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Ernst Wenger (59), Maurerpolier

Mehr als 40 Jahre auf der Baustelle: Ernst Wenger. swissinfo.ch

Noch werden Bauarbeiter in der Schweiz mit 65 pensioniert. Die Gewerkschaft will ein Rentenalter 60. Ernst Wenger ist über 40 Jahre "auf dem Bau". Ein Portrait.

Ernst Wenger, wie lange arbeiten Sie schon auf dem Bau?

Seit über 40 Jahren. 1958 begann ich mit meiner dreijährigen Berufslehre als Maurer. Anschliessend war ich Maurer, später Vorarbeiter und Polier. Als Polier organisiert man die Arbeit auf der Baustelle und koordiniert die Arbeitsabläufe. Um das leisten zu können, habe ich Fortbildungskurse besucht.

Warum haben Sie gerade den Beruf des Maurers ergriffen?

Weil es mir gefallen hat. Draussen zu sein, in einem Team zu arbeiten und am Abend zu sehen, was entstanden ist, hat mich immer fasziniert.

Sie haben die Zeit miterlebt, in der zahlreiche Gastarbeiter in die Schweiz kamen.

Ja, das habe ich. Und ich kann sagen, Probleme hatte ich nie damit. Ich lernte wunderbare Leute kennen. Und machen wir uns nichts vor: Sie waren es, welche die Schwerstarbeit übernommen haben.

Bauarbeiter sind Wind und Wetter ausgesetzt.

Bei jeder Witterung müssen wir raus. Es gibt kein schlechtes Wetter mehr, an dem nicht gearbeitet wird. Allerdings, bei schlechtem Wetter leisten wir nur noch halb so viel. Und trotzdem: Die Termine müssen eingehalten werden. Da gibt es kein Pardon.

Haben Sie unter dem schlechten Wetter gelitten?

Wenn es tagelang, ja wochenlang regnet, dann schon. Das ist mühsam. Auch bei Nebel ist es unangenehm auf dem Bau. Oder bei extremer Kälte. Es schmerzt, eiskalte Gegenstände zu berühren oder mit ihnen zu arbeiten.

Und bei Sonne?

Das ist schon viel angenehmer. Aber aufgepasst, auch die Hitze setzt zu. Da kommt man im wahrsten Sinn des Wortes oft schrecklich “ins Schwitzen”. Aber insgesamt hatte ich lieber heisses als kaltes Wetter.

Wie gefährlich ist die Arbeit auf der Baustelle?

Überall lauern Gefahren. Für mich als Polier war es eine ganz wichtige Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Unfallquellen vermieden wurden. Ich musste “die Löcher abdecken”.

Weiter galt es, die Kollegen zu schulen und auf Gefahren aufmerksam zu machen. Unfälle vermeiden heisst auf dem Bau sauber arbeiten. Die Baustelle selber muss sauber sein.

Ich wurde sogar von der Schweizerischen Unfall-Versicherungs-Anstalt, der SUVA, für meine vorbildliche Arbeits-Sicherheit ausgezeichnet.

Auf dem Bau arbeiten, heisst Schwerarbeit leisten. Wie spürt man das Alter?

Es beginnt in den Gliedern. Plötzlich beginnen sie zu schmerzen. Und der Schmerz bleibt immer länger. So ab 50 Jahren spürt man ihn jedes Jahr ein wenig mehr. Vor allem im Rücken und in den Knien.

Die Leistung geht zurück. Mit Routine musste ich viel wettmachen. Das geht allen so. Doch konnte ich mir kein Nachlassen leisten, denn der Termindruck bleibt. In den vergangenen Jahren nahm er noch zu. Auf dem Bau gibt auch keinen Rückzug auf “einfachere” Tätigkeiten.

Mit 60 in Rente gehen wäre also gerechfertigt?

Sicher! Ein Luxus wäre das nicht. Das finden alle. Es würde auch dem Unternehmen mehr bringen. Arbeiten auf dem Bau wäre wieder attraktiver. Und auch die Qualität würde besser. Denn heute wickelt der Baumeister sein Geschäft nur noch mit wenigen Angestellten ab.

Die eigentliche Arbeit wird an Subunternehmen vergeben. Das drückt die Preise. Diese Leute arbeiten im Akkord. Denen geht es nur noch um das schnelle Geld. Da leidet die Qualität am Bau darunter.

Ernst Wenger, Sie sind eben entlassen worden. Statt Pensionierung mit 60, Entlassung mit 59!

Eigentlich wollte ich mit 62 in Rente gehen und hatte mir alles schön zurecht gelegt. Dann erhielt ich die Kündigung. Als Begründung hiess es, man müsse die Strukturen anpassen! Die Firma verfüge über zu viele leitende Angestellte auf der Baustelle. Ich war eben zu alt, etwas zu wenig leistungsfähig und wohl auch zu teuer.

Und jetzt?

Jetzt suche ich Arbeit. Bewerbe mich und höre immer wieder, dass ich zu alt sei. Annehmen muss ich jede sogenannt zumutbare Arbeit, schreibt das Arbeitsamt vor. Die sind sehr streng mit mir. Das tut manchmal weh. Man hat ja seinen Stolz!

Interview: Urs Maurer

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