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Vom Konsumhoch zum Schuldenberg

Schönheitsartikel gehören bei jungen Frauen neben Handy und Kleidern mit zu den Gründen der Überschuldung. Keystone

Seit einiger Zeit schlagen Schuldenberatungs-Stellen Alarm: Jugendliche in der Schweiz verschulden sich immer mehr. Wer ist schuld am Schuldenberg?

Sich verschulden wird zur puren Prozedurfrage: Plastikkarte, Teilzahlung und Leasing machen es möglich. Doch der Umgang damit müsste gelernt sein.

Mario Roncoroni, Verein Schuldensanierung Bern

Die Jungen machen es doch oft nur ihren Eltern nach

Haben statt Sein, predigt die heutige Konsumgesellschaft. Mit Markenjeans im geleasten BMW sitzen und mobil telefonieren – so sieht heute die Ideal-Beschäftigung vieler Jungen aus.

Ihre Schuldenkarriere nimmt dabei meist mit überbordenden Handyrechnungen ihren Anfang, noch während des Volksschulalters. Ab vollendetem 18. Altersjahr werden Jugendliche “mündig” und können Verträge abschliessen.

Dann kommt die nächste Kredit-Versuchung: Die Jungen werden juristisch kreditfähig und legen überall dort nach, wo es ihnen die Eltern bisher noch verboten hatten.

Raus aus der Bevormundung, rein in die Schuldenfalle

Ein Auto und andere teure Konsumgüter müssen her. Jetzt kommen die Kleinkredite, die Raten- und Teilzahlungs-Verträge ins Spiel. Leasing-Gebühren und Verzugszinsen häufen sich. Dafür entfallen die Erziehungs-Rechte der Eltern, ihre gesellschaftliche Erziehungs-Verantwortung aber bleibt: Das System der Kreditinstitute macht’s möglich.

Vieles in diesem Kreditgeschäft bleibt von Beginn weg mit Tabus belegt: Das Finanzielle gehört in der Schweiz zum Intimbereich.

Handy-Gesprächsgebühren zählen zu den klassischen Verschuldungsquellen der Jugendlichen. Die Telekom-Gesellschaften, in diesem Bereich oft als Verschuldungsquelle Nr. 1 gebrandmarkt, haben dank dem System der Prepaid-Karten ihr eigenes Schuldenrisiko minimiert.

Doch “ihre schamlose Tarifpolitik haben sie deshalb nicht angepasst”, wie Mario Roncoroni vom Verein Schuldensanierung Bern sagt.

Schuldenberatungs-Stellen lösten vor einem Jahr in der Schweiz einen Alarm aus. Im Herbst 2004 folgte mit “Max.Money” eine nationale Kampagne als Projekt Schuldenprävention. Und Mitte Februar 2005 hat die Kommission für Konsumentenfragen den Bundesrat aufgefordert, politische Massnahmen gegen die Verschuldung der Jungen einzuleiten.

Verschuldungsexperte Roncoroni unterstützt diesen Vorschlag, zielt aber primär auf die Verhaltensweise der Eltern: “Die Jungen machen es doch oft nur ihren Eltern nach. Denn am meisten im Schuldenschlamassel sitzen die 35- bis 45-Jährigen.”

Neue Geldformen – und der Umgang damit

Derweil vereinfacht die Kreditbranche die Verschuldungs-Prozeduren. Einzelne Kreditkarten-Firmen gewähren über die Kreditkarte, eigentlich einem blossen Zahlungsmittel, Kleinkredite: Wer überzieht, muss abstottern, und zwar zum gesetzlich gerade noch erlaubten Höchstzins von etwas über 14,9%.

“Die Plastikkarten-Betreiber wollen heute ebenfalls am Pump-Konsum mitverdienen”, sagt Roncoroni. Und die Jungen müssen heute mit virtuellen Transaktionen und sonstigen abstrakten Geldformen fertig werden, “bei deren Gebrauch man rechnen können muss”, um nicht in den roten Bereich abzugleiten.

“Gegen die neuen Geldformen lassen sich keine Kampagnen fahren”, sagt Roncoroni, “die sind ein Megatrend. Aber den Umgang damit kann man mit Kampagnen verbessern.”

Der Spezialist prangert die Werbung zum Konto-Überziehen an, die zum Konsum verleite. Recht aggressiv tut dies bereits jetzt das Kreditkarten-Unternehmen Viseca mit dem Angebot MyCredit.

Mit MyCredit profitiere der Kunde bis Mitte 2005 von einem Vorzugs-Verzugszins von 8,8%, wenn er sein Kreditkarten-Konto überziehe – was er bis zu einer Höhe von 5000 Franken tun dürfe, wirbt Viseca.

Konsum auf Pump: Wo ansetzen?

So bleiben ein Jahr nach dem Alarm der Schuldenberatungs-Stellen die Rahmenbedingungen weiterhin unklar. Einerseits bemühen sich diese Stellen und die Kommission für Konsumentenfragen um politische Massnahmen, Schuldenmachen einzudämmen.

Der Bundesrat bleibt skeptisch: Er bekämpft eine Motion der St. Galler Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), die eine Ergänzung des Konsumkredit-Gesetzes verlangt.

Laut Meier-Schatz sollen Institute, die Kredite an unter 25-Jährige vergeben, ein Sozialschutz-Konzept erstellen, das Kaufsucht-Prävention und Entschuldung vorsieht.

Doch für den Bundesrat ist das erst seit zwei Jahren rechtskräftige Konsumkredit-Gesetz “Ausdruck eines hart errungenen Kompromisses”, worin sich die Kreditgeber verpflichten, die Kreditfähigkeit ihrer Kunden zu prüfen.

Die Kreditinstitute bemühen sich, innerhalb des neuen, vor vier Jahren erneuerten gesetzlichen Rahmens, der eigentlich den Konsument schützen möchte, das Gewährungs-Verfahren für Kleinkredite zu vereinfachen.

Doch statt die Jugend wegen ihres süchtigen Kaufverhaltens, die Eltern wegen ihres erzieherischen Mankos oder die Plastikkarten-Firmen wegen ihrer kaufkraftsuggerierenden Werbung anzuprangern, sollte den Jungen “das Zahlungswissen und der Gebrauch der neuen Zahlungsinstrumente beigebracht werden”, so Roncoroni. Damit sie auf die falschen Zahlenspielereien der Anbieter nicht mehr hereinfallen.

swissinfo, Alexander Künzle

Als Gründe für die Verschuldung bei Jugendlichen gelten Kaufsucht, Werbung, Geschäftspraktiken (Handyrechnungen) und Konsumkredite.

Bei jungen Frauen sind es vor allem teure Kleidermarken, Coiffeur, Schönheitsartikel, Ausgang.

Bei jungen Männern Autos, Heimelektronik.

Die Verschuldung von Jungen und Erwachsenen nimmt zu, ist aber statistisch wenig erforscht.
1990 kam es zu 1,4 Mio. Betreibungen, 2003 waren es schon 2,4 Mio.
In der Deutschschweiz gaben ein Viertel der 16- bis 25-Jährigen mehr aus als sie verdienen,
machten 80% der überschuldeten Erwachsenen ihre ersten Schulden vor dem 25. Lebensjahr,
lebten 700’000 Personen in überschuldeten Haushalten.
(Quelle: WEMF 2003)

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