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Abstimmung im Zeichen der Ausländerstimmen

Im Kanton Waadt können Ausländer zum ersten Mal stimmen gehen. Keystone

Am kommenden Sonntag werden im Kanton Waadt erstmals 11'000 Ausländerinnen und Ausländer an kommunalen Abstimmungen teilnehmen.

Doch die Integration der Ausländer in die Lokalpolitik ist noch weit davon entfernt, in der Schweiz zur Regel zu werden.

Nach Neuenburg, dem Jura und Appenzell Ausserrhoden öffnet der Kanton Waadt am Wochenende erstmals seine Urnen für im Kanton wohnhafte Ausländerinnen und Ausländer.

Seit Jahresbeginn haben die rund 80’000 Personen das kommunale Stimmrecht. Ein Recht, das rund 11’000 von ihnen am 8. Februar in 22 Gemeinden ausüben können. Darunter auch in Renens, einem grossen Vorort der Kantonshauptstadt Lausanne.

“Für unsere Gemeinde, die zu 52% aus Ausländern besteht, ist damit ein demokratisches Defizit behoben”, betont Gemeindepräsidentin Anne-Marie Depoisier und ergänzt:

“Bis jetzt sind die kommunalen Behörden nur von einer Minderheit der schweizerischen Minderheit gewählt worden. Nun erhalten 5000 Ausländerinnen und Ausländer zusätzlich zu den 7000 einheimischen Stimmberechtigten die Möglichkeit, ihr Gewicht in der lokalen Politik geltend zu machen.”

Eine schwache Wirkung

Diese neuen Stimmen dürften die politische Landschaft des Kantons jedoch nicht umkehren. Das ist die Meinung des Präsidenten des Schweizerischen Forums für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM), das an die Universität Neuenburg angekoppelt ist.

“Die Studien aus dem Kanton Neuenburg – wo Ausländer seit 1849 stimmberechtigt sind – zeigen ein vergleichbares Wahl- und Abstimmungs-Verhalten zwischen Ausländern und Schweizern”, sagt Sandro Cattacin.

“Diese beiden Bevölkerungsgruppen verhalten sich entsprechend ihrem soziokulturellen Niveau.” Die Untersuchungen im neuenburgischen zeigen ebenfalls auf, dass die Beteiligung der Ausländerinnen und Ausländer schwächer ist als bei Schweizern.

Parteien haben Interesse

Im Kanton Waadt jedoch – einem der bevölkerungsreichsten Kantone der Schweiz – hat die neue “Zielgruppe” die Parteien auf den Plan gerufen.

“Die Parteien haben den Kontakt mit den Ausländervereinigungen gesucht und sich ihre Schwierigkeiten und Bedürfnisse angehört”, bestätigt Antonio da Cunha, Präsident des Forums für die Integration der Migrantinnen und Migranten (FIM).

“Zusätzlich sind Ausländerinnen und Ausländer generell ärmer als Schweizer Bürger”, unterstreicht da Cunha. Er betont, dass unter der Million Ausländer in der Schweiz beispielsweise eine hohe Arbeitslosenquote herrscht. Sie ist dreimal höher als der schweizerische Durchschnitt.

“Man kann also nicht ausschliessen, dass diese soziale Realität einen Einfluss auf die politischen Kräfteverhältnisse haben könnte”, ergänzt der FIM-Präsident. “Dies umso mehr, wenn Ausländerinnen und Ausländer wählbar sind.”

Diese Möglichkeit des passiven Wahlrechts besteht seit 2000 in jurassischen und seit diesem Jahr in Waadtländer Gemeinden. Die Kantone Freiburg, Neuenburg und Genf dürften bald folgen.

Der Widerstand nimmt ab

“Seit Beginn der 80er-Jahre haben sich Initiativen für das Wahlrecht der Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz multipliziert”, erinnert Forscher Cattacin.

“In den meisten Fällen sind sie von den Schweizer Stimmberechtigten abgelehnt worden. Doch im Laufe der Zeit hat der Anteil Nein-Stimmen stetig abgenommen.”

Diese Entwicklung sei nicht erstaunlich, meint Antonio da Cunha: “Die schweizerische Bevölkerung ist – wie in Europa generell – weitgehend durchmischt. Die Bedeutung der Herkunft definiert sich mehr und mehr über den Wohnort.”

Eine Einbürgerung ist daher nicht mehr unbedingt Voraussetzung, um die politischen Rechte auf kommunaler Ebene wahrnehmen zu können. Diese Idee sei in Integrations-Kreisen schon weit verbreitet, betont da Cunha.

SVP leistet Widerstand

Doch sie wird nicht ohne Einschränkung unterstützt. Hauptsächlich die Schweizerische Volkspartei (SVP) stemmt sich gegen diese Entwicklung.

“Das aktive und passive Wahlrecht bedeutet die Krönung der Integration der Ausländer”, vermutet der Neuenburger SVP-Nationalrat Yvan Perrin. “Und diese Integration geschieht zuerst über die Einbürgerung.”

Bleibt abzuwarten, ob die SVP – derzeit stärkste politische Kraft im Land – weiterhin gegen die Ausweitung der politischen Rechte für Ausländerinnen und Ausländer kämpfen wird.

Sandro Cattacin kann dies natürlich nicht ausschliessen. Doch er stellt fest, dass die generelle Tendenz in der Schweiz derzeit eher dazu neige, die Massnahmen gegen die Einwanderung zu verschärfen, und im Gegenzug die Integration der Ausländerinnen und Ausländer, die schon lange hier leben, zu erleichtern.

swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

Neuenburg war Vorreiter für das Ausländer-Stimmrecht.

Es ist vor allem in der Westschweiz verbreitet.

Nach Neuenburg und Jura hat Waadt am 1. Januar 2004 das Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer eingeführt – jedoch nur auf Gemeinde-Ebene.

Freiburg stimmt im Mai über eine entsprechende Verfassungsänderung ab.

In Genf sind zwei Volksinitiativen hängig.

In der Deutschschweiz sind in Basel und Bern Verfassungsänderungen in Arbeit. Der Kanton Bern will aber den Gemeinden überlassen, ob sie das Recht einführen wollen.

Ein ähnliches Modell strebt Graubünden an. In Appenzell Ausserrhoden haben zwei Gemeinden das Ausländerstimmrecht bereits eingeführt.

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