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Finanzmarkt: Mehr Einsicht für mehr Aufsicht

Béatrice Devènes/Pixsil

Das neoliberale Credo der 1990er-Jahre, "Weniger Staat", ist am Verhallen, sagt Wirtschaftsexperte Rudolf Strahm. Seit dem Debakel auf dem amerikanischen Hypotheken-Markt wird der Ruf nach Regulatoren auch in der Schweiz lauter.

Seit den 1980er-Jahren dominierte das Vertrauen in die Selbstregulierung der Märkte. Fast dogmatisch glaubte man, der Wettbewerb dürfe nicht behindert und möglichst wenig beaufsichtigt werden. Über ein Jahrzehnt später, nach verschiedenen Marktexzessen, scheint jetzt die Ansicht zurückzukehren, dass etwas mehr Marktaufsicht nicht schadet.

Nach dem Ausbruch der US-Hypotheken-Krise wird der Ruf nach klaren Spielregeln immer stärker. Rudolf Strahm verlangte als Nationalrat schon 1998 eine strengere Kontrolle der Eigenmittel-Vorschriften für international tätige Grossbanken.

Als Wirtschaftspolitiker sieht er den wunden Punkt bei der geltenden Finanzmarkt-Aufsicht im Milizsystem. Dieses verunmögliche eine unabhängige Kontrolle.

swissinfo: Nach zwanzig Jahren “Weniger Staat” – zeichnet sich nun ein Trendwechsel ab?

Rudolf Strahm: Die 1990er-Jahre waren die Hochblüte der Deregulierung und des neoliberalen Staatsverständnisses. Der Wettbewerb hätte alles selbst regulieren sollen.

Heute ist man europaweit, nicht nur in der Schweiz, am korrigieren. Auch die EU sieht heute ein, dass es eine stärkere Marktaufsicht braucht.

Man kann die Marktwirtschaft nicht sich selbst überlassen – zu ihrer Stabilisierung braucht es starke staatliche Regulatoren und Wettbewerbs-Behörden.

swissinfo: Sie sind seit eh und je ein Verfechter der sozialen Marktwirtschaft, auch als diese vor 20 Jahren aus der Mode geriet. Worauf basiert Ihre Überzeugung?

R.S.: Soziale Marktwirtschaft heisst einerseits, dass der Staat nicht alles regelt und vieles lieber dem Wettbewerb überlässt. Andererseits greift er dort ein, wo der Markt nicht funktioniert – oder wo, wie beim UBS-Debakel, sogar die Stabilität des Systems auf dem Spiel steht.

Wettbewerb wirkt zwar meist effizient, ist aber kein Garant für Stabilität. Grosse Instabilitäten erleben wir zur Zeit in den Finanzmärkten, vor allem dort, wo über die Finanzinstitute hinaus auch andere Unternehmen und Arbeitsplätze betroffen sind. Dort muss der Staat regulierend eingreifen.

Die Finanzmärkte haben innerhalb der Gesamtwirtschaft ein derartiges Übergewicht erhalten, dass deren Schwankungen auch für die produzierenden Sektoren zu einem Risiko geworden sind.

swissinfo: Überraschen Sie diese unvorhersehbaren Schwankungen? In der Schweiz ist doch der Bankensektor traditionell sehr dominant.

R.S.: Die Instabilitäten überraschen mich überhaupt nicht. Die Konjunktur-Risiken sind in den letzten Jahrzehnten immer stärker von den globalen Finanzmärkten ausgegangen, was dann immer auch für die Schweiz gilt.

Schon vor zehn Jahren, 1998, habe ich im Nationalrat einen parlamentarischen Vorstoss gemacht: Mit angepassten Eigenmittel-Vorschriften sollten die Systemrisiken bei global tätigen Finanzinstituten abgedeckt werden.

Der Vorstoss wäre heute aktueller denn je. Der Bundesrat wollte ihn sogar als Postulat annehmen – aber passiert ist nichts.

swissinfo: Weshalb?

