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Bergauf, bergab, mit Ziel in Bern

Niki Aebersold 2005 bei seiner letzten Tour de Suisse im Aufstieg zum Col du Pillon. Keystone

Neun Etappen, acht Pässe, Ziel in der Berner Altstadt: Das ist die 70. Tour de Suisse, die vom 10. bis 18. Juni durch alle vier Landesteile rollt.

1997 hatte Niki Aebersold mit seinem ersten Etappensieg an der Radrundfahrt den internationalen Durchbruch geschafft. Er hofft, dass es ihm ein Schweizer Fahrer nachmacht.

Tour de Suisse 1997, Ziel der letzten Etappe auf der offenen Rennbahn Oerlikon in Zürich: Im Finish schlug der damals 25-jährige Niki Aebersold nach langer Flucht seinen letzten Begleiter. Der Sprintkoriphäe Erik Zabel blieb nur der dritte Rang.

“Mit diesem Sieg ging das Tor zu meiner Karriere auf, danach war ich im internationalen Feld akzeptiert”, sagt der heute 34-jährige Berner gegenüber swissinfo. Er erachtet die Landesrundfahrt generell als ausgezeichnetes Sprungbrett für junge Fahrer.

Renommee und Portmonnaie

Mit einem Etappenerfolg können diese nicht nur ihr sportliches Renommee steigern, sondern auch ihren Marktwert. “Gelingt jetzt beispielsweise Gregory Rast von der Phonak-Equipe ein Etappenerfolg, würde er von Teambesitzer Andy Rihs sofort einen stark verbesserten Vertrag erhalten”, erklärt Aebersold.

Den Fahrern aus der zweiten Reihe kommt entgegen, dass die grossen Stars die Schweizer Landesrundfahrt meist zur Vorbereitung für der Tour de France nutzen. So der Deutsche Jan Ullrich, der seit einigen Jahren in der Schweiz lebt. “Die Tour de Suisse ist eines von Ullrichs Lieblingsrennen”, weiss Aebersold.

Mit von der Schweizer Partie ist auch Weltmeister Tom Boonen. Der spurtstarke Belgier dürfte vor allem bei Massensprints kaum zu schlagen sein.

Sieg vor heimischer Kulisse 1998

Seinem Palmares fügte Niki Aebersold bis 2004 drei weitere Tour-Etappensiege hinzu, was ihn zum erfolgreichsten Schweizer TdS-Fahrer seit der Ära von Sprintkönig Urs Freuler in den 1980er-Jahren macht.

Den vielleicht schönsten Sieg der Karriere landete der Berner Oberländer 1998, wiederum in der Schlussetappe der Tour de Suisse, als er vor der Kulisse des Bundeshauses das gesamte Feld im Sprint meisterte.

Wechsel in Nachwuchsbereich

Im November 2005, nach zwei Saisons beim einzigen Schweizer Profiteam Phonak, beendete der Berner Oberländer seine Karriere. Jetzt ist der Steffisburger vorerst einmal Familienvater und Hausmann. Aber auch in seinem vorherigen Tätigkeitsfeld zieht es ihn in den Nachwuchsbereich.

So sondiert er bei seinem Ex-Chef Andy Rihs ein Projekt zur Gründung einer Schweizer Nachwuchs-Equipe. Trotz schwieriger Finanzierung lässt sich Aebersold nicht entmutigen.

Auch bei der diesjährigen Tour ist Aebersold dabei, jetzt aber auf vier statt zwei Rädern: Er chauffiert Vertreter von Hauptsponsor Würth im Tour-Tross.

Furioses Schweizer Finale?

Einen Tagessieg müssen die Phonak-Fahrer um den Westschweizer Kapitän Alexandre Moos wohl am ehesten in den ersten fünf flacheren Etappen anpeilen. Danach stehen drei schwierige Teilstücke in den Bergen über insgesamt acht Pässe auf dem Tour-Programm.

