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Schweizer Schützen nehmen Schengen aufs Korn

Schweizer Schützen zielen scharf auf Schengen/Dublin. Keystone

Für viele Schweizer ist Schiessen mehr als ein Sport: Ein Beitritt zum Schengen-Abkommen wäre für sie ein Angriff auf urschweizerische Lebensart.

Als Abkommen zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Sicherheits-Zusammenarbeit enthält es auch Richtlinien für Erwerb und Besitz von Feuerwaffen.

“Die Schweizer sind gut bewaffnet und erfreuen sich grosser Freiheit”, schrieb Macchiavelli 1532.

Bei drei Millionen Schusswaffen in privaten Händen sind nicht wenige Schweizer überzeugt, dass zwischen diesen beiden Umständen ein kausaler Zusammenhang besteht. Und als diese Schweizer Waffennarren merkten, dass ein Beitritt zu Schengen eine Revision der liberalen Waffengesetze erfordern würde, sahen sie rot.

“Entwaffnung durch die EU”

“Wir lassen uns von der EU nicht entwaffnen”, sagt Willy Pfund, Präsident von proTELL, einer rund 7000 Mitglieder starken Waffenlobby, und Mitglied des Komitees für ein freiheitliches Waffengesetz, welches den Beitritt der Schweiz zum Schengener Abkommen vehement bekämpft.

“Es geht nicht nur um die Sicherheit der Schweiz, sondern auch um die Souveränität bei der Waffengesetzgebung” fügt Pfund hinzu.

Für proTELL ist Schengen nur der Anfang einer abschüssigen Gratwanderung.

“Wenn die Schweiz dem Schengener Abkommen beitritt, wird sie früher oder später gezwungen, weitere Verschärfungen der europäischen Waffengesetze mitzumachen”, argwöhnt Pfund.

“Gesetz ist eine Farce”

Die Volksabstimmung über das Abkommen, das Fragen der grenzüberschreitenden Sicherheit und die Abschaffung der Grenzkontrollen mit den EU-Mitgliedstaaten beinhaltet, findet am kommenden 5. Juni statt. Die Abstimmungskampagne setzt Emotionen frei.

“Das ist ein importiertes Gesetz und bringt uns gar nichts – eine Farce ist das”, ist Fritz Kilchenmann, Präsident des Zürcher Schützenvereins, überzeugt.

“Respektable und gesetzestreue Schützen, Jäger und Waffensammler werden da plötzlich zu Verbrechern gestempelt. Man verhindert doch keine Verbrechen, indem man privaten Besitzern ihre Waffen wegnimmt und verbietet”, sagt Kilchenmann.

Die Meinungen gehen auseinander

Nicht alle Jäger wünschen Schengen zum Teufel.

“Die Jäger können mit Schengen leben” meint Urs Wyss, Direktor des 200’000 Mitglieder umfassenden Schweizerischen Schützenvereins.

“Ich muss mein Handy registrieren – da sehe ich nicht ein, warum ich mich weigern sollte, meine Waffe zu registrieren.”

JagdSchweiz, die Dachorganisation der Schweizer Jäger, hat sich ebenfalls von der Haltung der proTELL distanziert.

Sie sagt, schliesslich sei das Waffengesetz nur ein kleiner Teil des gesamten Sicherheitsdispositivs von Schengen.

Neue Gesetze

Sollte Schengen von den Schweizer Stimmberechtigten angenommen werden, verschwindet im Waffengesetz die Unterscheidung zwischen Waffeneinkäufen von Händlern und dem Erwerb einer Waffe durch Privatpersonen.

Jeglicher Waffenerwerb müsste fortan der zuständigen kantonalen Stelle gemeldet werden – auch Waffen, die als Teil einer Erbschaft den Besitzer wechseln.

Alle Schusswaffen würden in drei Kategorien eingeteilt: Erstens Waffen, die grundsätzlich verboten sind und für die eine Ausnahmebewilligung erforderlich ist (automatische Waffen und Kriegswaffen wie Granaten- und Raketenwerfer).

Zweitens Waffen, die bewilligungspflichtig sind (Revolver, Pistolen und halbautomatische Waffen) und einen Waffenschein (Erwerbszertifikat) erfordern.

Kandidaten für einen Waffenschein müssen einen Grund angeben (Interesse an Waffen genügt), nicht jedoch einen Bedarf nachweisen. Jäger, Sportschützen und Sammler sind von der Begründungspflicht befreit.

Für eine dritte Kategorie von Waffen schliesslich besteht bloss eine Meldepflicht. Zu dieser Gruppe gehören verschiedene Gewehre für Jäger und Sportschützen.

Zusätzlich wird ein europäischer Waffenpass eingeführt, der vor allem Jägern und Sportschützen, die vorübergehend Waffen in andere Schengen-Staaten einführen, das Leben erleichtern soll.

Für den Kauf von Munition werden die gleichen Regeln gelten wie für den Waffenkauf.

Richtlinien nur beschränkt anwendbar

Allerdings sind diese Richtlinien nur beschränkt anwendbar und lassen dem schweizerischen Gesetzgeber nach wie vor ziemlich viel Spielraum. Darüber hinaus gilt in vielen Bereichen nach wie vor schweizerisches Recht.

So hat Schengen zum Beispiel keinen Einfluss auf das schweizerische Milizsystem, auf die Jungschützenvereine, auf das Recht der Wehrpflichtigen, ihre Waffe zu Hause aufzubewahren oder auf die Waffenrückgabepflicht beim Austritt aus der Armee.

Das Abkommen verlangt auch kein zentrales Waffenregister. Und das Tragen von Schusswaffen wird von Schengen nicht tangiert.

Schliesslich hat Schengen auch keinen Einfluss auf Jagd und Schiesssport in der Schweiz. Für Jagdbewilligungen, die Dauer der Jagdsaison und die Durchführung von Schiessanlässen gelten nach wie vor die nationalen Vorschriften.

Emotionsgeladen

Was den privaten Besitz von Waffen angeht, so hat die Schweiz in jüngster Zeit sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht.

2001 drang ein bewaffneter Mann ins Zuger Kantonsparlament ein und tötete 14 Menschen, bevor er sich selbst richtete. Der Täter hatte all seine Waffen, einschliesslich des mitgeführten Armeesturmgewehrs, vorschriftsgemäss und legal erworben.

Das Massaker schockierte ein Land, das pro Kopf zwar mehr Waffen besitzt als die USA, jedoch eine verhältnismässig tiefe Schusswaffenkriminalität hat.

Die damalige Justizministerin Ruth Metzler forderte umgehend die zentrale Registrierung aller Schusswaffen und zog damit den Zorn der Waffenlobby und verschiedener Politiker auf sich. Diesbezügliche Pläne wurden jedenfalls bald aufs Eis gelegt.

swissinfo, Thomas Stephens
(Übertragung aus dem Englischen: Dieter Kuhn)

In der Schweiz besitzen Privatpersonen rund drei Millionen Schusswaffen.
320 000 Sturmgewehre und andere Waffen im Besitz von ausgemusterten Soldaten.
Laut offiziellen Polizeistatistiken wurden 1998 insgesamt 66 versuchte oder erfolgreiche Tötungsfälle mit Schusswaffen verzeichnet.
Von 75 Millionen verschossenen Patronen im Jahr 2003 wurden 31 bei Verbrechen mit Schusswaffen gebraucht.

Das Schengen-Abkommen schreibt Meldepflicht für Waffenkäufe/Waffenbesitz vor.

Verschiedene Gruppen der Waffenlobby rufen zur Ablehnung des Abkommens auf.

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