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Alpenpflanzen ohne Grenzen

Adonis vernalis (links) und Adonis pyrenaica. Haupt Verlag

Der Pflanzenatlas "Flora alpina" zeigt erstmals die Pflanzen des gesamten Alpenbogens, von Frankreich über die Schweiz bis Slowenien.

Der Berner Haupt-Verlag, der die 3 Bände auf deutsch herausgibt, spricht von einem Jahrhundertwerk.

“Können Bücher Völker verbindend sein”, fragt der Verleger Matthias Haupt und gibt die Antwort gleich selber: “Ja, keine Frage.” Ob auch ein botanisches Sachbuch dieses Ziel erfüllen kann, bleibt abzuwarten.

Doch die “Flora alpina”, der Pflanzenatlas, den der Verlag, zusammen mit den Autoren, jüngst in Kandersteg präsentierte, hat gute Voraussetzungen dazu: Er zeigt die Pflanzen der gesamten Alpen und ist weitgehend sprachneutral gestaltet, mit Fotos, Karten, Skizzen und Symbolen.

Gewichtiges Werk

Die “Flora alpina” sei das wichtigste Werk in der fast 100-jährigen Geschichte des Berner Haupt-Verlages, sagt Matthias Haupt. “Ein Jahrhundertwerk!” Und es ist wohl auch das Gewichtigste. Fünfeinhalb Kilogramm, 2600 Seiten, 6000 Farbfotos, 4500 Pflanzen, drei Bände.

Neben einer 50-seitigen Einführung sind Band 1 und 2 ganz der Darstellung der Pflanzen gewidmet. Der 3. Band enthält das Register.



Die Volksnamen der Pflanzen sind in fünf Sprachen angegeben: Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch und Slowenisch. Und natürlich kann man auch unter dem wissenschaftlichen Namen nachschauen. Nur die Einführung ist nicht sprachneutral. Bereits gibt es aber eine französische und eine italienische Version.

Genetische Ressource

Die 4500 in den Alpen heimischen Gefäss-Pflanzen machen rund einen Drittel aller europäischen Pflanzen aus. Etwa 500 davon kommen ausschliesslich in den Alpen vor. Es sind so genannte Endemiten, welche die Eiszeiten in kleinen Rückzugsgebieten überdauert haben. Meist sind es Arten oder Unterarten.

Es gibt aber auch drei Gattungen mit je nur einer Art, die sich auf das Gebiet der Alpen beschränken: das Zwergkugelschötchen (Rhizobotrya alpina), die Berardie (Berardia subacaulis) und die Schopfteufelskralle (Physoplexis comosa).

Die Autoren betonen mehrmals die Bedeutung dieses Floren-Gebietes. “Der Schutz seiner zahlreichen endemischen Arten ist auf gesamteuropäischem Niveau von grösster Wichtigkeit.”

Kein Bestimmungsbuch

Die vier Autoren des Buches haben rund eine halbe Million Daten zusammengetragen und verarbeitet. So zeigt der Atlas neben den Fotos der Pflanzen auch Verbreitungskarten, macht Angaben über ökologische Ansprüche, Grösse, Blütezeit, Höhenlage und Vorkommen in anderen Regionen ausserhalb der Alpen.

Das Buch ist jedoch kein Bestimmungsbuch. “Das hätte unseren Rahmen gesprengt,” meint David Aeschimann, einer der Autoren. “Ausserdem gibt es Bestimmungsbücher für die einzelnen Alpenregionen, auf die man zurückgreifen kann.”

Alter Wunsch in der Botanik

David Aeschimann, Konservator am Conservatoire et Jardin botaniques de la Ville de Genève (CJBG), ist der eigentliche Vater dieses Werkes.

Der Wunsch nach einer Gesamtdarstellung der Alpenflora existiert in der Botanik aber schon lange. 1950 zum Beispiel diskutierte die “Société botanique de France” darüber. Aus der Idee wurde damals nichts.

David Aeschimann las die Berichte. Das war 1990: “Ich fragte mich, warum nicht jetzt, warum nicht hier.” Und er setzte die alte Idee in die Tat um: Eine Flora des gesamten Alpenbogens.

Der Alpenbogen berührt acht Länder: Die Schweiz, das Fürstentum Liechtenstein, Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich, Slowenien und zwei kleine Zipfel von Ungarn.

Referenzwerk für die Wissenschaft

In Genf baute er eine Datenbank auf aus den bestehenden Werken über die Alpenflora. Diese enden in der Regel an einer politischen Grenze. “Die Natur hält sich aber nicht an solche Grenzen.”

Die Quellen waren zum Teil auch älteren Datums, die Namen mussten den heute gültigen internationalen Standards angepasst werden.



“Das war eine wichtige Arbeit. Damit ist der Pflanzenatlas nun ein Referenzwerk für Botaniker”, sagt der Mitautor Jean-Paul Theurillat. “So wird die Kommunikation zwischen den Wissenschaftern erleichtert.”

Der Atlas richtet sich aber auch an Pflanzenliebhaberinnen, Floristen, Lernende und Lehrende, und vielleicht ist er sogar mal für Übersetzerinnen nützlich, auf der Suche nach einem Pflanzennamen.

Netzwerk wichtig

95 Prozent der Fotos stammen von Konrad Lauber. Er verfügte schon zu Beginn des Projektes über ein grosses Archiv. Das älteste Foto schoss er bereits 1964. Trotzdem fehlten noch rund 800 Pflanzen für die “Flora alpina”. Sie zu finden, wurde immer schwieriger, besonders die seltenen Endemiten.

Doch er bekam Unterstützung: “Eine ganze Reihe von Kennern bestimmter Alpenregionen verrieten mir Standorte von abgelegenen Seltenheiten oder führten mich sogar hin.” Manchmal waren die Pflanzen schon verblüht, vom Hagel zerstört oder von Ziegen gefressen, wenn er ankam. Dann ging es von vorne los, denn der Ausdruck “keine Abbildung” war für ihn tabu.

swissinfo, Antoinette Schwab

Der Atlas zeigt auf 2600 Seiten 6000 Farbfotos von allen 4500 Gefässpflanzen, die in den Alpen heimisch sind.

Die Volksnamen der Pflanzen sind in deutsch, französisch, italienisch, slowenisch und englisch angegeben.

Die 3 Bände wiegen zusammen 5,5 Kliogramm und kosten 286 Franken (190 Euro).

David Aeschimann, Konrad Lauber, Daniel Martin Moser, Jean-Paul Theurillat: “Flora alpina” – Ein Atlas sämtlicher 4500 Gefässpflanzen der Alpen”. Haupt-Verlag 2004

Die Gefässpflanzen der Alpen machen mehr als einen Drittel aller Blüten- und Farnflanzen Europas aus.

Das Werk erscheint vorläufig in deutsch, französisch und italienisch.

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