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Afghanistan: Leben kehrt zurück in die Ruinen

Hausbesuch bei einer Familie in Afghanistan. Jean-Jacques Ruchti

Afghanistan ist gezeichnet von Jahrzehnten des Krieges und der Gewalt. Die Schweiz unterstützt die Menschen dort seit vielen Jahren – heute auf dem Weg zurück in die Normalität.

Der Schweizer Fotograf Jean-Jacques Ruchti hat Afghanistan in den vergangenen Jahren mehrmals besucht.

Mit seinen Fotos legt Ruchti Zeugnis einer Gesellschaft in Wandel ab, wie er im Gespräch mit swissinfo erklärt. Zwischen 2002 und 2005 hat er das Land vier Mal besucht. Dabei dokumentierte er die Arbeit des Hilfswerks Terre des hommes und des Schweizer Friedensforschungs-Instituts swisspeace.

Mit seinen Bildern gibt der Fotograf Schweizer Hilfsprojekten ein Gesicht. Eine Auswahl seiner Bilder ist noch bis Mitte Mai im Forum Schlossplatz in Aarau zu sehen. “Afghanistan. Ist Frieden lernbar? – Eine fotografische Reise durch eine Zivilgesellschaft im Umbruch” entstand in Zusammenarbeit mit swisspeace.

Einen zusätzlichen Einblick ins Afghanistan von heute geben Interviews mit einem afghanischen Flüchtling aus der Schweiz und der swisspeace-Mitarbeiterin Susanne Schmeidl, welche die Projekte in Afghanistan lange Zeit betreut hatte. Die Audio-Informationen runden die Bilder Ruchtis mit weiteren Aussagen über das Land am Hindukusch ab.

swissinfo: Sie haben Afghanistan zwischen 2002 und 2005 vier Mal besucht. Was hat sich in dieser Zeit verändert?

Jean-Jacques Ruchti: Vor allem die allgemeine Lage. Erstens ist es sehr viel sicherer geworden. Sicherer für die Afghanen, aber auch für die Gäste.

Andererseits hat sich vor allem im Bereich Infrastruktur viel getan. Strassen wurden in Stand gesetzt. In der Hauptstadt Kabul wurde ein grosser Teil der Zerstörungen behoben. Zudem wurde ein Telefonnetz aufgebaut.

swissinfo: Was hatte Sie ursprünglich nach Afghanistan geführt?

J-J. R.: Der Entscheid war in erster Linie persönlich. Ich verspürte grosse Neugier, mir ein eigenes Bild von dem Land zu machen. Ich wollte vor allem dort sein, wenn die Amerikaner das Land besetzen würden (Ende 2001).

Doch daraus wurde nichts, in Pakistan war Endstation; es gelang mir nicht, auf dem Landweg nach Afghanistan zu reisen. Rund ein halbes Jahr später klappte es dann, als ich mit der Kinderhilfs-Organisation Terre des hommes (TdH) nach Afghanistan reiste, um deren Projekte zu dokumentieren.

Und 2003 kam ich in Kontakt mit swisspeace und konnte dann auch deren Arbeit und Projekte in Afghanistan fotografisch dokumentieren.

swissinfo: Was erachten Sie als besonders wichtig bei der Art Arbeit, die TdH und swisspeace jetzt in Afghanistan leisten?

J-J. R.: Es geht vor allem um die Stärkung der unbewaffneten Zivilgesellschaft. Konkret zum Beispiel um Projekte in Bereichen wie Bildung und demokratische Schulung. Nach derart viel Gewalt, nach so vielen Jahren der Zerstörung braucht es mindestens eine Generation, bevor das Leben wieder ins Lot kommt.

Mit meinen Bildern versuche ich, den Wandel zu zeigen, aber auch was es braucht, um den Prozess des Wiederaufbaus zu stärken. Oder anders gesagt: Ich zeige die Arbeit von swisspeace in Bildern.

swissinfo: Was hat Sie auf Ihren Reisen durch Afghanistan am meisten fasziniert?

J-J. R.: Die Offenheit und die Ehrlichkeit der Menschen in Afghanistan. Sie beeindrucken mich durch ihre Standhaftigkeit, und durch solide Grundwerte, die wir Menschen eigentlich haben sollten.

Afghanistan ist ein Land, das lässt einen nicht mehr los. Wenn man sich mal in das Land verliebt hat, ist das eine Liebe fürs Leben.

swissinfo: Hat man Ihnen auch schon vorgeworfen, Ihre Bilder seien zu schön, zu ästhetisch?

J-J. R.: Nein, direkt hat mir nie jemand diesen Vorwurf gemacht. Es gab zwar manchmal Echos in diese Richtung, aber ich fasse das eigentlich als Kompliment auf.

swissinfo: Darf man das auch so interpretieren, dass Sie mit Ihren Bildern zeigen, dass Afghanistan nicht nur ein vom Gewalt geprägtes, zerstörtes Land ist, sondern eben auch ein Land, in dem der Frieden, das Leben langsam wieder Fuss fassen?

J-J. R.: Genau. Und die Bilder sind auch Zeugnis davon, dass selbst unter schlimmsten Bedingungen immer auch noch schöne Dinge passieren können.

swissinfo: Ihr Geld verdienen Sie als Werbefotograf. Sind Ihre Reisen nach Afghanistan – etwas salopp ausgedrückt – ihr Sozialengagement?

J-J. R.: Ein bisschen ist es sicher soziales Engagement, aber es gehört für mich ganz klar zur Arbeit des Fotografen, dessen Aufgabe es ist, Bildnis abzulegen. Es geht um den Informationsauftrag des Fotografen.

Gerade heute, in der Zeit des “embedded journalist”, denke ich, ist es umso wichtiger, dass einzelne Leute sich auf den Weg machen und dokumentieren, was eigentlich auf dieser Welt passiert.

swissinfo, Rita Emch

Die Schweiz ist seit mehr als 20 Jahren in Afghanistan aktiv.

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) ist seit 2002 in der Hauptstadt Kabul präsent. Das Büro umfasst 22 Personen.

Die DEZA-Delegation betreut und überwacht über 30 Projekte. Das Budget des Büros beträgt 20 Mio. Franken jährlich.

Die Schweiz hat auch vier Personen an die Internationalen Sicherheitskräfte (ISAF) entsandt.

Die Organisation swisspeace ist in Afghanistan seit 2002 aktiv.

Mit dem Aufbau des Afghan Civil Society Forum (ACSF) gelang es, die Zivilbevölkerung in den Friedens- und Wiederaufbau-Prozess mit einzubeziehen.

Wichtig war dabei der Ansatz, der Stammestradition Afghanistan genügend Raum zu geben.

Seit 2004 wird das Forum von lokalen Kräften geleitet.

Jean-Jacques Ruchti ist 1965 geboren und aufgewachsen in Aarau.
Fotografieausbildung an der Schule für Gestaltung Zürich.
Danach Arbeit als Pressefotograf.
Seit 1995 eigenes Atelier in Aarau.
Regelmässig macht Ruchti als Ausgleich zu seiner kommerziellen Tätigkeit Reportagereisen für Hilfswerke und Umwelt-Organisationen.
Er lebt mit seiner Frau und der knapp 2 Jahre alten Tochter in Aarau.

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