60 Jahre, und noch kein bisschen alt
Das Schweizer Hilfswerk Swissaid ist stolz auf seine politische Kraft und betrachtet Kritik an der Regierungspolitik als eine Investition in die Zukunft. Doch ernsthafte Herausforderungen wie die Klimaerwärmung blieben bestehen.
«Die Finanzkrise wird die Hungerkrise aus den Köpfen der Menschen verbannen, auch wenn im Süden jeden Tag Menschen an Hunger sterben», sagt Direktorin Caroline Morel.
Die Milliarden, die nun zur Rettung der Banken in die Finanzwirtschaft gepumpt werden, würden die Hilfe an die 925 Millionen Hungerleidenden in der Welt «um einiges schwieriger» machen.
Auch wenn sich Swissaid seit 60 Jahren dafür einsetze, fehle reichen Ländern wie der Schweiz der politische Wille, das Hungerproblem effizient und nachhaltig anzugehen.
Swissaid hat die Landesregierung (Bundesrat) wiederholt aufgefordert, mehr in Hilfsprojekte im Ausland zu investieren.
Doch um sicherzustellen, dass die Hilfsgelder in die richtigen Hände kommen, müssten die Behörden mehr Druck auf jene korrupten Regierungen ausüben, die ihre Bevölkerung bis aufs Blut aussaugten.
Ausserdem werden laut der Hilfsorganisation hoch subventionierte Lebensmittel aus Europa und Nordamerika in die armen Länder importiert, wo sie die lokalen Märkte überschwemmen und Bauern aus der Produktion drängen. Ohne lokale Konkurrenz steigen die Preise und viele Produkte werden unerschwinglich.
Die Lösung sieht Swissaid, das am Freitag 60 Jahre alt wird, in der Unterstützung von lokalen Projekten, welche die Bauern wieder zum Ackerbau ermutigen.
In Dörfern, die diese Unterstützung erhalten haben, gebe es dank der verbesserten Landwirtschaft wieder genügend Nahrung auf dem Tisch und etwas Geld in der Tasche.
Aus den Trümmern Europas
Die Wurzeln des Hilfswerks liegen im Wiederaufbau Europas nach dem zweiten Weltkrieg und der Integration von Flüchtlingen. Die Organisation «Swiss European aid» wurde 1948 gegründet.
Nach acht Jahren, als der Fokus erweitert wurde, änderte das Hilfswerk seinen Namen auf «Swiss foreign aid». Das erste Projekt startete 1960 in Indien.
Swissaid, wie sich die Organisation seit 1969 nennt, ist derzeit in neun Ländern tätig, nämlich in Indien und Burma (Asien), in Ecuador, Kolumbien und Nicaragua (Lateinamerika) sowie in Guinea-Bissau, Niger, Tansania und Tschad (Afrika). Die lokalen Büros sind ausschliesslich von Mitarbeitenden aus diesen Ländern besetzt.
«Auf dem richtigen Weg»
Morel sagt, dass die wichtigsten Ziele der Organisation wie die Förderung der organischen Landwirtschaft, Selbstbestimmung, Nachhaltigkeit und faire Einkommens-Verteilung neuerdings auf der ganzen Welt dringlich geworden seien.
Dies und die Lobby-Arbeit von Swissaid zugunsten der Entwicklungshilfe sei berücksichtigt worden im aktuellen Regierungsentscheid, den Entwicklungshilfe-Beitrag der Schweiz bis ins Jahr 2015 auf 0,5 Prozent des Bruttosozialprodukts anzuheben, sagt sie.
«Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir können stolz sein auf unsere Arbeit, aber wir sind noch weit entfernt von unseren Zielen».
Hilfe als Politik
Andreas Bänziger, ein ehemaliger Journalist und Informationsbeauftragter bei Swissaid in den Jahren 1972 bis 1978, attestiert Swissaid eine Pionierrolle in den ersten Jahren der Entwicklungshilfe.
«Wir konzentrierten uns damals nicht nur auf Publizität und Fundraising, sondern auch auf eine wachsende Sensibilisierung für die Probleme der Entwicklungsländer und deren lokale Bevölkerung», sagt er gegenüber swissinfo.
«Es war ein neuer Zugang in dem Sinn, dass wir Entwicklungshilfe nicht nur als Hilfe für arme Leute betrachteten, sondern auch als eine politische Angelegenheit. Information wurde wichtiger als Publizität und Fundraising. «
Anstatt Schweizer Experten nach Indien zu schicken, die den Leuten vor Ort zeigten, wie wir es in der Schweiz handhabten, habe Swissaid schon damals lokale Initiativen unterunterstützt, so Bänziger, der immer noch Stiftungsrat von Swissaid ist.
Revolutionär
Das war damals ein revolutionäres Vorgehen. «In Indien wurde es möglich, weil dort bereits so etwas wie eine Zivilgesellschaft existierte. In Afrika gab es solche Organisationen kaum, sie entwickelten sich dort erst später.»
Auch Bänziger ist besorgt über die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Entwicklungsgelder. Er ist aber überzeugt vom strategischen Kurs von Swissaid und ihrem positiven Einfluss auf andere Hilfsorganisationen.
«Ich glaube, dass der gesamte Sektor der Nichtregierungs-Organisationen sich in die richtige Richtung bewegt. Und Swissaid war in dem Prozess Pionier.»
swissinfo, Thomas Stephens
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub und Peter Siegenthaler)
Swissaid beschäftigt rund um die Welt 84 Personen, darunter 29 in Bern und Lausanne.
Das Hilfswerk unterstützt 222 lokale Projekte und greift nicht mit Experten aus Industrienationen ein.
Das Jahresbudget beträgt 15,5 Mio. Fr. Über 11,6 Mio. davon wurden in Ländern des Südens in Projekte investiert, 23% mehr als im Vorjahr.
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) trug 36% des Budgets bei, also rund 5,6 Mio. Fr.
Swissaid erhielt 2007 Spenden im Umfang von rund 9,8 Mio. Fr., etwa 20% mehr als im Vorjahr.
Diese kommen von lokalen Behörden, Kantonen, Stiftungen, der Glückskette und Tausenden von Spendern aus der Schweiz.
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