Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

“Sicherheits-Lecks schaden der Schweiz”

Ständerat Hans Hofmann will Erklärungen bei den verantwortlichen Stellen verlangen. Keystone

Das Veröffentlichen vertraulicher Dokumente diskreditiert die Schweiz, sagt Hans Hofmann. Darin werden geheime CIA-Gefängnisse bestätigt.

Laut dem Ständerat, dessen Delegation den Geheimdienst beaufsichtigt, hätte ein abgefangener Fax ohne Bestätigung nicht veröffentlicht werden sollen. Nun wird die Militärjustiz aktiv.

Die Publikation eines Geheimdokuments über mutmassliche CIA-Gefängnisse in Europa im “SonntagsBlick” zieht weitere Kreise. Am Montag ist die Schweizer Militärjustiz aktiv geworden. Die Parteien verlangen Aufklärung.

Im Visier der Justiz steht der “SonntagsBlick”. Gegen Chefredaktor Christoph Grenacher und zwei weitere Redaktoren wurde eine Voruntersuchung angeordnet.

Publikation eines Abhör-Rapports

Sie stehen im Verdacht, militärische Geheimnisse veröffentlicht zu haben, wie das Ober-Auditorat der Schweizer Armee mitteilte. Sie hätten in der Zeitung einen Abhör-Rapport des Geheimdienstes publiziert, welcher der militärischen Geheimhaltung unterstellt sei.

Das auf Antrag von Armeechef Christophe Keckeis eingeleitete Verfahren wird vom Untersuchungsrichter des Militärgerichts 6 geleitet.

Die Massnahme erstaune nicht, schrieb Grenacher in einer Stellungnahme. Er übernehme für die Publikation die alleinige Verantwortung. In einem Kommentar räumte er bereits ein, dass sich die Zeitung mit der Veröffentlichung wohl strafbar mache.

Öffentliches Interesse versus Staatsschutz

Die Chefredaktion des “SonntagsBlick” habe das öffentliche Interesse höher gewichtet als die Staatsschutz-Interessen der Schweiz, so Grenacher weiter.

Zudem stelle sich die Frage, ob ein völkerrechtswidriger Akt wie das Abfangen eines Faxdokumentes eines ausländischen Staates überhaupt geahndet werden könne – wie jetzt mit dem Vorwurf der Behörden gegenüber der Zeitung, militärische Geheimnisse verletzt zu haben.

“Wenn die Schweiz etwas Illegales getan hat und dieses Illegale dann unter Geheimhaltung stellt, bleibt die Frage vorerst offen, wer hier der Täter ist”, schreibt Grenacher.

Ebenfalls im Visier: Die Quelle der Indiskretion

Ein zweites Verfahren der Militärjustiz richtet sich gegen eine unbekannte Täterschaft. Formell handelt es sich um eine vorläufige Beweisaufnahme.

Diese soll zeigen, wie der Inhalt des als geheim klassierten Fax aus dem ägyptischen Aussenministerium an seine Botschaft in London mit konkreten Hinweisen auf die Existenz geheimer CIA-Gefängnisse bis zum “SonntagsBlick” gelangte.

Die Verletzung militärischer Geheimnisse wird gemäss Militärstrafgesetz mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, Gefängnis oder Busse bestraft.

Mehrere Gremien sind schon eingeschaltet

In die CIA-Affäre haben sich bereits mehrere andere Schweizer Gremien eingeschaltet. Die Bundesanwaltschaft (BA) hat wegen der möglichen Benutzung der Schweiz und ihres Luftraumes für CIA-Gefangenentransporte ein gerichtspolizeiliches Verfahren eröffnet. Es bestehe der Verdacht auf verbotene Handlungen für einen fremden Staat.

Der freisinnige Tessiner Ständerat Dick Marty, der in dieser Sache für den Europarat ermittelt, sagte am Montag gegenüber der Boulevard-Zeitung “Blick”, der abgefangene Fax sei ein weiterer Hinweis auf geheime Gefängnisse des CIA in Europa – sollte er denn echt sein.

Er frage sich aber, ob das Dokument der Schweiz nicht absichtlich zugespielt worden sei.

