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Mit Hilfe der Schweiz kriegten sie den Wetterbericht per Whatsapp. Und nun?

Inspektion einer Messstation
Früher verliessen sich die Einheimischen auf Tiere und Pflanzen, um das Wetter abzuschätzen. Der Klimawandel zwingt sie dazu, auf technische Hilfsmittel zuzugreifen. Rodrigo Salinas

Die Deza beendet ihre bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika. In Bolivien versuchen die von ihr finanzierten Initiativen eigenständig weiter zu arbeiten. Eine Reportage aus den Anden.

Mit dem Pickup geht es steil den Berg hinauf. Im bolivianischen Bergdorf wenige Kilometer von La Paz in Bolivien scheint die Zeit still zu stehen. Das einzig Moderne sind die Kabel, die in jedes noch so abgelegene Haus führen und die Handys, die alle Versammelten in der Hand halten.

Das Klima in den Anden wird unbeständiger und trockener, erklärt Teófila Poma Jayme, die im Dorf für die Wasserversorgung zuständig ist. Erstmals erleben die Bewohner:innen, allesamt indigene Aymara, extreme Trockenheit. “Wir haben immer wieder kein Trinkwasser, das gab es früher nicht.”

In Dörfern wie diesem sind angesichts des Klimawandels Smartphones ein entscheidendes Werkzeug. Lange informierten sich die Menschen in ruralen Teilen Boliviens mit ihren eigenen Methoden: auf das Beobachten des Verhaltens von Tieren und Pflanzen. Doch diese sind im Zuge des Klimawandels nicht mehr zuverlässig.

“Der Klimawandel hat unser Leben verändert”, erzählt auch Héctor Vargas Mamani, der bis vor kurzem Dorfvorsitzender war, “Wir können uns nicht mehr auf die Tiere und Pflanzen verlassen, um das Wetter vorherzusagen, wie dies einst unsere Grossväter machten.”

Nun stützen sich die Bewohner:innen auf ein System aus Mini-Messtationen, einer Wetter-App – und dem Nachrichtendienst Whatsapp. Gestartet hat das Projekt unter Schirmherrschaft der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und deren lokalen Partnerorganisation Swisscontact.

Mit dem Wetterbericht gegen Extremwetter

Jesus Chumacero
Jesus Chumacero arbeitet an der Produktivitätsförderung der Bauern Boliviens. Rodrigo Salinas

In seinem Büro in La Paz öffnet Jesús Chumacero Whatsapp und lässt ein Video abspielen. Eine metallene Stimme macht eine Wettervorhersage für ein Dorf in den Anden. Neben den Temperaturen warnt die Stimme auch vor Wetterextremen. Chumacero arbeitet für die halbstaatliche Bank für produktive Entwicklung (BDP), die seit Jahren mit Swisscontact verschiedene Projekte zur Förderung der Landbevölkerung vorantreibt.

“Im Jahr 2019 bemerkten wir, dass viele Klient:innen ihre Kredite nicht zahlen konnten, da sie Ernteausfälle aufgrund von Extremwetter im Zuge des Klimawandels hatten”, erzählt Chumacero.

Sie suchten also nach einer Form, den Landwirt:innen technische Hilfe anzubieten. Der Wetterdienst war Teil der Lösung, die mittlerweile rund 300 Landwirt:innen direkt angeboten wird. Doch die eigentliche Zahl ist deutlich höher, meint Chumacero, denn die Leute würden innerhalb ihrer Gemeinschaft die Nachrichten weiterleiten.

“Unsere Klient:innen haben ihre Verluste dank der Wetterwarnungen deutlich verringert”, erklärt Chumacero. Die Landwirt:innen würden ihre Pflanzen gezielter giessen und könnten den Anbau besser planen. Zusammen mit anderen technischen Hilfen, wie beispielsweise Bodenanalysen, sei innert weniger Jahren der Ertrag um 20% gestiegen, so Chumacero, der sichtlich stolz auf den Erfolg ist. Die Unterstützung der Deza ermöglichte dabei eine rasche Umsetzung des Projektes, die Gelder für das Pilotprojekt flossen deutlich schneller, als dies Mittel der Bank oder des bolivianischen Staates getan hätten.

Die Systembedingungen verbessern

Umgesetzt wird das Projekt durch die Entwicklungsorganisation Swisscontact, die sich einer langen Tradition von Kooperation zwischen Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft rühmt. Die Entwicklungsorganisation arbeitet wiederum mit der BDP und weiteren Projektpartnern zusammen, um zu garantieren, dass die Projekte langfristig bestehen, erklärt Sandra Nisttahusz von Swisscontact.

Nisttahusz leitet zusammen mit Franz Miralles den für die Wetterstation verantwortliche Bereich “Inklusive Märkte”. Dieser wurde über zehn Jahre durch die Deza mit etwa zehn Millionen Schweizer Franken finanziert. Im Zuge des Deza-Rückzugs aus Bolivien hat die Schwedische Botschaft ein abschliessende Projektfinanzierung bis Ende 2026 übernommen.

swisscontact
Sandra Nisttahusz und Franz Miralles auf der Terrasse von Swisscontact. Rodrigo Salinas

“In Bolivien ist die landwirtschaftliche Produktivität sehr gering und die Verluste sehr hoch”, erklärt Nisttahusz. Zudem seien die Vertriebswege häufig schwierig. “Unser Ziel ist es, Initiativen zu fördern, die hier ansetzen.” Miralles ergänzt, ein weiteres Ziel sei es, den öffentlichen und privaten Sektor zu stärken, “hier ist es wichtig Know-How weiter und Beständigkeit zu fördern”.

