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“Der Nationalfonds hat ein Zeichen gesetzt”

Was darf der Mensch? Fragen von Gut und Böse beschäftigen uns, seit Eva Adam mit einem Apfel vom Baum der Erkenntnis verführte. Keystone

Die Nationale Ethikkommission für die Humanmedizin startet unter einem schlechten Stern. Der Nationalfonds hat ihre erste Empfehlung ignoriert und unterstützt ein Genfer Projekt mit embryonalen Stammzellen. Damit hat der Nationalfonds nicht nur die Ethikkommission massiv brüskiert, er tat dies auch mit fragwürdigen Argumenten. Ein Gespräch mit dem Ethiker Klaus Peter Rippe zeigt auf, wie es jetzt weiter geht.

Klaus Peter Rippe, wieso wurde die Nationale Ethikkommission (NEK) übergangen?

Das Problem war, dass dies der erste Auftrag der NEK war. Denn das Ergebnis stand eigentlich von vorneherein fest. Eine Kommission, die neu konstituiert ist, wo die Leute sich noch nicht richtig kennen, keine Spielregeln richtig etabliert sind, kann nichts anderes sagen als, dass sie mehr Zeit für die Diskussion will. Nachdem nun die erwartete Antwort gekommen ist, hat der Nationalfonds etwas entschieden, was vor einem halben Jahr bereits hätte entschieden werden können. Der Nationalfonds hätte schon damals offen sagen sollen, wie seine Position ist.

Hätte eine weitere Verzögerung angesichts der Komplexität der ethischen Sachverhalte überhaupt etwas gebracht?
Ich fürchte nein, denn die Meinungen zur Embryonenfrage sind schon seit einiger Zeit auf dem Tisch. Ein weiteres halbes Jahr hätte der NEK genutzt, aber nicht unbedingt der öffentlichen Diskussion.

Wenn ich vom Standpunkt der öffentlichen Diskussion ausgehe, ist es vielleicht ganz gut, dass der Nationalfonds jetzt ein Zeichen gesetzt hat, an dem man sich auch abarbeiten kann, indem man sich gegen oder für dieses Urteil ausspricht. Das ist wahrscheinlich besser, als wenn man jetzt einfach wieder ein halbes Jahr Pause gehabt hätte.

Der Nationalfonds hat sich bei seiner Entscheidung auf zwei ethische Gutachten gestützt: das eine stammt von der Ethikkommission der Universität Genf, das andere von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Besteht nicht die Gefahr, dass sich Politik und Wissenschaft einfach auf genehme Gutachten stützen und abweichende Gutachten ignorieren?

Diese Gefahr besteht immer. Allerdings muss man eben wirklich sehen, dass diese Kommissionen auf unterschiedlichen Ebenen arbeiten. Die Kommission von Genf ist eine Kommission, die herausfinden muss, ob Forschungsvorhaben der Universität Genf mit geltenden moralischen Meinungen konform sind, ob die Autonomie der Patienten beachtet wird usw. Die Kommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften sucht Standesvorschriften für Mediziner.

Aber um was es jetzt geht, ist, dass wir ein Gutachten benötigen, das weder den Standpunkt der Universität Genf noch den Standpunkt der medizinischen Wissenschaften, sondern den der allgemeinen Öffentlichkeit widerspiegelt. Es müsste also eine breitere Perspektive eingenommen werden und insofern ist es unzureichend, wenn man sich auf diese Gutachten stützt.

Denn in der Embryonenfrage muss eine gesellschaftliche Lösung gefunden werden, weil wir nicht wissen, wie wir mit Embryonen umgehen sollen. Man kann sich hier nur auf ein Gutachten der Nationalen Ethikkommission stützen. Da ein solches noch nicht vorlag, hätte der Nationalfonds einfach sagen können, wir fällen unser moralisches Urteil selber, aber das hätten sie vor einem halben Jahr auch schon tun können.

Der Nationalfonds hat nicht nur die Empfehlung der Ethikkommission ignoriert, er hat auch gleich selbst Richtlinien aufgestellt. Darin verweist der Nationalfonds auf die Zuständigkeit der internen Ethikkommissionen der Hochschulen. Wäre es nicht einfacher, die Forschung würde sich selbst regulieren?

Natürlich kann sich eine Forschungsinstitution selber Richtlinien geben und sie sollte es auch. Denn sie braucht ethische Massstäbe, nach denen sie selbst bei der Bewilligung agiert. Es ist allerdings sehr unglücklich, dass die NEK und die lokalen Ethikkommissionen, wie zum Beispiel der Genfer, gegeneinander ausgespielt werden.

Problematisch ist aber, dass der Nationale Forschungsrat in seiner Stellungnahme leider auch das Gesetz interpretiert. So heisst es zum Beispiel, dass ein Recht auf Leben mit anderen Grundgütern aufgewogen werden könnte. So eine Güterabwägung ist jedoch mit Menschenwürde nicht zu vereinbaren. Also wenn man dem Nationalfonds etwas vorwerfen kann, dann dass er selbst Ethiker und Rechtsinterpreten gespielt hat. Und an dieser Aufgabe ist er ziemlich gescheitert.

Am Schluss entscheidet ja der Gesetzgeber. Die Gesetzgebung hinkt den wissenschaftlichen Möglichkeiten hinterher. Dies wird sich auch mit dem Gesetz über die Forschung am Menschen nicht ändern. Wie sollen Politik und Gesellschaft mit diesen ethischen Herausforderungen umgehen?

In diesem Feld ist es eher umgekehrt, dass die Gesetzgebung der Forschung eigentlich voraus ist. Es sind Dinge verboten, die derzeit einfach noch nicht realistisch sind und in der Schweiz auch nicht vor der Praktizierung stehen, wie zum Beispiel Klonen. Das ist die eine Seite.

Die andere Sache ist die Gesetzeslücke, die den Import von Stammzellen nicht verbietet. Diese Lücke ist letztlich für den Entscheid des Nationalfonds verantwortlich. Aber diese Gesetzeslücke müsste demnächst im Gesetzesentwurf zur Forschung am Menschen geschlossen werden.

So gesehen hätte der Nationalfonds ein bisschen länger warten müssen, zumindest bis diese Vorlage zur Forschung am Menschen vorliegt. Dann wäre die Rechtslage eindeutig gewesen. Aber ich glaube sie wollten einfach wirklich auch ein Zeichen setzen, wo die Forschung steht. Und da solche Zeichen auch etwas bewegen können, ist es ja auch etwas Gutes. Man darf gespannt sein, ob sich diese Zeichen auch im Gesetz niederschlagen.

Dr. Klaus Peter Rippe ist Verfasser der Nationalfonds-Studie zur Rolle von Ethik-Kommissionen und Mitglied der Eidgenössischen Ethik-Kommission für die Gentechnik im ausserhumanen Bereich.


Interview: Hansjörg Bolliger

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