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Behinderte gleichstellen?

Behinderte stossen im Alltag oft auf Hindernisse. Les handicapés sont encore trop souvent confrontés à des obstacles.

Behinderte sollen in der Schweiz überall Zugang zu Bauten und Dienstleistungen erhalten, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind.

Ausserdem soll die praktische, rechtliche und politische Lage Behinderter in allen Lebensbereichen verbessert werden.

Die rund 700’000 Menschen mit einer Behinderung stossen im Alltag oft auf Hindernisse: Abschrankungen, Drehkreuze, Treppen, fehlende Signalanlagen für Blinde bei Fussgängerstreifen.

Die Volksinitiative “Gleiche Rechte für Behinderte” will dies nun ändern. Sie will Behinderten per Bundesverfassung den freien Zugang zu öffentlichen Bauten, Anlagen und Einrichtungen ermöglichen – soweit wirtschaftlich zumutbar.

Ausserdem soll die “praktische, rechtliche und politische Lage der Behinderten in allen Lebenslagen verbessert werden”, so der Initiativtext. Dazu müssten auch in der Schule, im Erwerbsleben, in der Aus- und Weiterbildung Massnahmen für den freien Zugang getroffen werden.

Schliesslich gehe es mit der Initiative um die Anerkennung der Behinderten als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft. Zudem könne die Invalidenversicherung (IV) entlastet werden, wenn mehr Behinderte arbeiteten, was schliesslich allen zu Gute käme.

Keine Übergangsfristen

Die Gegner der Initiative verweisen auf das Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz, das nächstes Jahr in Kraft treten soll. Dieses sei der bessere Weg.

Denn bei einer Annahme der Initiative würden Behinderte ohne Übergangsfristen sofort ein Recht auf Zugang erhalten, das direkt anwendbar wäre, also ohne ausführende Gesetzes-Bestimmungen.

Gerichte und Verwaltungsbehörden müssten dieses Recht dann umsetzen. Entscheide könnten von Gericht zu Gericht variieren, was zu einer Rechtsunsicherheit führen könnte.

Doch für den Mit-Initianten, FDP-Nationalrat Marc F. Suter, der selber im Rollstuhl sitzt, geht das Gesetz zu wenig auf die Bedürfnisse der Behinderten ein: “Dieses Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz hat einen schönen Titel. Es verspricht einen Baum. Was herausgekommen ist, ist ein Bonsai.”

Dem widerspricht die liberale Nationalrätin Christine Wirz-von Planta, die sich im Komitee gegen die Initiative stark macht: “Ich bin nicht gegen diese Forderungen von Marc Suter. Ich möchte nur nicht so weit gehen, wie es die Initiative will. Aber selbstverständlich sollen wir Menschen mit einer Behinderung entgegen kommen.”

Drittwelt-Niveau

Suter weist auf einen weiteren Missstand hin, nämlich im Bereich der Arbeitsmöglichkeiten für Behinderte: “Es herrscht eine Arbeitslosen-Rate, die Drittwelt-Niveau erreicht – unter den erwerbsfähigen Behinderten! Das ist einem Land wie der Schweiz unwürdig.”

Besserer Zugang könnte diese Situation entschärfen, so Suter. Wirz-von Planta sieht diesen Punkt ein, will aber kleine Betriebe vor baulichen Massnahmen schonen.

“Wenn eine Firma 50 Arbeitsplätze hat, muss sie selbstverständlich auch dafür sorgen, dass Behinderte dort zum Zug kommen. Ganz kleine Firmen sind aber finanziell oft überfordert.”

Das Gesetz habe gegenüber der Initiative den Vorteil, dass es klar sage, welche Bauten und welche Dienstleistungen erfasst seien. Es sehe, so weit nötig, Übergangsfristen vor und lasse Ausnahmen zu, wo dies aus Gründen der Verhältnismässigkeit angezeigt sei.

Am 18. Mai entscheiden Volk und Stände über die Initiative.

swissinfo, Christian Raaflaub

Behinderte Menschen sollen Nicht-Behinderten gleichgestellt werden.

Die Volksinitiative “Gleiche Rechte für Behinderte” fordert für Behinderte den freien Zugang zu öffentlichen Bauten und Dienstleistungen sowie eine Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten.

Bundesrat und Parlamentsmehrheit lehnen die Initiative ab. Sie setzen als indirekten Gegenvorschlag auf das Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz, das nächstes Jahr in Kraft treten soll.

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