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Das College Saint-Maurice feiert sein 200-Jahr-Jubiläum

Das College Saint-Maurice im Kanton Wallis um 1930. (Bild: Privatsammlung) ldd

Das 200-jährige College, das 1806 vom Kanton Wallis als gemeinnützige Institution anerkannt wurde, wird heute von einer schwindenden Zahl geistlicher Lehrkräfte geleitet.

Das College verteidigt sein religiöses Erbe und stellt auf seine Weise den Schüler ins Zentrum. Dieser Kult der Vorzüglichkeit hat manchen geprägt, vom Schriftsteller Chappaz bis zum Bundesrat Couchepin.

“Für uns ist der Schüler in erster Linie ein Mensch und nicht eine Nummer”, sagt Schuldirektor Yves Fournier gegenüber swissinfo. “Es geht nicht darum, den Schüler ins Zentrum zu rücken, wie in diesen Theorien, die aus ihm einen König machen wollen, sondern seine Fähigkeiten zu erkennen und ihm die bestmögliche Ausbildung zu vermitteln.”

Das zwischen einer Felswand und der Rhone am Eingang des Unterwallis gelegene College gehört zur gleichnamigen Abtei und zehrt von einem Jahrhunderte alten Bildungserbe.

“Tradition und Dynamik” lautet seine Devise. Und wenn der Rektor aus Anlass des Jubiläums von Saint-Maurice eine Rede hält, kommt er immer wieder auf den Begriff “Wurzeln”.

“Die christlichen, menschlichen und humanistischen Wurzeln, aus denen unser College entstanden ist, aber auch die Idee des Protests und der Abweichung von allen sozialen und kulturellen Moden bilden die Grundlage, von der aus man mit aller Klarheit und Stichhaltigkeit die Grenzen der Menschen erkennen kann”, sagt er.

Von Pascal Couchepin bis Stéphane Lambiel

Dieser Grundsatz wird auf je eigene Art von den zahlreichen, berühmt gewordenen Ehemaligen des College verkörpert. So haben mehrere Politiker hier die Schulbank gedrückt, unter ihnen Bundesrat Pascal Couchepin, der jurassische Parlamentarier François Lachat oder der Oberwalliser Staatsrat Wilhelm Schnyder. Auch Sportler wie der erfolgreiche Eiskunstläufer Stéphane Lambiel haben hier maturiert.

Aus dem College, das sich eine “humanistische Ausbildung in der Tradition des christlichen Humanismus” auf die Fahnen geschrieben hat, sind auch mehrere Generationen von Schriftstellern hervorgegangen.

Maurice Chappaz, Georges Borgeaud und später Anne-Lou Steiniger und Noëlle Revaz zählen zu den Ehemaligen des College, sowie Journalisten (François Gross, Guy Mettan) und Humoristen (Marc Donnet-Monnay, Daniel Rausis).

Kulturaustausch zwischen Wallis und Freiburg

“Die Qualität der Ausbildung war gut, doch das Prinzip der Geschlechtertrennung war dumm”, resümiert François Gross, der das College am Ende des zweiten Weltkriegs besuchte. Nach einer Eskapade erhielt er einen Ordnungsverweis und beendete seine Ausbildung im College Saint-Michel in Freiburg.

“In jener Zeit gingen die von Saint-Michel verwiesenen Schüler nach Staint-Maurice und umgekehrt. Das nannten wir Kulturaustausch”, scherzt Gross heute. Schon vor ihm hatten Schüler an diesem Austausch teilgenommen, wie etwa der spätere christlich-demokratische Bundesrat Jean-Marie Musy aus Freiburg.

Bis Ende der sechziger Jahre funktionierte Saint-Maurice als eines der Elemente in dieser katholischen Westschweizer “Gegen-Gesellschaft”, die der Historiker Urs Altermatt untersucht hat. Wie die Universität Freiburg bildete auch das College ein Refugium für Söhne aus besseren katholischen Schweizer Familien, welche ihre Kinder aus den Schulen der protestantischen Kantone herausnehmen wollten.

CVP-Migliedschaft nicht mehr nötig

Wenn das College sich dem frischen Wind der siebziger Jahre – Einführung von gemischten Klassen und wirtschaftliche und naturwissenschaftliche Maturitäten – auch nicht verweigern konnte, so hat es bis heute seinen Ruf als geschützte Stätte konserviert.

Ein Schüler, der sich der Studentenverbindung Agaunia des College Saint-Maurice anschliessen will, muss heute nicht mehr Mitglied der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) und praktizierender Katholik sein. Allerdings verlangen die Statuten ein Bekenntnis zum Glauben und den christlichen Werten.

“Viele Interne kommen aus gutbürgerlichen Familien, die sicher sein wollen, dass ihre Sprösslinge nicht in die Hände von 68er Professoren geraten”, sagt ein Ehemaliger. Für ihn bedeutet Saint-Maurice “sowohl eine ausgezeichnete Ausbildung als auch ein ideologisches Joch, aus dem man nicht unbeschadet hervorgeht”.

Ohne sich lange beim ideologischen Aspekt aufzuhalten, sagt Yves Fournier dazu: “Offenbar haben gewisse Leute den Eindruck, es handle sich um ein Joch. Andere legen eher Wert darauf, dass sie mit dieser Ausbildung gut gerüstet sind.”

Und in einem gewissen Sinn daran glauben, wie Maurice Chappaz. Er gesteht, dort eine Lektion gelernt zu haben, die er nie vergessen wird: “Man sagte uns, dass es einerseits das grosse Schreiben gebe, welches dasjenige der religiösen Texte sei, und andrerseits das kleine Schreiben, jenes der Künstler.”

swissinfo, Carole Wälti
(Übertragung aus dem Französischen: Susanne Schanda)

GEMISCHTE KLASSEN AB 1969
Die Geschichte des College Saint-Maurice hängt eng mit derjenigen der Abtei zusammen. Vor 15 Jahrhunderten zur Ehre der Märtyrer erbaut, enthielt es eine Klosterschule.

Das moderne College entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts und wurde ein halbprivates Pensionat unter der Schirmherrschaft des Staates, das aber von Geistlichen geleitet wurde.

Bis zum Ende des zweiten Weltkriegs richtete sich der Stundenplan nach dem Leben der Geistlichen. Die verschiedenen Klassen wurden nach jenen der alten Jesuiten-Schulen benannt.

Die Ausbildung basierte auf klassischen Werten und vernachlässigte Wissenschaft und moderne Sprachen.

Erst 1969 wurden die ersten Schülerinnen ins College Saint-Maurice zugelassen.

Ein Tag der offenen Tür wird am 28. April 2007 durchgeführt.

Das College zählt 1150 Schülerinnen und Schüler: 90% aus dem Kanton Wallis.
Sie sind zwischen 14 und 20 Jahre alt. Zur Zeit sind die meisten Mädchen (52%).
Rund 100 Professoren unterrichten in Saint-Maurice, unter ihnen fünf Geistliche. Ihre Zahl nimmt laufend ab.

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