Die grösste Chance auf einen Schweizer Erfolg dürfte aber erst zum “Dessert” kommen: Für das Schlusszeitfahren mit Ziel in der Berner Innenstadt hat Fabian Cancellara sehr gute Karten. Denn der 26-jährige Sieger der “Reine des Classiques” Paris-Roubaix vom April gehört gegen die Uhr zu den drei Schnellsten der Welt.

Doping-Schatten

Die Vorfreude auf die Tour de Suisse und den neuen Schweizer Radstar wird allerdings durch die jüngste Dopingaffäre geschmälert, die Ende Mai in Spanien aufgeflogen ist.

Aebersold fürchtet deswegen zwar keinen unmittelbaren Rückgang des Publikumsinteresses. Schon eher die Konkurrenzierung durch die Fussball-Weltmeisterschaft.

Der Radsport scheint gegen Schäden durch die Dopingplage immun zu sein, zumindest bisher. Aebersold befürwortet aber eine Verschärfung der Doping-Kontrolle. Da das Internationale Olympische Komitee die globale Sporthoheit ausübe, sollten auch die Kontrolleure global aktiv werden können. Schweizer Kontrolleure könnten demnach auch Fahrer in Spanien testen. Und umgekehrt.

Der schmale Grat zwischen “Grün” und “Rot”

Der Radrennsport, wie ihn Aebersold erlebt hat, gleicht einer medizinischen Gratwanderung. “Es ist nicht mehr möglich, Rennen ohne medizinische Betreuung zu gewinnen. Nach wie vor möglich sind aber Siege ohne Doping”, macht der Ex-Profi klar.

Die Liste der erlaubten Medikamente des Dachverbands Swiss Olympic markiert für ihn die Grenze zwischen dem “grünem” (legalen) und “roten” (illegalen) Bereich.

Aebersold nimmt aber auch die Fahrer in die Verantwortung: “Sie müssen den Grundsatzentscheid fällen, ob sie medizinische Betreuung wollen oder nicht. Wenn ja, kann das aber nur ‘Grün’ heissen.”

Dennoch macht sich Aebersold keine allzu grossen Illusionen: “Man kann einen Fahrer nicht 24 Stunden medizinisch bewachen.” Wäre dies möglich, könnte der letztjährige Sieger der Tour de Suisse, der Spanier Aitor Gonzalez, auch diesmal wieder dabei sein. Er wurde letzten Herbst positiv auf Anabolika getestet und ist seither gesperrt.

swissinfo, Renat Künzi

Die Tour de Suisse ist das grösste und traditionsreichste Radrennen der Schweiz.

Die Siegerliste von 1933 bis heute umfasst die grössten Radchampions, u.a. Gino Bartali, Ferdy Kübler, Hugo Koblet, Eddy Merckx, Giuseppe Saronni, Sean Kelly, Lance Armstrong und Jan Ullrich.

Die letzten Schweizer Sieger waren Alex Zülle (2002), Pascal Richard (1994), Beat Breu (1989/81) und Urs Zimmermann (1984).

Die Tour de Suisse gehört zur ProTour, der Rennserie des Internationalen Radsportverbandes (UCI). Für die 20 besten Teams der Welt ist die Teilnahme an den ProTour-Rennen obligatorisch.

Auch die Tour de Romandie und die Zürimetzgete zählen zur ProTour.

Tour de Suisse 2006 (Totaldistanz: rund 1438 km):
1. Etappe: Baden-Baden
2. Etappe: Bremgarten AG-Einsiedeln
3. Etappe: Einsiedeln-Arlesheim
4. Etappe: Niederbipp-La Chaux-de-Fonds
5. Etappe: La Chaux-de-Fonds-Leukerbad
6. Etappe: Fiesch-La Punt (Pässe Furka, Oberalp, Albula)
7. Etappe: St. Moritz-Ascona (Julier, Lukmanier)
8. Etappe: Ambri-Ambri (Lukmanier, Oberalp, Gotthard)
9. Etappe: Einzelzeitfahren Kerzers-Bern

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