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“Die Schweiz hat in Kopenhagen etwas zu sagen”

BR Leuenberger Keystone

Der Schweizer Umweltminister Moritz Leuenberger reist vorsichtig optimistisch an den Klimagipfel nach Dänemark. Er hofft auf verbindliche Massnahmen zur CO2-Reduktion und begrüsst das zunehmende Engagement von Seiten Chinas und der USA im Klimaschutz.

swissinfo.ch: Sie sind der dienstälteste Umweltminister Europas. Wie gross ist Ihr Einfluss in Kopenhagen?

Moritz Leuenberger: Der Einfluss der Schweiz ist gemessen an der Zahl ihrer Einwohner und Fläche recht gross, weil wir eine Verhandlungsgruppe leiten, welcher neben der Schweiz Korea, Mexiko, Liechtenstein und Monaco angehören.

Dank dieser Gruppe haben wir Zugang zu den entscheidenden Verhandlungen. Wir haben zudem kompetente Wissenschafter, wie zum Beispiel Thomas Stocker im Weltklimarat (IPCC). Von daher ist die Mitarbeit der Schweiz recht stark.

swissinfo.ch: Am Gipfel geht es um Ziele wie die CO2-Reduktion bis 2050. Wie verbindlich können solche Verträge sein, angesichts der Tatsache, dass viele der jetzigen Akteure dann gar nicht mehr dabei sein werden?

M.L.: Theoretisch kann sich die Ländergemeinschaft bis 2050 absolut binden, sie hat sich in Kyoto auch von 1990 bis 2012 verpflichtet. Ich wüsste von keinem einzigen Politiker von damals, der heute noch im Amt wäre.

Man kann sich sehr langfristig verpflichten und soll das auch. Jetzt geht es um die verbindliche Verpflichtung bis 2020. Ich befürchte allerdings, dass dies in Kopenhagen noch nicht gelingen wird.

Aber es wird viele Länder und Ländergruppen geben, die sich unabhängig von einer internationalen Vereinbarung zu Klimaschutzzielen verpflichten, so etwa die Europäische Union, die Schweiz, Norwegen, Brasilien und Korea. Die gesamte Weltengemeinschaft anerkennt immerhin die wissenschaftliche Forderung, dass bis 2050 eine Reduktion von mindestens 50% erfolgen muss.

swissinfo.ch: China und die USA gehören zu den grössten Ressourcen-Verschlingern und Hauptverursachern in Sachen Umweltverschmutzung. Die USA waren bislang schwierig an Bord zu holen. Könnten sie ein Abkommen blockieren?

M.L.: Die Wahlen haben sehr viel geändert. Die USA wollten sich zuvor zu überhaupt nichts verpflichten, jetzt ist die Rede von 17% CO2-Absenkung bis 2020 gemessen an 2005.

Das ist – verglichen mit unserem Absenkungsgrad von 20% im Vergleich zum Stand von 1990 – zwar relativ wenig. Aber bis zu Obamas Wahl war Bush am Ruder, und in seiner Amtszeit ist der CO2-Ausstoss explodiert.

swissinfo.ch: Wie interpretieren Sie die relativ ambitiösen Reduktionsziele Chinas?

M.L.: China ist ein Schwellenland in einer besonderen Situation. Wir sind der Meinung, dass auch die Schwellenländer ihren Beitrag zu leisten haben. Sie haben jetzt im Vergleich zu früher einen Sprung gemacht. China will das Wachstum des CO2-Ausstosses geringer halten als das Wirtschaftswachstum.

Auch die anderen Schwellenländer haben nationale Programme im Klimabereich verabschiedet, so namentlich Brasilien bei der Abholzung der Wälder und ebenso Indien.

Leider fehlt aber bei den Schwellenländern der Wille, sich in einem internationalen Abkommen zu diesen Zielen zu verpflichten.


swissinfo.ch: Die Schweiz anerkennt die Verantwortung der alten Industrieländer. Wie soll sie konkretisiert werden? Und was erwarten Sie von den Entwicklungsländern?

M.L.: Wir haben zwei Hauptziele: Das eine ist die CO2-Reduktion, das andere die so genannte Adaptation, also die Bezahlung der Schäden, die durch die real bereits existierende Klimaänderung schon da sind.

Die Schweiz hat den Vorschlag gemacht, dass diese Schäden nach dem Verursacher-Prinzip bezahlt werden, nämlich mit einer weltweiten CO2-Abgabe. Dieser Vorschlag ermöglicht es, dass auch Entwicklungsländer, selbst wenn sie einen noch so geringen CO2-Ausstoss haben, Mittel bekommen, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen.

Denn die Folgen sind bei ihnen besonders schwerwiegend. Dieses Verursacherprinzip ist das gerechteste System, das man sich vorstellen kann. Es wird von den anderen Ländern auch akzeptiert und anerkannt.

swissinfo.ch: Der Weltklimarat hat in den letzten Jahren mit seinen Berichten und Szenarien aufgerüttelt. 2008 war ein schöner Schneewinter. Wie kann man die breite Bevölkerung überzeugen, dass die Erde ein gravierendes Klima-Problem hat?

M.L.: Kopenhagen ist ja mit einer ungeheuerlichen medialen Aufmerksamkeit verbunden. Es gibt kein Medium, das die Problematik nicht von allen Seiten beleuchtet. Das trägt seine Früchte.

