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Armut und Ausgrenzung: Junge besonders gefährdet

Immer mehr Jugendliche in der reichen Schweiz fallen unter die Armutsgrenze. Bild: Sozialarbeiter sprechen mit Obdachlosen, Zürich, 2006. Keystone

Immer mehr Kinder werden von der Sozialhilfe abhängig, und immer mehr Jugendlichen gelingt es nicht mehr, in der Arbeitswelt richtig Fuss zu fassen.

In Anbetracht dieser Herausforderungen appelliert die Eidg. Kommission für Kinder- und Jugend-Fragen an ein Überdenken des Generationen-Vertrags.

Der Generationenvertrag müsse den Bedürfnissen der Jungen stärker Rechung tragen und zwar mit einer strategisch klaren Ausrichtung im Hinblick auf Herausforderungen in der Sozial-, Wirtschafts- und Bildungspolitik, fordern Experten nach einer Tagung der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) in Biel.

Armut in der Schweiz sei nach wie vor ein Tabu. Viele zögen es vor, ausgegrenzt und verschuldet im Abseits zu leben, als sich als arm zu outen, schreibt die EKKJ.

“Arm sind immer nur die anderen”

“Arm sind immer nur die anderen: die Nachbarn, die Menschen in der Dritten Welt, die Leute in den Vorstädten Frankreichs und Deutschlands. Aber wir in der Schweiz? Über Geld spricht man nicht. Entweder man hat’s oder eben nicht…”, sagte Pierre Maudet, EKKJ-Präsident an der Bieler Tagung.

Deshalb sei die immer schwieriger werdende wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration der jungen Generation für die Schweiz von enormer Bedeutung. Denn Kinder- und Jugendarmut existiere strukturell und sei nicht ein vorübergehend konjunkturelles und rein wirtschaftliches Phänomen.

Vielmehr sei sie ein gesellschaftliches Problem, das individuell nicht gelöst werden könne. Dringend nötig seien deshalb Lösungen, die die Strukturen ändern.

Sozialhilfe: Heute andere Bezüger-Schichten

Wenn man den Bereich der Sozialhilfe anschaue, stelle man fest, dass sich die Struktur der Bezüger verjüngt habe. “Das sind vor allem eben Kinder, Jugendliche und gleich anschliessend junge Erwachsene”, sagte Matthias Drilling, Dozent an der Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz, Basel.

Die Altersarmut dagegen habe ein bisschen abgenommen, dank den speziellen Ergänzungsleistungen für Senioren, so Drilling gegenüber swissinfo.

Familienergänzungen und angepasstere Schularten

In welche Richtung diese Lösungsansätze gehen könnten, diskutierten rund 200 Experten an der Tagung in Biel. Genannt wurden unter anderem ein massiver Ausbau der familienergänzenden Betreuungsplätze und eine Neuausrichtung der Schulorganisation mit Ganztagesschulen und harmonisierten Stundenplänen.

Daneben soll die Schule die Jugendlichen stärker auf die berufliche Integration vorbereiten. Jugendliche sollten zudem ein Recht auf eine anerkannte Ausbildung haben.

Auch bei der Familienpolitik sehen die Experten Ansatzpunkte, zum Beispiel bei den Ergänzungsleistungen für einkommensschwache Familien oder bei der Harmonisierung des Alimenteninkassos.

swissinfo und Agenturen

Die Eidg. Kommission für Kinder- und Jugend-Fragen organisiert alle 2 Jahre ein Seminar über die Kinder- und Jugendlichen-Politik in der Schweiz. Es treffen sich jeweils 200 Spezialisten.

Jedes Treffen befasst sich mit einem besonderen Hauptthema. Dieses Jahr ging es um die Armut, die Kinder und Jugendliche gesellschaftlich ausgrenzt.

2004 ging es um die Frage der Freiräume für städtische Jugendliche, die immer rarer werden.

Die Resultate der Arbeiten in der Kommission werden nach den Treffen publiziert, wobei auch die Meinung der Jungen mitberücksichtigt wird.

Kinder zu haben heisst heute in der Schweiz ein höheres Armutsrisiko einzugehen.

Besonders hoch ust dieses Risiko bei Alleinerziehenden (vor allem Frauen) und bei Familien mit mehreren Kindern.

Laut der Kommission für Kinder- und Jugend-Fragen figurierte 2003 jede 5. Familie mit drei oder mehr Kindern als so genannte “Working Poor”.

“Working Poor” sind Familien, in denen die Eltern zwar Arbeit haben, aber die Einkünfte dennoch nicht fürs Familien-Budget ausreichen.

Auch jede 5. Familie mit Alleinerziehenden gilt als “Working Poor”.

2003 lebten 233’000 Kinder und Jugendliche in “Working Poor”-Familien.

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