GPDel-Präsident reagiert betreten

Der Zürcher Ständerat Hans Hofmann von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) reagierte betreten auf die Veröffentlichung. Die von Hofmann präsidierte Geschäftsprüfungs-Delegation (GPDel) des Parlaments beaufsichtigt die Geheimdienste.

“Dieses Informations-Leck könnte dem guten Ruf der Schweiz und seinem Geheimdienst starken Schaden zufügen”, sagte Hofmann gegenüber swissinfo.

“Das betreffende Dokument war klar nicht zur Publikation bestimmt”, so der Ständerat weiter, “was das Vertrauen der ausländischen Geheimdienste in den schweizerischen erschüttern könnte”.

Seines Wissens sei es das erste Mal, dass wirklich ein als geheim klassifiziertes Dokument einer Zeitung zugespielt werde. Das habe gravierende Folgen. Hofmann hoffe sehr, dass der Täter erwischt werde.

Parteien verlangen Aufklärung

Die Schweizer Parteien reagierten teils unwirsch. Die SVP witterte Verrat und verlangte, Verantwortliche seien vor Gericht zu stellen. Die Sozialdemokratische Partei (SP) verlangte, die Schweiz müsse das angestrebte Freihandelsabkommen mit den USA hinterfragen.

Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) forderte volle Transparenz, die Grünen (GPS) ein entschlossenes Auftreten des Bundesrats gegenüber den USA und deren Geheimdiensten. Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) will vorerst abwarten.

Rumänien dementiert CIA-Gefängnisse

Rumänien dementierte in diesem Zusammenhang, dass es ein CIA-Gefängnis auf seinem Territorium gegeben haben soll.

Im Fax des ägyptischen Aussenministeriums an seine Londoner Botschaft sollen jedoch konkrete Hinweise auf die Existenz geheimer CIA-Gefängnisse gemacht worden sein.

Darin stehe unter anderem, dass 23 Iraker und Afghanen auf dem rumänischen Luftwaffen-Stützpunkt Mihail Kogalniceanu nahe der Hafenstadt Constanta von der CIA verhört worden seien.

Bulgarien, Rumänien: EU-Beitritt steht auf dem Spiel

Ähnliche Verhörzentren gebe es in der Ukraine, im Kosovo, in Mazedonien und Bulgarien. Bulgarien hatte den Bericht bereits zurückgewiesen.

Für Bulgarien und Rumänien steht der EU-Beitritt auf dem Spiel, sollte sich die Existenz von Geheimgefängnissen bestätigen.

Laut dem zuständigen Sprecher der EU-Kommission sind die Staaten verantwortlich, was auf ihrem Territorium geschieht, auch wenn sie allenfalls von den USA nicht informiert wurden.

swissinfo und Agenturen

17. Juni 2004: Laut Human Rights Watch werden vermutliche Terroristen von den USA in rund 15 geheimen Gefängnissen auf der Welt gefangen gehalten.

2. November 2005: Die “Washington Post” bestätigt, dass die CIA Al-Kaida-Mitglieder in acht Ländern in Osteuropa und Asien festhält.

7. November 2005: Der Schweizer Ständerat Dick Marty wird vom Europarat mit den Ermittlungen beauftragt.

8. Dezember 2005: Die US-Aussenministerin Condoleeza Rice schliesst ihren Europa-Besuch ab, ohne auf diesbezügliche Fragen eingegangen zu sein.

14. Dezember 2005: Das Parlament wünscht von der Regierung eine Stellungnahme wegen mutmasslicher CIA-Überflüge. Die Bundes-Anwaltschaft eröffnet ein Verfahren.

8. Januar 2006: Laut “SonntagsBlick” habe der Schweizer Geheimdienst einen ägyptische Fax abgefangen, worin bestätigt werde, dass die CIA Verdächtige in Europa verhöre.

Aufgrund des Satelliten-Abhörsystem Onyx soll der Aufklärungs-Dienst der Armee einen Fax des ägyptischen Aussenministeriums abgefangen haben.
Fünf Antennen von Onyx stehen in Leuk im Wallis, in Zimmerwald und Heimenschwand im Kanton Bern.
Die Schweizer Behörden haben in den USA um eine Erklärung für vier Fluglandungen in Genf Cointrin und für 30 Überflüge nachgefragt.
In diesen Flügen sollen Terrorismus-Verdächtige in Haft-Zentren gebracht worden sein.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft