1 Mrd. Franken.

Von diesem Strom stammt über die Hälfte aus Wasserkraft, also einer erneuerbaren Energiequelle.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft