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Verteidiger geisseln Bundesstaatsanwalt

Moritz Suter (links) und André Dosé bestreiten alle gegen sie vorgebrachten Vorwürfe. Keystone

Nach der ersten Woche in der Hauptverhandlung gegen die frühere Crossair-Spitze wegen des Absturzes eines Jumbolino forderte der Staatsanwalt bedingte Haftstrafen, die Verteidigung Freisprüche.

Moritz Suter und André Dosé sind die prominenten Angeklagten in diesem Prozess. Der Gründer der Crossair sowie der ehemalige CEO sitzen auf der Anklagebank, weil die Bundesanwaltschaft überzeugt ist, dass der Absturz von Bassersdorf (Kanton Zürich) vom 24.November 2001 hätte verhindert werden können, wenn die Angeklagten ihrer Pflicht nachgekommen wären.

Bei dem damaligen Crash starben 24 Personen, darunter die Piloten, im Landeanflug eines Linienflugs von Berlin auf Zürich-Kloten. Weitere neun Personen wurden verletzt, überlebten das Unglück aber im Heckteil des Flugzeugs Jumbolino wie durch ein Wunder.

Der ganze Prozess dreht sich um einige Grundsatzfragen. Hätten die damaligen Crossair-Verantwortlichen die angeblichen Mängel des Unfallpiloten frühzeitig erkennen und ihn aus dem Verkehr ziehen müssen? Wie stand es wirklich um die Defizite dieses Piloten?

Crossairs umstrittene Sicherheitskultur

Diese Fragen wiederum wurden im Kontext einer Debatte um die laut Anklageschrift mangelhafte Sicherheitskultur bei Crossair diskutiert. Um ökonomisch rentabel zu sein, hätten Suter & Co. bei der Sicherheit gespart, so der zentrale Vorwurf.

Über 20 Zeugen und Sachverständige wurden angehört. Piloten, Flottenchefs, ehemalige Fluglehrer, Mitarbeiter des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL)) sowie dessen ehemaliger (und 2003 gefeuerte) Behördenchef André Auer. Dabei zeigte sich ein sehr widersprüchliches Bild.

Einige Zeugen prangerten die Crossair-Sicherheits-Kultur an – etwa wegen einer systematischen Unterschreitung der vorgeschriebenen Mindestanflughöhe bei Landungen. Auch die Wartung der Flugzeuge sei zu kurz gekommen. Andere wiederum nahmen die Crossair und ihre Kader in Schutz.

Fragen zum Unfallpiloten

Dies galt auch für den Unfallpiloten Lutz. Zwar wurde nicht bestritten, dass er zwei Umschulungen auf eine MD-80 im Jahr 1996 wegen krasser Mängel abbrechen musste. Andererseits flog er danach fünf Jahre ohne Auffälligkeiten auf dem Saab 340, absolvierte wenige Monate vor dem Absturz die Umschulung auf den Jumbolino mit Erfolg und war als Fluglehrer tätig.

Auffällig war im Prozess, dass die Kritik fast immer von Leuten kam, die bei der Swissair gearbeitet hatten. Der Konflikt zwischen der (ehemaligen) nationalen Fluggesellschaft und der Regionalfluggesellschaft Crossair ist wie eine Matrize für die laufende Hauptverhandlung.

Bundesstaatsanwalt Carlo Bulletti hat auf Grund der seiner Meinung nach mangelnden Sicherheitsgarantien gefordert, alles sechs Angeklagten der fahrlässigen Tötung für schuldig zu sprechen. Je zwei Jahre Haft bedingt forderte er für Suter und Dosé, zwischen 12 und 18 Monaten Haft bedingt für die weiteren sechs Angeklagten.

Anklageschrift zerpflückt

Suters Anwalt plädierte hingegen auf Freispruch für seinen Mandanten. Und auch die restlichen Verteidiger haben dies angekündigt. Teilweise müssen sie noch plädieren.

Kritisiert wird insbesondere die mangelnde Qualität der Anklageschrift. Bulletti habe nur Behauptungen aufgestellt, aber keinerlei Beweise gebracht. Insbesondere hätte er nicht nachweisen können, dass der Absturz des Jumbolinos in kausalem Zusammenhang mit Unterlassungen oder Nachlässigkeiten der Unternehmensleitung gestanden habe.

Die Anklage “ist einfach eine allgemeine Diffamierung, weil es an Fakten fehlt”, wetterte Suters Anwalt Bruno Gehrig. Die Bundesanwaltschaft sei offenbar blind Leuten gefolgt, die “offene Rechnungen begleichen wollten”.

“Adäquat kausal”

Eine Anklage muss laut Gehrig genau aufzeigen, wann und wo sich ein Angeklagter auf welche Weise schuldig gemacht habe. Somit wisse ein Angeklagter, was ihm genau vorgeworfen werde. Und er habe die Möglichkeit, sich genau gegen diese Vorwürfe zu verteidigen. Dies sei nicht geschehen.

Bundesstaatsanwalt Bulletti hat in seinem Plädoyer stets davon gesprochen, die Angeklagten hätten “adäquat kausal am Unfallgeschehen” teil gehabt. Ob dieser Vorwurf am Ende für eine Verurteilung ausreicht, muss das Gericht entscheiden.

swissinfo, Gerhard Lob, Bellinzona

Die Regionalfluggesellschaft wurde 1978 von Moritz Suter gegründet. Heimatflughafen war der Euro-Airport Basel-Mulhouse-Freiburg.

Die Airline war auf innereuropäische Flüge spezialisiert.

1988 musste die Gesellschaft 41% der Aktien an die damalige Swissair verkaufen, um wirtschaftlich überleben zu können.

1993 wurde Crossair mit der Übernahme der Aktienmehrheit zur Swissair-Tochterfirma.

Nach dem Grounding der Swissair im Oktober 2001 diente die Crossair als Grundlage für den Aufbau der Nachfolgegesellschaft Swiss.

Der Prozess findet vor dem Bundesstrafgericht statt, weil an Bord eines Luftfahrzeugs begangene strafbare Handlungen der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen.

Sitz des Bundesstrafgerichts ist Bellinzona (Tessin). Die Verhandlung findet aber nicht im eigentlichen Sitzungssaal des Gerichts, sondern im Saal des Gemeinderats der Stadt Bellinzona statt.

Die sechs Angeklagten sitzen zur Rechten des Gerichts. Jeder Angeklagter hat seinen Anwalt zur Seite. Auf der Linken haben sich der Staatsanwalt des Bundes, Carlo Bulletti, und zwei Mitarbeiter eingerichtet.

Das Gericht tagt in Dreierbesetzung unter Vorsitz von Bundesstrafrichter Walter Wüthrich. Zwei Referenten stellen die Fragen. Verhandlungssprache ist deutsch. Das Urteil erfolgt voraussichtlich am 16 Mai und kann angefochten werden.

Der Prozess wird von einigen Medienvertretern verfolgt. Bisher sind nur sehr wenige Besucher aufgetaucht.

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