“Die Schweizer Finanzierung ermöglichte Innovation”

Auch Rafael Lindemann war von Anfang an bei der Entwicklung am Wetterdienst beteiligt. Lindemann arbeitet für das lateinamerikanische Zentrum für ländliche Entwicklung (RIMISP), das ebenfalls mit Swisscontact zusammenarbeitet.

Im Jahr 2020 arbeiteten sie an der Idee, die sich rasant ausbreitenden Smartphones zu nutzen, um technische Hilfe und Rückmeldungen von Seiten der Gemeinden besser zu nutzen. Denn mit der Pandemie hat sich das mobile Internet rasant verbreitet. Offizielle Zahlen zeigen: In nur drei Jahren wuchs dessen Nutzung auf dem Land von unter einem Prozent von vor der Pandemie auf über 25% der Bevölkerung im Jahr 2022.

Der Wetterdienst übermittelt erstmals lokale Wetterberichte in ländliche Gemeinden. Dies dank kleiner Wetterstationen, die es ermöglichen, sehr allgemeine Wetterberichte auf lokale Gegebenheiten anzupassen. “Die Schweizer Finanzierung ermöglichte Innovation, für die es in Bolivien schwer ist Träger zu finden”, erklärt Lindemann weiter. RIMISP will nun das Konzept in andere südamerikanische Länder bringen.

Ein “verantwortungsvoller Rückzug”

Der Wetterdienst gehörte zu den letzten Projekten in Bolivien, die von der Deza finanziert wurden. Denn seit Jahren fuhr das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) die Gelder für bilaterale Zusammenarbeit schrittweise zurück. In diesem Jahr werden sie endgültig eingestellt, wie auch in allen anderen Ländern Lateinamerikas. Das EDA begründet dies mit den Wirtschaftszahlen vor der Pandemie, als sich viele Länder – unter anderem Bolivien – positiv entwickelten und zu den Ländern mittleren Einkommens aufstiegen.

Zudem ist Lateinamerika keine Schwerpunktregion der Schweizer Aussenpolitik mehr, wie sie es zumindest noch teilweise für die Periode 2020-2023 war. Man setze daher auf einen “verantwortungsvollen Ausstieg” der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit bis Ende 2024 aus ganz Lateinamerika. In Bolivien war gar die Schliessung der Schweizer Botschaft in La Paz war geplant. Doch seit Anfang Jahr ist klar, dass die Botschaft Bestand hat.

Edita Vokral
Die Schweizer Botschafterin Edita Vokral in ihrem Büro in La Paz. Rodrigo Salinas

Die Botschafterin Edita Vokral ist sichtbar stolz auf die getätigte Arbeit der Deza in Bolivien und nennt zuerst die Zahlen: In 54 Jahren habe man über 150 Projekte im Land umgesetzt und insgesamt rund 750 Millionen Schweizer Franken investiert. “Mit dieser Unterstützung haben wir dazu beigetragen, dass sich Bolivien verändert”, meint die Botschafterin. Dabei nennt sie Programme zur Dezentralisierung des Landes, zur Förderung eines dualen Berufsbildungssystems und die Entwicklung der Landwirtschaft.

Die trotz wirtschaftlichen Aufschwungs weiterhin bestehenden “Mankos in den Institutionen und die soziale Ungleichheit müssen mit anderen Mitteln angegangen werden”, ergänzt die Botschafterin. Vokral kommt zum Schluss: “Ich denke, die Länder Lateinamerikas sind bereit für Projekte der Privatwirtschaft und Wirtschaftsentwicklung.” Der Kontinent wolle nicht mehr nur Entwicklungshilfe empfangen. “Sie haben ihre eigenen Vorstellungen und wollen nun ihren eigenen Weg finden”, meint die Schweizer Botschafterin.

Die Schweiz zieht sich denn auch nicht komplett aus Lateinamerika zurück. “Was verbleibt ist die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit, die Arbeit der Schweizer NGOs, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die humanitäre Hilfe, falls solche nötig ist”, erklärt Vokral. Zudem würde die Deza weiterhin regionale Initiativen in den Bereichen Wasser, Klimawandel und Umwelt finanzieren.

Unsichere Aussichten

Der Abzug der DEZA hat bei Swisscontact zu einer Diversifizierung der Geldgeber geführt. Das Projekt ‘Mercados Inclusivos’ wird noch bis 2026 von der Schwedischen Entwicklungszusammenarbeit gefördert. Andere, neue Projekte werden von den Schweizer Städten Zürich und Genf gefördert. Allerdings ist bei Swisscontact weiterhin unklar, ob dies die zukünftige Arbeit vor Ort sicherstellt.

Während die Schweiz ihr Engagement in Lateinamerika zurückfährt, ist auf dem Kontinent ein Wettkampf um Ressourcen und Einflussnahme auf die nationale Politik zwischen China, USA und teilweise auch europäischen Staaten ausgebrochen. Vor allem chinesische Akteure haben in der Andenregion immer grösseren Einfluss. Chinesische Unternehmen sind derzeit die einzigen ausländischen Minengesellschaften, die innerhalb Boliviens das begehrte Lithium abbauen dürfen und schon heute ist China der wichtigste Handelspartner Boliviens.

Allerdings werden chinesischen Minenunternehmen immer wieder für Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Umweltverschmutzungen und Arbeitsbedingungen in Verbindung gebracht. Mit dem Abzug aus Bolivien überlässt die Schweiz auch jenen Akteuren mehr Raum.

Editiert von Benjamin von Wyl

Leider ist uns in diesem Artikel in der ursprünglichen Version ein Fehler unterlaufen. Aus diesem Grund wurden am 1. Mai 2024 Passagen geändert und einige Zitate entfernt.

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