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Bilaterale Verträge ausdehnen?

Die Regierung befürwortet eine Ausdehnung der bilateralen Abkommen auf die neuen EU-Mitglieder im Osten Europas.

Die Personenfreizügigkeit dürfte von der Schweizerischen Volkspartei “mit grosser Wahrscheinlichkeit” bekämpft werden.

“Eine grosse Chance für die Schweizer Wirtschaft”, nannte Regierungssprecher Achille Casanova die mögliche Ausdehnung der Verträge auf die neuen EU-Mitglieder. Sie bewirke eine bedeutende Öffnung der Märkte für die Schweiz.

Diese Einschätzung treffe auch auf das Abkommen über die Personenfreizügigkeit zu: Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Schweiz die Frage der Zuwanderung nach ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen ausrichten muss, hiess es in einer Mitteilung.

Wirtschaft will Osteuropäer

Seit dem 1. Juni 2002 sind die Bilateralen Verträge I in Kraft. Ein Bestandteil ist das Abkommen über die Freizügigkeit im Personenverkehr: Bürger beider Seiten erhalten dadurch mehr Möglichkeiten zum Arbeiten und Leben im Ausland.

Nun sollen diese Regelungen auch für die mehrheitlich osteuropäischen Staaten gelten, die ab 2004 vollwertige EU-Mitglieder werden. Denn schon heute drängen in der Schweiz verschiedene Wirtschaftszweige, etwa die Landwirtschaft oder das Gastgewerbe, auf eine Öffnung dieser Staaten für die Rekrutierung von Arbeitskräften, sagt die Regierung.

Eine mögliche Öffnung soll wie beim bestehenden Personenfreizügigkeits-Abkommen mit Kontingenten und Übergangsfristen geregelt werden. Dies würde bedeuten, dass sieben Jahre nach der Osterweiterung, etwa 2011, der Schweizer Arbeitsmarkt osteuropäischen Bürgern ohne Beschränkungen frei zugänglich wäre.

Referendum erwartet

Die Erweiterung der Personenfreizügigkeit kann mit dem Referendum bekämpft werden. “Wir werden mit grosser Wahrscheinlichkeit das Referendum ergreifen”, sagte Ueli Maurer, Parteipräsident der Schweizerischen Volkspartei gegenüber swissinfo.

Die Partei sei nicht gegen Kurzaufenthalter. Doch den Arbeitskräften dürfe nicht Tür und Tor geöffnet werden. Ein Familien-Nachzug und andere Zusicherungen kämen nicht in Frage, sagte Maurer.

Parteien mehrheitlich nicht erfreut

Auch die Freisinnige Partei (FDP) findet, eine Ausdehnung der Bilateralen sei “nicht zwingend nötig”. Generalsekretär Guido Schommer gab aber zu bedenken, dass die Schweiz wohl keine Wahl habe. Er fordert daher “lange Übergangsfristen”.

Etwas anders sieht es FDP-Nationalrat Erich Müller: “Wir müssen die EU als Ganzes sehen, und nicht als einen alten und einen neuen Teil”, sagte er gegenüber swissinfo.

Die Sozialdemokratische Partei SP würde lieber über einen EU-Beitritt verhandeln, als den beschwerlichen Weg über die Bilateralen zu gehen. “Die Ausdehnung ist im Prinzip zu begrüssen”, sagte SP-Nationalrat Jean Claude Rennwald gegenüber swissinfo.

Doch auch er gibt zu bedenken, dass die flankierenden Massnahmen verstärkt werden müssten. “Das Risiko des Lohndumpings ist zu gross.”

Noch nicht offiziell angefragt

Bis heute ist die EU in Sachen Ausdehnung der Bilateralen noch nicht an die Schweiz gelangt. Doch der Bundesrat hat laut Casanova beschlossen, sich für die erwartete Anfrage seitens der EU zu rüsten.

Er habe das Justiz- und Polizeidepartement beauftragt, gemeinsam mit den Departementen für Volkswirtschaft und auswärtige Angelegenheiten die Frage einer Ausweitung des Freizügigkeitsabkommens zu behandeln.

Gleichzeitig sollen Grundlagen für ein Verhandlungsmandat ausgearbeitet werden, damit der Bundesrat bereit sei, wenn die EU die Schweiz wie erwartet um eine Ausdehnung der Bilateralen anfragen würde.

Bilaterale II komplizieren?

Doch Verhandlungen kämen für die Schweiz wohl erst nach Beendigung der neuen bilateralen Einigungsgespräche (Bilaterale II) in Frage. Derzeit werde hauptsächlich über Zinsbesteuerung, Bankgeheimnis und Betrugsbekämpfung verhandelt, was schon kompliziert genug sei, meinte Regierungssprecher Casanova.

swissinfo, Christian Raaflaub

Die EU verhandelt mit folgenden zehn Ländern über den Beitritt:
Estland
Lettland
Litauen
Malta
Polen
Slowakische Republik
Slowenien
Tschechische Republik
Ungarn
Zypern

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