Die Geschichte unserer eigenen nationalen Klimapolitik zeigt das auch. Noch vor zwei Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass der Bundesrat eine CO2-Abgabe mit Teilzweckbindung beschliesst. Auch ein fixes Absenkungsziel von 20%, sogar vielleicht 30%, falls die anderen Länder ebenfalls einschneidende Massnahmen treffen, war damals noch umstritten.

swissinfo.ch: Ein Umweltminister hat bestimmt Visionen und landet dann immer wieder auf dem Boden der harten Realität. Wie lebt es sich damit?

M.L.: Natürlich ist das Resultat am Ende selten so, wie sich das der zuständige Fachminister gewünscht hätte. Das ist klar. Das erlebt jeder Politiker. Der Finanzminister hätte am liebsten schwarze Zahlen, der Verkehrsminister ein paar Milliarden für seine Infrastruktur. Ich habe aber doch den Eindruck, dass bei uns das Bewusstsein für die Bedeutung einer starken Klimapolitik vorhanden und gewachsen ist.

Mir macht eher die harte Haltung von Indien Sorgen. Brasilien nennt zwar ehrgeizige Ziele, aber sagt gleichzeitig, wir machen alles nur, wenn wir dafür Unterstützung von der internationalen Staatengemeinschaft erhalten.

swissinfo.ch: In den 1980er-Jahren gehörte die Schweiz auf dem Gebiet der Ökologie und des Umweltschutzes zu den führenden Ländern. Jetzt steht sie eher im Schatten der EU und hinter Norwegen. Wie kommen Sie damit klar?

M.L.: Wir haben den Anschluss verpasst. Der entscheidende Rückschlag war, als der Solarrappen abgelehnt wurde, eine Förderabgabe auf Solarstrom, gegen den die Wirtschaft aus allen Rohren schoss. Jetzt sind wir wieder am Aufholen und eigentlich im Gleichschritt mit der europäischen Union.

Noch vor zwei Jahren gab es im Bundesrat die Position, kein Jota weiterzugehen als die USA. Und jetzt ist unbestritten, dass wir gemeinsam mit der EU vorgehen. Das ist für mich ein Fortschritt. Natürlich würde ich noch lieber die Ziele Norwegens teilen, die weiter gehen.

Aber es gilt auch zu relativieren: Andere Länder beschliessen zwar ein Reduktionsziel von 40%. Das ist löblich und ein wichtiger erster Schritt. Glaubwürdig ist er aber erst, wenn auch die Massnahmen zur Umsetzung dieses Ziels beschlossen sind. Wir wollen zwar nur 20% Reduktion, die Massnahmen, die es dafür braucht, sind aber bereits im CO2-Gesetz benannt, das der Bundesrat verabschiedet hat.

swissinfo.ch: Sie erwarten kein Wunder von Kopenhagen, sagten Sie jüngst. Was dann?

M.L.: Ich erwarte erstens, dass möglichst viele wichtige Länder sich verbindlich auf einen Absenkungsgrad festlegen. Und zweitens, dass das erwähnte Verursacherprinzip verabschiedet wird. Werden diese Ziele erreicht, könnte ich mit Kopenhagen zufrieden sein.

Gaby Ochsenbein und Pierre-François Besson, swissinfo.ch

An der UNO-Klimakonferenz von Kopenhagen vom 7. bis 18. Dezember versuchen rund 200 Länder, sich auf ein globales Klima-Abkommen zu einigen, als Nachfolge oder Verlängerung des Kyoto-Protokolls, das Ende 2012 ausläuft.

Das Ziel der Klimakonferenz ist es zu verhindern, dass das Weltklima sich um 2 Grad Celsius erhöht im Vergleich zur vorindustriellen Zeit.

Die zwischenstaatliche Expertengruppe über die Klimaentwicklung (Giec) ist der Meinung, dass eine Treibhausgas-Reduktion der Industriestaaten von 25% bis 40% bis 2020 im Vergleich zu 1990 nötig ist.

Die Giec fordert die reichen Länder auf, bis 2050 80% bis 95% der Treibhausgase einzuschränken. Die Entwicklungsländer sollen dies bis 2050 um 50% tun.

Die Landesregierung schlägt für die Schweiz eine Reduktion von jetzt bis 2020 von mindestens 20% der Emissionen im Vergleich zu 1990 vor. Die Schweiz ist bereit, die Reduktion auf 30% zu erhöhen, je nach Ausgang der Klimakonferenz in Kopenhagen.

Geboren am 21. September 1946 in Biel.

Studium der Rechtswissenschaften in Zürich. Bis 1991 führte er ein Anwaltsbüro.

1972 – 1980: Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Stadt Zürich.

1974 – 1983: Einsitz im städtischen Parlament.

1979: Wahl in den Nationalrat.

1991 – 1995: Regierungsrat des Kantons Zürich.

27. September 1995: Wahl in den Bundesrat. Er steht seither dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) vor.

2001 war Moritz Leuenberger erstmals Bundespräsident, 2006 übernahm er das Amt zum zweiten Mal.

Moritz Leuenberger hat verschiedene Bücher veröffentlicht, so “Träume und Traktanden” (2000), “Die Rose und der Stein. Grundwerte in der Tagespolitik” (2002), “Lüge, List und Leidenschaft. Ein Plädoyer für die Politik” (2007).

2003 wurde er mit dem Cicero-Preis für die beste politische Rede im deutschsprachigen Raum (“Das Gute, das Böse, die Politik”) ausgezeichnet.

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