R.S.: Weil die Bankenaufsicht bei uns bis jetzt sehr schwach war. Sie pflegte eine Kameraderie mit den Banken. Die Mehrheit der Aufsichtspersonen kommt von den Banken oder geschäftet mit ihnen. Die Aufsicht nimmt Rücksicht, so nach dem Motto “Die Kontrollierten kontrollieren ihre Kontrolleure selber”.

Diese mangelnde System-Aufsicht ist mitschuldig an den Führungs-Fehlleistungen der UBS und teilweise auch der CS. Es fehlt eben an Vorschriften im Eigenmittel-Bereich.

Als Wirtschaftspolitiker bin ich heute der Meinung, dass diese Regulierung verstärkt werden soll. Sie sollte meiner Ansicht nach heute eher der Nationalbank übertragen werden und weniger bei der Bankenkommission respektive der künftigen Finanzmarkt-Aufsicht liegen.

swissinfo: Was kann die Nationalbank denn besser als die Eidgenössische Bankenkommission?

R.S.: Sie ist eine viel unabhängigere Behörde als die Bankenkommission, deren Personal teils selber noch für die Banken tätig ist oder war. Es ist ja weltweit einzigartig, dass in der Schweiz eine “Eidgenössisch” genannte Bankenkommission eigentlich aus Milizmitgliedern, das heisst Teilzeit-Mitgliedern besteht.

Diese unscharfe Trennung von privater Wirtschaftstätigkeit und öffentlicher Aufsicht ist ein Systemmangel. Ich hoffe, wir sind nach dem Subprime-Debakel lernfähig genug, künftig klarer zu trennen.

swissinfo: Wie kann man eine solche Trennung herbeiführen?

R.S.: Entweder indem man aus der Finanzmarkt-Aufsicht ein Profi-Gremium macht. Oder indem man die systemische Aufsicht der Nationalbank überträgt. Denn beaufsichtigt werden soll ja nicht nur die Bonität einzelner Banken, sondern die Stabilität des gesamten Finanzsystems.

Also ist die Nationalbank für diese Aufgabe eigentlich die geeignetere Instanz. Denn Nationalbanken haben den Geldkreislauf zu regeln – eine Miliz-Aufsicht wie die Bankenkommission kann das nicht.

swissinfo-Interview: Alexander Künzle

Geboren 1943 im Emmental

Laborantenlehre in der Basler Chemie

Chemiestudium Ingenieurschule Burgdorf (Dipl. Chemiker)

Arbeit als Chemiker

Studium Volks- und Betriebswirtschaft Uni Bern (Lic. rer. pol.)

Sekretär der “Erklärung von Bern” 1974-1978

Lehrauftrag Uni Zürich 1977/78

Zentralsekretär SP Schweiz 1978-1985

Nationalrat 1991-2004

Preisüberwacher 2004-Oktober 2008

Die Eidg. Bankenkommission ist eine von Einzelweisungen des Bundesrats unabhängige Verwaltungsbehörde des Bundes.

Sie ist nicht in die Zentralverwaltung eingegliedert und lediglich administrativ dem Eidg. Finanzdepartement EFD zugeordnet.

Von einer Aufsichtsbehörde über das Bankwesen entwickelte sich die EBK zu einer Aufsichtsbehörde über weite Bereiche des Finanzsektors.

Sie beaufsichtigt unter anderem Banken und Effektenhändler, Börsen und Märkte, kollektive Kapitalanlagen, etc.

Sie pflegt regemässig Kontakte zur Schweizerischen Bankiervereinigung, zum Finanzdepartement, zur Nationalbank etc.

Anfang 2009 wird die EBK zusammen mit dem Bundesamt für Privatversicherung und der Kontrollstelle für die Bekämpfung der Geldwäscherei in der integrierten Finanzmarkt-Aufsicht (Finma) zu einer Behörde verschmolzen.

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