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Referendum gegen freien Personenverkehr angekündigt

Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer setzt sich für den freien Personenverkehr ein. Keystone

Die Lega dei Ticinesi ergreift das Referendum gegen die Weiterführung der Personenfreizügigkeit. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hatte dasselbe angedroht, schwankt aber noch. Für den freien Personenverkehr setzt sich die Wirtschaft ein.

Die Lega dei Ticinesi werde das Referendum gegen die Weiterführung des freien Personenverkehrs und dessen Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien ergreifen, schreibt das Parteiblatt “Il Mattino” in seiner jüngsten Ausgabe.

Erst letzten Donnerstag hatte das Parlament in Bern beschlossen, dass das Volk über die Weiterführung der Personenfreizügigkeit und über deren Erweiterung auf Bulgarien und Rumänien nur “im Paket” abstimmen könne. Demgegenüber hatten der Bundesrat und die SVP zwei Abstimmungsvorlagen gefordert: Eine über die Weiterführung mit den bisherigen EU-Staaten, und eine zweite über die Erweiterung.

De facto darf jedoch kein (neues) EU-Land gegenüber einem anderen (alten) diskriminiert werden. Laut Parlament ist es deshalb illusorisch zu glauben, die EU akzeptiere, dass die Schweiz gewissen EU-Staaten den freien Personenverkehr gewähre und anderen nicht.

Giuliano Bignascas nationalkonservative Lega die Ticinesi hat nun umgehend auf diesen Parlamentsentscheid reagiert: Falls die SVP nicht mitmache, werde die Lega die 50’000 Unterschriften alleine sammeln und dafür bis nach Bern und Zürich gehen.

Südschweizer Sicht als Mass aller Dinge

Bignasca hofft, zumindest von den Rechtsaussenorganisationen AUNS (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz) und SD (Schweizer Demokraten) Rückendeckung zu erhalten.

AUNS-Geschäftsführer Hans Fehr, Nationalrat der SVP, rechnet nun damit, dass seine Organisation das Referendum zwar unterstützen, wenn auch nicht selber ergreifen werde.

Während sich die SVP in erster Linie skeptisch gegen die Ausweitung des freien Verkehrs auf die neuen Länder gibt, zielt die Lega auf eine Annullierung der gesamten Personenfreizügigkeit in Bausch und Bogen: Mit Blick auf das benachbarte EU-Land Italien habe aus Tessiner Sicht die Invasion von Grenzgängern zu einer Verarmung geführt.

Demgegenüber will SVP-Parteipräsident Toni Brunner das von seiner Partei angedrohte Referendum nochmals überdenken, nachdem das Bundesparlament die beiden Freizügigkeits-Vorlagen in ein einziges Paket geschnürt hat. Am 5. Juli sollen die SVP-Delegierten in Brig den Entscheid fällen.

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Referendum

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Das (fakultative) Referendum erlaubt Bürgerinnen und Bürgern, das Volk über ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz entscheiden zu lassen. Falls das Referendumskomitee innerhalb von 100 Tagen 50’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei einreichen kann, kommt es zu einer Abstimmung. Falls das Parlament Änderungen in der Bundesverfassung vornimmt, kommt es zu einem obligatorischen Referendum. Beim fakultativen Referendum…

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Gewerkschaften: Ja, aber

Weitere wichtige Organisationen, deren Mitglieder sich tendenziell vor der Tieflohnkonkurrenz aus dem Ausland fürchten, sind die Gewerkschaften. Doch hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) am Montag an seiner Delegiertenversammlung entschieden, kein Referendum gegen die Personenfreizügigkeit zu ergreifen.

Nur: Der SGB hatte schon 2007 eine aktive Bejahung der Ausweitung der Freizügigkeit davon abhängig gemacht, dass die “flankierenden Massnahmen” verbessert werden müssten. Mit diesen Massnahmen soll sichergestellt werden, dass das bestehende Lohnniveau der Inländer nicht durch Dumping-Angebote von Ausländern untergraben wird.

Solche Massnahmen umfassen zum Beispiel die systematische Kontrolle der Löhne oder die Stärkung der Gesamtarbeitsverträge.

Als weiteres Mittel gegen Dumping-Angebote lancierten die Gewerkschaften kürzlich eine Mindestlohn-Kampagne. Der SGB macht sein Engagement für den bevorstehenden Abstimmungskampf für oder gegen die (Ausdehnung der) Personenfreizügigkeit abhängig von der Art und Weise, wie all diese Probleme gelöst werden.

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Freier Personenverkehr

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Freier Personenverkehr oder Personenfreizügigkeit ist eine der vier Grundfreiheiten, auf denen die Europäische Union (EU) aufgebaut ist (neben Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit sowie freiem Kapital- und Zahlungsverkehr). Personenfreizügigkeit ist das Recht, in die Schweiz oder ein EU-Land einzureisen, dort Arbeit zu suchen, wohnen und arbeiten zu dürfen. Sie unterliegt gewissen Regulierungen und Beschränkungen. Die Schweiz hat…

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Die Wirtschaft legt sich ins Zeug

Unbedingt für den freien Personenverkehr spricht sich die Schweizer Wirtschaft aus. Deren Dachverbände bezeichnen die Personenfreizügigkeit als “Herz der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU”.

Ebenfalls am Montag gaben der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV), der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) und economiesuisse bekannt, wie wichtig ihnen sowohl die Weiterführung als auch die Ausdehnung des freien Personenverkehrs ist.

Laut economiesuisse-Präsident Gerold Bührer fliessen über 60% der Schweizer Ausfuhren in Richtung EU. Der Personenverkehr habe zum Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre wesentlich beigetragen.

Und zur befürchteten Masseneinwanderung aus Ost- und Mitteleuropa sei es auch nicht gekommen, doppelte SAV-Präsident Rudolf Stämpfli nach. Vom privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt profitierten ausser der grossen Wirtschaft auch die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), so SGV-Präsident Edi Engelberger.

Deshalb seien die Freizügigkeitsabkommen auch für das Gewerbe eine Chance: Sie erleichtern den Zugang zu europäischen Arbeitskräften und den Zugang zum riesigen EU-Markt.

swissinfo und Agenturen

Das Abkommen über den freien Personenverkehr mit den 15 “alten” EU-Staaten ist seit dem 1. Juni 2002 in Kraft. Im September 2005 hat das Schweizer Stimmvolk einer Ausdehnung auf die zehn Länder zugestimmt, die im Mai 2004 zur EU stiessen.

Der freie Personenverkehr zwischen der Schweiz und der EU ist bis 2009 befristet. Seitens der EU wird das Abkommen stillschweigend verlängert, in der Schweiz ist die Fortführung dem fakultativen Referendum unterstellt.

Gleichzeitig mit der Weiterführung soll die Personenfreizügigkeit auf die neusten beiden EU-Mitglieder, Rumänien und Bulgarien, ausgedehnt werden.

Bedenken der Schweiz bezüglich der Ausdehnung des freien Personenverkehrs hält der rumänische Innenminister für unbegründet.

Christian David glaubt nicht, dass nun “Massen einwandern” (NZZ am Sonntag). Viele auswanderungswillige Rumänien befänden sich bereits in der EU.

Die sprachlich mit dem Rumänisch verwandten Länder Spanien und Italien liegen dabei an der Spitze.

Christian David hat letzten Freitag mit Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf ein Rückübernahme-Abkommen unterzeichnet.

Dabei werden Staatsangehörige, die sich rechtswidrig im anderen Land aufhalten oder die Grenzen illegal überschritten haben, vom betreffenden Land formlos übernommen.

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