Filmkritik: Sackgasse Swisscoy-Dok
Ein Schweizer Beitrag in Solothurn handelt von den Schweizer Soldaten im Kosovo. Er dokumentiert ihren Einsatz im Rahmen der NATO-Präsenz.
Was einen spannenden Einblick in die Region der eingeladenen Filmschaffenden liefern könnte, enttäuscht leider.
Der Wachsoldat an der Schranke grüsst militärisch, der Radschützenpanzer fährt an ihm vorbei. Der Bordschütze im Turm lässt den Verschluss des aufgebauten 12-Millimeter-Maschinengewehres einrasten, unten im Transportraum klicken Magazine in die Sturmgewehre. Skibrillen rutschen über die Augen. In den Sturmhauben und unter den getarnten Helmen sehen die Schweizer Soldaten aus, als seien sie amerikansiche Marines in der irakischen Wüste.
In der serbischen Provinz Kosovo stehen seit 1999 NATO-Truppen. Die Schweiz engagiert sich mit der Swisscoy, die dem österreichischen Kontingent angegliedert ist. Zusammen sind sie im Süden der Provinz, im Camp Casablanca bei Suva Reka untergebracht. Die Schweizer sind seit der entsprechenden Volksabstimmung bewaffnet.
Platitüden zum Krieg
Der Tessiner Fernsehjournalist Michele Andreoli hat ein Swisscoy-Kontingent während dessen sechsmonatigen Einsatz begleitet. Sein 83-minütiger Dokumentarfilm will, so der Katalog, mittels der Erlebnisse der Soldatinnen und Soldaten die komplexe Lage auf dem Balkan von heute reflektieren und auf die Schweiz schauen.
Beides gelingt ihm nur unzureichend. Die Statements bleiben schal. «Man sieht die Brutalität des Krieges», sagt einer der Soldaten über die allgegenwärtigen Mahnmale des Konfliktes. Ein anderer darf beim Lenken seines Zisternen-Lastwagens über die schwierige Zukunft dieser Region philosophieren.
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Terrorismusgefahr gering
Der Leiter der Wiederaufbauarbeiten, im Zivilleben Berufsschullehrer, ist sich seiner zwiespältigen Rolle als Helfer in Uniform bewusst. «Das ist ein Militärgetto. Ich kann gut damit leben, weil ich weiss, dass es nicht für immer ist.» Und: «Hier zählt Fachwissen mehr als das militärisch korrekte Tenue.»
Die Sicht auf die grössere Lage einer zerrissenen Region bleibt auf Briefings durch den Kommandanten vor der Mannschaft beschränkt. Der so genannte NCC beschränkt sich seinerseits darauf, die terroristische Bedrohung der kommenden 72 Stunden zu rapportieren. Sie sei gering. Wo nötig braucht er NATO-Abkürzungen wie UXO, «Unexploded Ordonnance – nichtexplodierte Munition». Alles knapp, präzise und nichtssagend.
Intimes aus der Soldatenstube
Besser schneidet der Film ab, wenn es um die Verfassung der einzelnen Soldatinnen und Soldaten geht. Sie joggen entlang dem Stacheldraht-Wall, erschiessen sich gegenseitig auf dem Laptop im Compuer-Netzwerk beim amerikanischen Ego-Shooter-Spiel, posieren vor Pin-Ups im Zweier-Wohncontainer. Ein kahlrasierter Soldat spielt Panflöte.
Sie sprechen von ihrer Motivation, den Dienst in der Swisscoy zu wählen und dem Durchhänger nach einigen Wochen Einsatz. Sie zeichnen ein Bild einer Schweiz, wo junge Berufsleute keine Arbeitsstelle finden, in der sie keine andere Perspektive als den Militärdienst in einem fremden Land sehen.
Ihre Freuden beschränken sich auf Post aus der Heimat, den Einkauf in einem PX-Einkaufsladen oder einen seltenen Ausflug ins nahe Dorf – ohne Schutzwesten, ohne Helm, nur im Tropenhut und mit Sturmgewehr. Ethnologen in Uniform, könnte man meinen.
Gefechtsschiessen im Kosovo
Den Tropenhut ersetzen die Soldaten im Gefechtsschiessen wieder mit dem Kevlarhelm. Geschossen wird vom Panzer herab, mit Sturmgewehren, Pistolen und Rauchgranaten. Hier wird Krieg geübt; mechanisierte Infanterie. Marines in Faludscha.
Kritiker des NATO-Einsatzes im Publikum könnten sich bestätigt fühlen, dass der Kosovo nichts als ein Übungsfeld fürs Militärbündnis ist. Kritiker der Auslandeinsätze dürften sich wundern, wie sehr NATO-kompatibel und «inter-operabel» die Schweizer Soldaten daherkommen.
swissinfo, Philippe Kropf in Solothurn
Dokumentarfilm «Camp Casablanca» von Michele Andreoli, 83 Minuten, 2004.
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