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Val Grande: Auf den Spuren von Carlo Sutermeister

Blick ins Val Pogallo; im Vordergrund die verfallene Alpe del Braco, typisch für das Val Grande. Rotpunktverlag

Italiens grösstes Wildnisgebiet, der Nationalpark Val Grande, ist eng verknüpft mit dem Schweizer "Carlo" Sutermeister. Der Ingenieur entwickelte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine vielfältige Tätigkeit in Raume Pallanza am Lago Maggiore.

Die grossen Granitplatten sind stellenweise kunstvoll in der senkrechten Felswand verankert. In der Tiefe rauscht der Rio Pogallo. Zu beiden Talseiten schwingen sich steile, mit dichten Buchenbeständen bewachsene Bergflanken auf.

Der italienische Nationalpark Val Grande liegt über dem dicht besiedelten und touristisch stark genutzten Gebiet um den Lago Maggiore, zwischen Domodossola im Westen, Verbania im Süden und dem Val Vigezzo im Norden. Val Grande ist ein 150 km2 grosses, von wilden Tälern zerklüftetes Gebiet.

Das grösste Wildnisgebiet Italiens ist seit 1992 ein Nationalpark. Das einzige Dorf im Park, Cicogna, zählt 16 Einwohner und ist der Ausgangspunkt unserer Wanderung, die uns ins einstige Pionierdorf Pogallo (777 M.ü.M.) führt.

“Strada Sutermeister”: Holz als wichtige Ressource

Erschlossen ist das Tal seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch die “Strada Sutermeister”, benannt nach dem Erbauer, dem Zofinger Karl Konrad “Carlo” Sutermeister (1847-1918).

Der Ingenieur war 1860 nach Pallanza ausgewandert, wo er bedeutende technische und unternehmerische Tätigkeiten entfaltete. Sein solide gebauter Höhenweg diente der Holznutzung, der Ausbeutung des sogenannten grünen Goldes des Pogallotals. Ende des 19. Jahrhunderts herrschte in Oberitalien grosser Bedarf an Bau- und Brennholz. Ein Grossteil des Holzes für den Bau des Mailänder Doms stammt aus dem Val Pagallo, also aus Sutermeisters Unternehmung.

Goldgräberstimmung in Pogallo

“In Pogallo muss um 1890 eine eigentliche Goldgräberstimmung geherrscht haben”, sagt Bernhard Herold, Autor des neuen Wanderführers zum Nationalpark Val Grande. Hunderte Arbeiter lebten hier. Es gab sogar eine Arztpraxis, eine Schule und selbst eine Polizeistation.

Das Dorf war elektrifiziert – Sutermeister hatte ein kleines Kraftwerk gebaut. Die imposante Ruine seines Direktionsgebäudes steht noch heute. Anfänglich wurden die Holzstämme zum Lago Maggiore hinunter geflösst, später baute Sutermeister eine Holz-Transportseilbahn im Pogalloflussbett, die teilweise mit elektrischem Strom aus dem Kraftwerk in Cossogno betrieben wurde.

1. Wasser-KW mit Wechselstrom

Es handelte sich um das erste Wasserkraftwerk mit Wechselstrom-Hochspannungsübertragung, eine technische Innovation für die damalige Zeit. 1882 konnten dank dem Strom Intras und Pallanzas Wege und Plätze, als erste Städte Italiens, beleuchtet werden. Sutermeister gelang damit eine europäische Neuheit.

Als innovativer Unternehmer hat er massgeblich zur Entwicklung der Region beigetragen. So brachte er in den 1870er Jahren die Textilindustrie (Spinnerei, Weberei, Färberei) zur Blüte.

Das Dorf Intra galt schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts als kleines “Manchester” des Lago Maggiore. Carlo Sutermeister war der glückliche Erbe eines Unternehmens, dessen Grundsteine andere Zofinger vor ihm gelegt hatten: Der Textilfabrikant Johann Jakob Müller hatte bereits 1808 die erste mechanische Baumwollspinnerei gebaut.

Der “Alfred Escher” des Ossolatals

Das Unternehmen wurde 1852 von Karl Cornelius Sutermeister, dem Onkel von Carlo Sutermeister, übernommen. Und der Enkel hat das Erbe in bester Tradition weiterentwickelt: Als erster Industrieller Italiens hat Carlo Sutermeister eine Betriebsunfallversicherung für seine Arbeiter eingeführt.

Er gründete daneben die “Banca Popolare di Intra” und 1890 ein Schiffahrts-Unternehmen. “Carlo Sutermeister war so etwas wie der Alfred Escher der Region Verbania”, stellt Autor Bernhard Herold fest. Der Industrie- und Eisenbahnpionier Escher initiierte den Gotthardtunnel, die Schweizerische Kreditanstalt (CS), die Rentenanstalt (Swiss Life) etc.

1877 heiratete Sutermeister die Pallanzerin Carolina Manni, die ihm 12 Kinder gebar. Als Förderer des Val Grandes erhielt er das Ehrenbürgerrecht von Intra; eine Gedenktafel erinnert an ihn.

Die Leute bedachten ihn auch mit dem Titel “Il signore della Valle”. Neben seinen Unternehmungen galt Sutermeisters Leidenschaft den Bergen des Val Grandes; er gründete eine eigene Sektion Verbano-Intra des Club Alpino Italiano CAI.

swissinfo, Stefan Hartmann

Auf der neuen Wanderkarte 285 T von Swisstopo sind die Wege rot markiert.

Neben Tageswanderungen gibt es mehrtätige Trekking-Touren ins Parkinnere, etwa die “klassische”, dreitägige Traversierung von Malesco aus.

Sie ist nur geübten Wanderern zu empfehlen. Übernachten in nicht bewarteten, einfachen Bivacci (gratis). Essen muss mitgetragen werden. Karte, Kompass und ev. Höhenmeter sind empfohlen. Kein Handy-Empfang!

Von Alleingängen ins Parkinnere wird abgeraten. Sehenswertes Heimatmuseum in Malesco.

Während der Faschismuszeit war das Val Grande ein wichtiges Rückzugsgebiet der Partisanen.

Deutsche Einheiten drangen 1944 ins Val Grande ein und töteten hunderte Partisanen. Dabei wurden auch viele Alpsiedlungen zerstört.

Ein Partisanenmuseum gibt es in Fondotoce (Verbania).

– Wanderführer: “Nationalpark Val Grande”, Bernhard Herold Thelesklaf, Rotpunktverlag 2008, 295 Seiten

– Swisstopo-Wanderkarte 285 T, Domodossola (2008)

– Anreise ab Domodossola mit der Centovalli-Bahn ins Valle Vigezzo oder mit der italienischen Staatsbahn nach Verbania

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