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“Die Gefahr ist gebannt”

Die Mineure feiern nach dem 2. Hauptdurchschlag im Gotthard-Basistunnel in Sedrun. Keystone

Mit dem Hauptdurchschlag in der Weströhre am Mittwoch ist der neue Gotthard-Basistunnel in eine neue Bauphase eingetreten. Der Ausbruch ist abgeschlossen, die Auskleidung steht an.

Maschine gegen Fels. Mensch und Maschine gegen Fels. Letztmals konnte man diesen Kampf am Mittwoch im neuen Gotthard-Basistunnel erleben. Und er ging unter die Haut. Auf Befehl von Baustellenleiter Daniel Spörri bewegte sich die gewaltige Tunnelbohrmaschine (TBM) gegen 12 Uhr in Richtung Norden, um die letzten eineinhalb Meter Fels zwischen den Abschnitten Faido und Sedrun auszubrechen.

Zu imposanten Klängen aus der Filmmusik von “Batman” dauerte es dann länger als erwartet, bis sich der TBM-Bohrkopf  mit seinen Rollenmeisseln und einem Durchmesser von 9,40 Meter zeigte – gerade so, als ob der Fels nochmals besonderen Widerstand leisten wollte.

Erst um 12.50 Uhr kletterte der österreichische Mineur Ernst Günther unter dem Jubel der 350 Anwesenden durch den Bohrkopf und brachte eine Statue der Heiligen Barbara zu einem kleinen Altar, die mit Fotos der acht Arbeiter gedachte, die während des Baus des neuen Gotthard-Basistunnels ihr Leben lassen mussten. “Es war ein unbeschreiblicher Moment”, sagte Ernst Günther gegenüber swissinfo.ch, “nach acht Jahren Arbeit und vielen Schwierigkeiten, die wir gemeistert haben”.

Der längste Tunnel der Welt

In der Tat. Beide Einspurtunnel des Gotthard-Basistunnels sind jetzt auf einer Länge von 57 Kilometern vollständig durchörtert; das 152 km langen System Gotthard-Basistunnel, inklusive aller Tunnel, Stollen und Schächte, ist zu 100 Prozent im Rohbau fertig gestellt. Der am 15. Oktober 2010 in der Oströhre aufgestellte Weltrekord – längster Tunnel der Welt – wurde am Mittwoch in der Weströhre egalisiert.

Für die Vortriebsmannschaften ist der 23. März dabei wohl noch bedeutsamer gewesen als der Durchschlag vor fünf Monaten. Denn für sie endet die “Ära Gotthard”. Viele Mineure werden die Baustelle Faido verlassen und weiter ziehen. Einige Dutzend werden noch bleiben, um die 2600 Tonnen schwere TBM abzubauen, andere hoffen auf einen Anschlussjob.

“Der Charakter der Baustelle ändert sich jetzt total, vom Ausbruch geht’s in den Ausbau”, sagte Christian Krauer, Baustellenchef für den Abschnitt Sedrun. Und Alptransit-Chef Renzo Simoni doppelte nach: “Wir können sagen: Die Gefahr ist gebannt, wir haben es geschafft.”

Die bisherige Ära ist eng verbunden mit der deutschen Firma Herrenknecht, welche die gewaltige Tunnelbohrmaschine geliefert und gewartet hat. Immerhin 56 Prozent des Gesteins wurde mit einer TBM ausgebrochen, die verbleibenden 44 Prozent im Sprengvortrieb. Insgesamt wurde dabei mehr als 28 Millionen Tonnen Fels und Gestein aus dem Berg transportiert. “Dieser Tag ist wie Weihnachten, Neujahr und Ostern zusammen”, meinte denn auch Firmenchef Martin Herrenknecht.

Fest unter Tag

Das Fest unter Tage, zu dem die Gäste sowohl von Faido als auch Sedrun in die Stollen einfahren konnten, richtete sich vor allem an die Mineure, Ingenieure und Planer. Im Vergleich zum Hauptdurchschlag in der Oströhre vom 15. Oktober, der unter gewaltigem Medieninteresse stattfand und weltweit für Aufsehen sorgte, ging es am Mittwoch geradezu bescheiden zu und her.

Politiker waren diesmal nicht zu sehen. Schade aber, dass nicht einmal die Baudirektoren der Kantone Graubünden, Uri und Tessin gekommen waren. Es wäre eine stille Hommage an die Menschen  gewesen, die diesen gewaltige Tunnel bauen – abseits des medialen Rampenlichts.

Die Schwerpunkte der Bauarbeiten im neuen Gotthard-Basistunnel richten sich jetzt auf die Tunnelauskleidung, vorab Betonierung, die Rohbau-Ausrüstung und die bahntechnischen Installationen. Die Alptransit Gotthard AG als Bauherrin will den fertigen Tunnel im Mai 2016 an die SBB als Betreiberin übergeben. Mit Fahrplanwechsel im Dezember 2016 könnte der Tunnel demnach in Betrieb genommen werden. Ein entsprechender Entscheid ist aber noch nicht gefällt.

Mit dem Gotthard-Basistunnel (Fertigstellung 2016/2017) und dem Ceneri-Basistunnel (Fertigstellung 2019) entsteht eine hochmoderne Flachbahn, deren Scheitelpunkt auf nur 550 Meter über Meer liegt. Die bisherigen Bahnverbindungen liegen mit ihren Scheitelpunkten in den Bergen heute auf 1150 Metern.

Mit der neuen Bahnverbindung wird die Route durch die Schweiz viel flacher und 40 Kilometer kürzer. Güterzüge, die auf der neuen Strecke verkehren werden, können länger und bis zu zweimal so schwer sein wie heute – 4000 statt 2000 Tonnen. Und werden zweimal so schnell fahren können wie bisher.

Die NEAT ist eines der weltweit grössten Infrastruktur-Bauprojekte. Der Gotthard- und der Ceneri-Basistunnel sowie jener am Lötschberg (seit 2007 im Betrieb) sind die Kernstücke der NEAT.

Mit dem Bau der Basistunnel und den notwendigen Anpassungen werden zwei Nord-Süd-Bahnachsen durch die Schweiz ausgebaut. Mit der NEAT integriert sich die Schweiz in das wachsende europäische Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz.

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