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Asyl: Kanton Solothurn zurückgepfiffen

Asylsuchende mit Nichteintretens-Entscheid haben Anspruch auf Nothilfe. Keystone

Asylsuchenden mit Nichteintretens-Entscheid (NEE) darf laut Bundesgericht die Nothilfe nicht gestrichen werden.

Das höchste Gericht fällte den Entscheid gegen die Solothurner Behörden einen Tag nach der Verschärfung des Asylgesetzes durch den Ständerat.

Die Streichung der Nothilfe bei Asylsuchenden mit NEE würde gemäss Bundesgericht das Grundrecht auf Hilfe in Notlagen verletzen. Es hat die Beschwerde eines Afrikaners gegen den Entscheid des Solothurner Verwaltungsgerichts gutgeheissen.

Die II. öffentlichrechtliche Abteilung kam in ihrer Sitzung vom Freitag mit drei zu zwei Richterstimmen zum Schluss, dass die Streichung der Nothilfe für Asylsuchende mit NEE, die bei der Organisation ihrer Ausreise nicht kooperieren, gegen Art. 12 der Bundesverfassung verstösst.

Nur Verhaltensänderung

Beschwert hatte sich ein Afrikaner, auf dessen Asylgesuch das Bundesamt für Flüchtlinge im vergangenen April nicht eingetreten war.

Nachdem er trotz Wegweisung in der Schweiz verblieb, erhielt er ab Juni 2004 vom Kanton Solothurn während 147 Tagen Nothilfeleistungen in einer Gesamthöhe von 3087 Franken. Ende Oktober wurde ihm ein letztes Zehrgeld von 105 Franken für fünf Tage gewährt.

Für den Fall seines weiteren Verbleibs in der Schweiz wurden ihm weitere Hilfsleistungen gestrichen. Nur wenn er sich ernsthaft um die benötigten Papiere für die Ausreise bemühe, werde die Ausrichtung weiterer Nothilfe geprüft.

Beschwerde abgelehnt

Das Solothurner Verwaltungsgericht wies seine Beschwerde im November ab und verneinte eine Verletzung des Rechts auf Hilfe in Notlagen gemäss Artikel 12 der Bundesverfassung.

Es hatte argumentiert, dass der Betroffene nur sein Verhalten zu ändern brauche, um weiter befristet Nothilfe zu erhalten.

Die Landeskirchen und die Flüchtlingshilfe sehen sich im Bundesgerichts-Urteil bestätigt. Sie pochen weiter auf das in der Verfassung festgeschriebene Recht und erinnern daran, dass niemand in der Schweiz verhungern oder erfrieren darf.

Im Gegensatz zum Solothurner Verwaltungsgericht hatte das Bernische Verwaltungsgericht im November 2004 entschieden, dass das Grundrecht auf Nothilfe auch dann nicht verweigert werden darf, wenn die Betroffenen eine Kooperation verweigern.

Ständerat verschärft Asylrecht

Am Dienstag verschärfte der Ständerat das Asylrecht in einigen Punkten. So dehnte die kleine Kammer den Fürsorgestopp auf alle abgelehnten Asylbewerber aus. Justizminister Christoph Blocher argumentierte, die Sozialhilfe sei ein zu grosser Grund zum Bleiben.

Weiter meinte er, der bisherige Fürsorgestopp für Bewerber mit NEE sei äusserst erfolgreich gewesen.

UNHCR bedauert Ständeratsentscheid

Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) hat die Entscheide des Ständerats zur Verschärfung des Schweizer Asylrechts kritisiert und bedauert.

Das revidierte Gesetz entspreche nun europaweit einer der schärfsten Regelungen und komme zu einer Zeit, in der die Zahl der Asylsuchenden in der Schweiz auf das tiefste Niveau seit 1987 gefallen sei, erklärte die UNO-Organisation am Freitag.

Die schon vor der Debatte geäusserten Vorbehalte seien nicht berücksichtigt worden. Zu den wichtigsten Punkten, die vom UNHCR kritisiert werden, gehört die vom Ständerat beschlossene restriktive Praxis bei der Anerkennung von Ausweispapieren.

Verstoss gegen die Flüchtlingskonvention?

Die Kleine Kammer hatte beschlossen, auf Asylgesuche nicht mehr automatisch einzutreten, wenn die Bewerber nach ihrer Einreise nicht innert 48 Stunden gültige Papiere vorweisen können.

UNO-Experten hatten schon früher kritisiert, dass es bei einer eingeschränkten Zulassung zu einem Asylverfahren auch zu Verstössen gegen die Genfer Flüchtlingskonvention kommen könnte.

Bedauert wurde auch der Verzicht auf den Status der humanitären Aufnahme, der es Härtefällen erlaubt hätte, ihre Familien schneller nachzuziehen.

Als potenziell risikoreich bezeichnete das UNHCR zudem die Möglichkeit, Daten von Asylbewerbern schon vor dem endgültigen Verfahrensabschluss an Heimatstaaten weiterzugeben.

swissinfo und Agenturen

Die Nothilfe umfasst ein Obdach in einer Kollektivunterkunft, die Abgabe von Lebensmitteln und Hygieneartikeln, die ärztliche und zahnärztliche Notfallversorgung sowie andere Sachmittel.

Diese Leistungen können auch durch die Zahlung von 21 Franken pro Tag abgegolten werden.

Im Kanton Solothurn sind 16 gleichgelagerte Fälle hängig.

Im Gegensatz zu anderen Ländern ist das Bundesgericht in der Schweiz kein Verfassungsgericht, das heisst, es kann die Bundesgesetze nicht auf ihre Verfassungs-Mässigkeit hin überprüfen.

Es beurteilt jedoch staatsrechtliche Beschwerden gegen kantonale Entscheide und Erlasse wegen Verletzung verfassungs-mässiger Rechte der Bürger.

Die wichtigsten Punkte zur Verschärfung des Asylrechts durch den Ständerat:

– Durchsetzungshaft von maximal 18 Monaten
– Verdoppelung der Ausschaffungshaft auf maximal 18 Monate
– Renitente Ausländer sollen maximal zwei Jahre inhaftiert werden können
-Keine humanitäre Aufnahme
-Ausdehnung des umstrittenen Fürsorgestopps auf alle abgelehnten Asylbewerber
-Beschränkte Nothilfe
-Verschärfung der Nichteintretens-Gründe

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