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“Etwas Grosses bauen in einem kleinen Land”

Martin Heller: "Unsere Zähigkeit hat den Leuten Eindruck gemacht." Keystone Archive

Sechs Wochen bis zur Expo.02. Warum vieles schief lief und wieso die Schweiz die Expo dennoch will - ein Gespräch mit ihrem künstlerischen Leiter Martin Heller.

Martin Heller seit drei Jahren reisen Sie für die Expo praktisch ununterbrochen durch die Schweiz. Sie sind ja auch Ethnologe, wie hat sich ihr Bild der Schweiz in dieser Zeit verändert?

Es hat sich ungemein ausdifferenziert. Meine Vorstellung der Schweiz vor drei Jahren erscheint mir heute reichlich klischiert. Mittlerweile nehme ich die Schweiz als ein viel komplexeres Gebilde wahr. Die Schweiz ist ein Land der Differenzen und der real existierenden Unterschiede.

Diese Vielfalt spiegelt sich auch in der Expo selbst. Gibt es ein Grundgedanke, der sich durch alle Ausstellungen durchzieht?

Das wirkliche Thema der Expo ist Identität. Aber nicht in dem Sinn, dass Identität gestiftet wird, das kann eine Ausstellung nicht. Es geht um den Blick auf das Eigene, um die Auseinandersetzung mit den eigenen Schwächen und Stärken, aber ohne deswegen in eine pausbäckige Nabelschau zu verfallen oder sich zu zermartern. Es geht um den Blick auf die Welt mit Schweizer Augen. Diese Augen sind weit offen, auch an der Expo.

Die Expo musste viel Kritik einstecken. Kann die Expo ihren Auftrag, nämlich “den Zusammenhalt und den Zukunftsglauben des Landes zu manifestieren”, überhaupt noch erfüllen?

Das ist kein Widerspruch. Wahrscheinlich ist es gerade die Überlebenszähigkeit der Expo, die heute einen Grossteil ihrer Akzeptanz ausmacht. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Leute sehr stark darauf ansprechen, dass wir durchgehalten haben. Das gehört vielleicht zum Schweiz-Mythos, dass man solche Zähigkeit schätzt – vielleicht viel mehr als punktuelle Brillanz. Diese Kontinuität, dieses durch das Feuer gehen müssen, hat den Leuten Eindruck gemacht.

Was waren die Gründe für die heftige Kritik an der Expo?

Da gibt es eine Vielzahl von Gründen. Im Rückblick würde ich meinen, dass sich das Land, und nicht nur die Expo-Leitung, sehr schwer getan hat, eine funktionierende Organisation aufzubauen, die in Politik, Kultur und Wirtschaft verankert ist. Zwischen diesen Feldern hat es immer wieder wechselnde Querelen gegeben. Dazu kommt, dass die Expo insbesondere in ihrer Anfangsphase unter eigenen Management-Fehlern gelitten hat.

Kritik kam aber auch aus den eigenen Reihen.

Für viele Kulturschaffenden war die Expo zu Beginn ein fast unendlich grosses Projektionsfeld. Man hoffte, jetzt würde sich alles schlagartig ändern, was an der Schweiz verkrampft, zögerlich und verhockt war. Die Expo bot die Möglichkeit, eine kulturelle Weltsicht einzuführen. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt, auch für die Medien nicht, und deshalb hat dann die Prügelei angefangen.

In der Öffentlichkeit ist das Bild der Expo geprägt von ihren ständigen Finanzierungs-Problemen. Warum hat sich die Wirtschaft nicht stärker für die Landesausstellung engagiert?

Man kann nicht von der Wirtschaft sprechen. Es gibt Unternehmer, die sich sehr für die Expo engagieren, und es gibt Unternehmer, die sich die Freiheit genommen haben, abseits zu stehen. Insgesamt hat die Expo aber ein besseres Ergebnis gegenüber der Wirtschaft deswegen verfehlt, weil sie allzu lange bestimmte Fragen, die für die Wirtschaft wichtig sind, nicht hat beantworten können.

In einem Projekt wie der Expo spielt das Sponsoring eine ganz andere Rolle als im normalen Kultursponsoring. Gelder von der Grössenordnung wie sie die Expo benötigt, werden nicht im Rahmen üblicher Budgets gesprochen. Da braucht es ganz andere Entscheidungs-Prozesse und Entscheidungs-Ebenen. Diese Arbeit hat die Expo lange verpasst. Wir haben erst vor drei Jahren angefangen, Angebote und Begründungen zu entwickeln, die für die Wirtschaft stichhaltig waren. Dazu kam real, dass uns die negative Medienhaltung enorm geschadet hat.

Bekommt die Schweiz jetzt eine andere Expo, als wenn sie das Projekt mit Begeisterung und Engagement begleitetet hätte?

Sie bekommt sicher eine weniger reichhaltige Expo. Wir haben streichen müssen, das ist klar. Wir haben Facetten herausnehmen müssen, und es gibt Orte, wo man dies auch sieht. Doch der Unterschied ist vielleicht gar nicht so gross. Denn bei den Leuten, die mitgearbeitet haben, war immer ein grosser Glaube an das Projekt der Landesausstellung da. Die Arbeit war unglaublich stimulierend. Die Expo bietet die Möglichkeit, einmal eine grosse Spur zu hinterlassen, etwas Grosses zu bauen in einem kleinen Land.

Weder die Weltausstellung in Hannover noch der Millennium Dome in London lösten grosse Begeisterungsstürme aus. Wieso soll dies bei der Expo anders sein?

Die Weltausstellung in Hannover kann man nicht mit der Expo vergleichen. Eine Weltausstellung hat kein Zielpublikum. Sie hat die Welt als Resonanz-Raum und am Schluss ist die Ausstellung dann in Deutschland. Dafür können sich die Menschen nicht begeistern.

In der Schweiz ist das anders, weil die Expo national aufgeladen ist. Die Expo ist bekannt und hat eine Tradition. Sie richtet sich an die sechs Millionen Menschen, die in maximal dreieinhalb Stunden Fahrtentfernung von diesem Ereignis leben. Deshalb glaube ich, dass die Bevölkerung die Expo will.

Wieso sollen die Leute eine Ausstellung besuchen, wo sie sich doch zuhause am TV mit zig Programmen billiger unterhalten können?

Die Besucher und Besucherinnen werden die Ausstellung anders wahrnehmen als zu einer Zeit, wo das Fernsehen und die Medien noch nicht so eine grosse Rolle spielten. Wir haben das Problem, dass wir Dinge kreieren müssen, die eine Anwesenheit vor Ort verlangen. Ereignisse, die das “physische sich Hinbegeben” ermutigen.

Ein Fest kann man nicht auf dem Internet feiern, das geht nicht. Deshalb auch unsere Begeisterung für die künstliche Wolke von Yverdon. Ich kann in der Zeitung oder im Fernsehen die Bilder sehen, aber wenn ich nass werden will, muss ich hingehen. Dies ist eine ganz konkrete Art teilzuhaben. Deshalb ist eine Ausstellung heute – aller Virtualität zum Trotz – nach wie vor ein begehrtes und attraktives Medium.

Die Expo wird am Schluss davon leben, ob es gelungen ist, in einer Mediengesellschaft symbolische Formen zu finden, in denen sich diese Gesellschaft repräsentiert und auch wiedererkennen kann.

Interview: Hansjörg Bolliger

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