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Nur eine Abstimmungsvorlage mit klarem Resultat

Trotz 48% Ja keine klare Ausgangslage zum Schweizer Bürgerrecht an der Urne. Keystone

Die erste Umfrage zur Abstimmung vom 1. Juni zeigt bei den beiden umstrittenen Vorlagen einen eher offenen Ausgang. Einzig die Volksinitiative gegen Behördenpropaganda scheint derzeit chancenlos zu sein.

Die Initiative “Volkssouveränität statt Behördenpropaganda”, aus Kreisen der Schweizerischen Volkspartei (SVP) lanciert, hätte nicht einmal bei Anhängern der eigenen Partei eine Mehrheit gefunden.

Lediglich 44% der SVP-Wählenden würden zustimmen, 38% würden sie ablehnen, hätte der Urnengang Mitte April stattgefunden.

Dies zeigt die erste Umfrage des Instituts gfs.bern im Auftrag der SRG SSR idée suisse zur Abstimmung vom kommenden 1. Juni.

Insgesamt gesehen fällt die Unterstützung für das Volksbegehren noch geringer aus: 27% der Befragten, die an der Abstimmung teilnehmen wollen, sprachen sich dafür aus, 54% dagegen.

Offener Ausgang

Ganz anders beim Top-Thema des Urnengangs, der SVP-Initiative “Für demokratische Einbürgerungen”: Hier wollen 48% der Befragten Ja stimmen und 37% Nein.

Dennoch sei dies noch nicht als klare Ausganglage zu werten, betont Studienleiter Claude Longchamp gegenüber swissinfo: “Wenn wir das mit der Erfahrung kombinieren, was in Abstimmungskämpfen passiert, nimmt das Nein eigentlich immer zu.”

Volksinitiativen gingen generell mit einem Bonus an den Start von Abstimmungskämpfen, weil Initianten und ihre Anhänger bereits mit einer klar festgelegten Meinung antreten und so dem Ja-Lager Auftrieb geben. Deshalb werde der Plafond bereits zu Beginn der Kampagne erreicht und nehme in deren Verlauf ab, so Politologe Longchamp.

“Es ist eigentlich immer so: Wer sich von etwas nicht überzeugen lässt bei einer Initiative, geht auf jeden Fall auf die Nein-Seite”, weiss er aus jahrelanger Erfahrung mit Abstimmungs-Analysen.

In all den Jahren habe er es noch nie gesehen, dass eine Initiative die Zustimmungsquote der ersten Umfrage bis zum Abstimmungstag halten konnte. “Ich würde von daher eher sagen, es ist eine offene Ausgangslage. Keiner hat eine sichere Mehrheit auf seiner Seite.”

Zündstoff Kriminalität

Somit hänge es stark davon ab, in welche Richtung sich die Debatte entwickle, sagt Longchamp. “Wenn es zu einer Debatte über die Prinzipien der Einbürgerung kommt, dürfte die Mehrheit Nein zur Initiative sagen. Denn ihr Denken ist grundsätzlich dem nahe, was das Bundesgericht postuliert hat”, schreibt er im Bericht zur Umfrage.

Doch es brauche nur ein Schlüsselereignis, und die ganze Diskussion könnte sich in Richtung “kriminelle Ausländer” verschieben. “Der letzte aktuelle Fall war das Tötungsdelikt an der Fasnacht”, erklärt Longchamp.

Der Tod eines jungen Mannes, der Anfang Februar am Karneval von Locarno im Kanton Tessin von drei Gleichaltrigen ausländischer Herkunft zusammengeprügelt worden war, hatte in der ganzen Schweiz Betroffenheit ausgelöst. Zwei der Täter stammen aus Kroatien und einer aus Bosnien, wobei einer den Schweizer Pass hat.

“Ein solcher Fall kann jede Überlegung, die im Moment eher ein bisschen skeptisch gegenüber dieser Initiative ist, wieder über den Haufen werfen”, gibt Longchamp zu bedenken.

Die Zustimmung zur Initiative ist im italienischsprachigen Tessin denn auch fast doppelt so hoch wie in der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweiz, wie die Umfrage zeigt.

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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Gegnerargument für Befürworterseite

Noch nicht in Gang gekommen ist die Meinungsbildung über den Verfassungsartikel “Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung”. Das sei bei den Krankenversicherern und Hausärzten heute schon ein Riesen-Thema – “in der Bevölkerung noch überhaupt nicht”, sagt Longchamp.

Die Vorlage wird von 62% der Teilnahmewilligen gutgeheissen. 18% lehnen sie derzeit ab. Allerdings sei der Ausgang auch bei dieser Vorlage noch völlig offen: 20% wissen noch nicht, wie sie stimmen wollen.

Auffallend sei bei dieser Vorlage auch, dass viele jener, die eine zu grosse Machtentfaltung der Krankenkassen befürchten, noch nicht gemerkt hätten, dass sie Nein stimmen müssten.

“Die Botschaft wird zwar verstanden, wirkt sich aber vorerst als Verstärkung der Zustimmung und nicht der Ablehnung aus!”

swissinfo, Christian Raaflaub

Die Umfrage wurde zwischen dem 14. bis 19. April 2008 durchgeführt
Befragt wurden 1207 zufällig ausgewählte Personen aus der ganzen Schweiz, sprachregional gewichtet
Einbürgerungs-Initiative: 48% Ja, 37% Nein, 15% Unentschlossen
Behördenpropaganda-Initiative: 27% Ja, 57% Nein, 16% Unentschlossen
Krankenversicherungs-Artikel: 62% Ja, 18% Nein, 20% Unentschlossen
Stimmbeteiligung: mit 41% leicht unterdurchschnittlich

1. Volksinitiative “Für demokratische Einbürgerungen”: Das Volksbegehren verlangt, dass Gemeinden autonom und endgültig über das Bürgerrecht in der Gemeinde und damit auch über das Schweizer Bürgerrecht entscheiden sollen.
Empfehlung des Bundesrats: Nein

2. Volksinitiative “Volkssouveränität statt Behördenpropaganda”: Die Initiative will die Informationstätigkeit der Bundesbehörden im Vorfeld von Abstimmungen einschränken.
Empfehlung des Bundesrats: Nein

3. Verfassungsartikel “Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung”: Die wichtigsten Elemente und Grundsätze der Krankenversicherung sollen in die Bundesverfassung aufgenommen werden.
Empfehlung des Bundesrats: Ja

“Gehören Einbürgerungen an die Urne?” fragte swissinfo die Leserschaft zwischen dem 21.4. und dem 1.5.2008.

An der nicht repräsentativen Umfrage beteiligten sich 536 Personen. Das Resultat: 206 (38%) sagten Ja, 317 (59%) Nein. 13 Personen (2%) wussten noch nicht, wie sie abstimmen wollen.

swissinfo.ch

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