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3.10.1883 – Zum Schluss der Ausstellung

Ein Gefühl von Wehmut kam über uns, als wir an der Schlussfeier vom 2. Oktober den letzten Gang durch die Ausstellungsräume machten. So viel Schönes und Lehrreiches war da zusammengehäuft und in geschmackvoller Weise vor Augen gelegt, und nun soll es wieder abgebrochen und hinausgestreut werden nach allen Himmelsgegenden. Da haben wir ein Gesammtbild vor uns, was alles unser Vaterland in Kunst und Wissenschaft hervorzubringen vermag; mit Stolz durften wir darauf hinweisen und den Fremden sagen, wo ein anderes Land von nicht grösserem Umfang und Volkszahl zu finden sei, dass sich diesen Leistungen an die Seite stellen lasse? Und wer, der nochmals all diesen Reichtum durchmusterte, empfand es nicht schmerzlich, wie Vieles ihm entgangen sei, das einer näheren Beschauung und Prüfung wert gewesen wäre! Nur einen geringeren Teil von dem, was er aus dieser Ausstellung hätte lernen können, hat ein Jeder derselben mit Heim genommen; nun ist die Gelegenheit, das ungern Versäumte nachzuholen, abgeschnitten: wann wird sie uns wiederlehren? Ein Bild auf das finanzielle Ergebnis genügt, um auf die Frage sich selber eine Antwort zu geben. Wenn trotz des zahlreichen Besuchs die Landesaustellung in Zürich nur mit Hilfe der Lotterie ihr Kosten deckte, so ist das keine Ermutigung für andere Schweizer Städte, von denen kaum eine einen so günstigen Boden für ein solches Unternehmen böte, wie Zürich.


Mit grossem Sinne haben die Männer, welche den Gedanken, einer Schweizerischen Landesausstellung in Zürich in’s Werk zu setzen unternahmen, die Aufgabe erfasst und durchgeführt, und ihr Vertrauen, sofern man nur keine Anstrengung scheue, um möglichst Vollendetes zu bewirken, hat sich weit über Aller Erwarten bewährt. Nicht mit Allem war die tausendstimmige Kritik zufrieden und auch fortan wird ihr noch mancher Stoff geboten sein: hinterher ist es ja so leicht zu tadeln, und nicht nur das, es ist auch in der Tat nicht denkbar, dass bei einem Unternehmen von solchen Dimensionen nicht auch wirklich im Einzelnen Manches fehlen würde. Aber das sind doch alles kleine Dinge im Verhältnis zur Gesamtleistung, die durch das Zusammenwirken von so vielfältiger Arbeit erzielt wurde. Alle die dazu beigetragen haben, verdienen den Dank derer, die reichen Genuss an Anregung und Belehrung, Erweiterung des Gesichtsstreifes oder materiellen Vorheil von dieser Ausstellung empfangen haben – in erster Linie gebührt dieser Dank denen, welche in völlig uneigennütziger Weise ihre Zeit und Kraft dem vaterländlichen Unternehmen gewidmet haben. Wir erregen wohl niemandes Eifersucht, wenn wir hier als bestes Beispiel, nur einen Namen nennen, den des Präsidenten des Zentralkomitees, Albert U. Vögeli-Bodmer. Ein würdigeres Haupt hätte für die Ausstellung nicht gefunden werden können; er vereinigt in sich alle Eigenschaften, die gute Leistung und Vertretung der Sache erforderlich waren, und zugleich war er Allen stehts ein Vorbild treuer und nie ermüdender Hingebung.


Die Ausstellung war eine Ehrentat für die Schweiz, und speziell auch eine Ehrentat für Zürich. Eine pessimistische Stimmung war über uns gekommen, wie in der Politik, so auch in Beziehung auf unsere wirtschaftlichen Zustände. Hörte man die Klagen der Unzufriedenen – die sind immer vorlauter als die Zufriedenen – so hätte man meinen sollen, wir gleiten abwärts auf einer schiefen Ebene und seien schon nicht mehr weit vom Sturz in den Abgrund. Es war um den Mut zu verlieren, wenn man voraussah, dass alles Mühen vergeblich, durch die schwere Übermacht auswärtiger Konkurrenz gelähmt und vereitelt sei. Das ist jetzt anders geworden, und fröhliche Schaffenskraft wieder in die Gemüter eingezogen, die an der Fähigkeit unseres Landes verzweifeln wollten, seinen bisherigen Rang unter den aktiven Nationen zu behaupten. Schwerer als sonst ist heutzutage dieser Kampf ums Dasein geworden, aber im Kampfe stählt sich auch die Kraft. Nicht in der Agonie liegen wir, noch dürfen wir mit Anderen um den Sieg streiten: dies Bewusstsein hat die Ausstellung auf’s Neue angefacht und befestigt, und es ist auch auf dem wirtschaftlichen Gebiete die wahre Quelle aller Erfolge. Wer weiss, ob die Ausstellung nicht ein Defizit herausstellen würde, wenn man sorgfältig alle Kosten von Gewinn und Verlust – für alle Kreise, die mit der Ausstellung in Berührung kamen – ermitteln und eine Bilanz ziehen würde? Sollten, wäre die Rechnung falsch, denn den einen und gewichtigsten Faktor der Wiederaufrichtung unserers wirtschaftlichen Strebens und Selbstvertrauen kann man nicht in Ziffern aussprechen. Er ist ein moralischer Gewinn für die Nation; aus altem Stamme ein sicherer Trieb, der wachsen, grünen und Früchte tragen wird.


Weiter und mächtiger, als alle Reden und alle Schriften und Zeitungsartikel es vermögen, hat der Anschauungsunterricht gewirkt, der hier fünf Monate lang zur Verfügung stand und von mehr als anderthalb Millionen Menschen, von denen Jeder das Geschehene und Gehörte noch weiter in seine Kreise trägt, benutzt wurde. Keines unserer Feste kann solche Massen von Schweizern auf einmal zusammenbringen, wie es diese Ausstellung nach und nach vermochte, und wie hat sich da deutsch, französisch und italienisch gemischt, vertragen und, wenn schon nicht immer in Worten verstanden! Wir sind einander näher gekommen, die Bande welche unsere verschiedenen Sprachstämme in Einigkeit zusammenhalten, haben wieder fester angezogen – den warmen und aufrichtigen Dank auch der Politiker haben sich die Männer verdient, durch deren Unternehmungsgeist und Tatkraft diese Ausstellung so trefflich gelungen ist, dass sie ein in der Geschichte unseres Landes denkwürdiges Ereignis bleiben wird. Geschlossen ist die Ausstellung, aber nicht leicht wird sie durch Grösseres, was in unserem Lande geschehen kann, verdunkelt, nicht bald wird sie vergessen werden. Möge die Saat, die sie gesät hat, reichlich aufgehen zu Nutz und Frommen des Vaterlandes!

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