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Info-Gipfel in Tunis: NGO schlagen Alarm

Wolf Ludwig schliesst die Organisation eines NGO-Gegen-Gipfels nicht aus. swissinfo.ch

Das dritte und letzte Vorbereitungs-Treffen für den Weltgipfel der Informations-Gesellschaft in Tunis ist in Genf kontrovers zu Ende gegangen.

Im swissinfo-Gespräch sagt Wolf Ludwig, Sprecher der Schweizer NGO, Tunesien sei kein Ort für einen Gipfel, der sich mit Meinungsäusserungs-Freiheit beschäftige.

Am ersten Vorbereitungstreffen in Genf im Dezember 2003 wollte der Weltgipfel der Informationsgesellschaft WSIS im Vergleich zu anderen internationalen UNO-Konferenzen ein Zeichen setzen: Die Nichtregierungs-Organisationen (NGO) wurden eng miteinbezogen in die Arbeiten der Regierungs-Delegationen.

Kurz vor dem zweiten Informations-Weltgipfel in Tunis, der im November stattfindet, ist für die Schweizer NGO diese Öffnung gegenüber der Zivilgesellschaft nicht vereinbar mit der Politik des tunesischen Präsidenten Ben Ali. Der Gewerkschafter und Präsident von comunica-ch, der Schweizer NGO-Plattform zur Informationsgesellschaft, Wolf Ludwig, präzisiert.

swissinfo: In welcher Atmosphäre fand das dritte Vorbereitungstreffen für den Weltgipfel der Informations-Gesellschaft statt?

Wolf Ludwig: Das Klima war schlechter als an den zwei ersten Treffen. In Genf waren Organisationen allgegenwärtig, die sich offiziell als NGO bezeichneten, gleichzeitig aber eine grenzenlose Bewunderung für das Regime von Präsident Ben Ali zeigten.

Die Präsenz dieser NGO und deren Folgen erzeugen einen bitteren Vorgeschmack auf das, was sich am Gipfel in Tunis ereignen könnte. Wir sehen, dass gewisse Themen orientierte Komitees (Medien, Menschenrechte) durch Gruppierungen, die dem Ben Ali-Regime nahe stehen, blockiert sind. Wir können deshalb nicht mehr über heikle Themen sprechen.

Folge: Die meisten Vertreter der Zivilgesellschaft haben sich aus diesen Komitees zurückgezogen. Jetzt versuchen wir, neue informelle und vertrauliche Strukturen zu errichten, denn wir haben absolut kein Vertrauen in diese regimefreundlichen Organisationen.

swissinfo: Hat die Schweiz Initiativen in Sachen freie Meinungsäusserung ergriffen?

W.L.: Die Schweizer Regierungs-Delegation hat sich sehr offen gegenüber unseren Sorgen gezeigt. Zugleich hat sie am Mittwoch mit wirklich regierungs-unabhängigenVertretern der tunesischen Zivilgesellschaft gesprochen. Dabei war auch ein Verantwortlicher für Menschenrechte aus dem Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Zusammen mit anderen Regierungs-Delegationen muss die Schweiz jetzt ihre Beunruhigung publik machen und mögliche Massnahmen vorschlagen.

swissinfo: Wie wollen die Vertreter der internationalen Zivilgesellschaft am Weltgipfel in Tunis Freiräume schaffen?

W.L.: Zuerst muss festgehalten werden, dass die Situation in Tunesien nicht besser geworden ist, im Gegenteil. Unsere Organisation hat zweimal Delegierte nach Tunesien geschickt. Sie haben dort nur feststellen können, dass Aktivitäten der wirklich regierungs-unabhängigen tunesischen NGO quasi unmöglich sind.

Uns scheint, dass Tunesien als Gast- und Organisationsland eine besondere Verantwortung trägt. Und das gegenüber der internationalen Gemeinschaft, der UNO und der internationalen Zivilgesellschaft. Aber es zeigt sich, dass Tunesien nicht bereit ist, dieser Verantwortung gerecht zu werden.

Deshalb wendet sich die Mehrheit der im WSIS engagierten NGO-Vertreter an UNO-Generalsekretär Kofi Annan. In einem Schreiben an ihn sagen sie klar, dass die Bedingungen für einen erfolgreichen Gipfel in Tunesien nicht erfüllt sind.

Falls bis zum Beginn des Treffens am 16. November nicht wesentliche Verbesserungen der Lage einträten, würden die Vertreter der Zivilgesellschaft ihre Teilnahme am WSIS in Tunis nochmals überdenken.

Wir erörtern derzeit die Möglichkeit, einen Gegen-Gipfel zu organisieren ausserhalb der Lokalitäten des offiziellen WSIS. Damit wollen wir zeigen, dass die NGO nicht bereit sind, die Statisten-Rolle zu übernehmen.

Wir sind uns bewusst, dass das tunesische Regime alles unternehmen wird, um einen Gegen-Gipfel zu verhindern. Das würde dann einmal mehr den schlechten Willen der Regierung Ben Ali beweisen.

swissinfo-Interview: Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

Die Vereinten Nationen haben entschieden, den Weltgipfel der Informationsgesellschaft in zwei Teilen durchzuführen.
Der erste fand im Dezember 2003 in Genf statt, wo von 175 Nationen ein Aktionsplan zur Überwindung des digitalen Grabens verabschiedet wurde.
Der zweite Teil findet vom 16. bis 18. November in Tunis statt.

Die Schweizer Koalition der Informationsgesellschaft – comunica-ch – ist ein Zusammenschluss von Nichtregierungs-Organisationen (NGO), Vertretern der Zivilgesellschaft und Schweizer Medien.

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