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Unkontrollierter Waffenverkauf

Standard-Mobiliar in Kellern und Schränken: das Sturmgewehr der Schweizer Armee. Keystone

Ausgemusterte Schweizer Soldaten erhalten beim Abschied von der Armee ein Geschenk: ihre persönliche Waffe. Nichts hindert sie daran, diese Waffe zu verkaufen.

Diese Gesetzeslücke bringt die Behörden in Verlegenheit. Jene Kreise, die Schlimmes befürchten, sind empört

Zwar sieht die laufende Waffengesetz-Revision eine restriktivere Handhabung vor, doch zirkulieren bereits heute auf dem Markt jede Menge Gewehre und Dienstpistolen zu Schleuderpreisen.

Ein Mann, ein Soldat. Die Schweiz ist nicht das einzige Land, in dem die Armee nach dem Milizsystem organisiert ist. Der grosse Unterschied zu anderen Staaten liegt in einem Detail, das der Schweizer Wehrmann gewöhnlich zuhause im Schrank, im Keller oder im Estrich versorgt.

Wer Dienst am Vaterland tut, darf nicht nur seine Uniform und die Gamelle, sondern auch das Sturmgewehr und in gewissen Fällen sogar die Dienstpistole behalten. Das alles bewahrt er nach alter Väter Sitte zumindest bis zum Ende der Dienstpflicht zuhause auf.

Vor wenigen Jahrhunderten wurde das Vaterland mit der Jagdflinte verteidigt, die jeder mitbrachte. Daran hat sich nicht viel geändert: Die Waffe liegt nach wie vor zuhause, auch wenn sie heute der Armee gehört.

Nach der Ausmusterung allerdings genügt ein einfaches Formular, und sie geht in den Besitz des Soldaten über, der sie bis an sein Lebensende behalten darf. Einzige Vorsichtsmassnahme: Das Magazin wird ausgeklinkt.

Eine Lücke im Waffengesetz

Eine Untersuchung in der Zentralkaserne in Zürich hat ergeben, dass 57% der Wehrmänner nach Erfüllung ihrer Dienstpflicht ihr Gewehr mit nach Hause nehmen; bei der Pistole sind es über 75%.

Doch die Zeiten ändern sich: Die Schweizer Armee wird von einem Bestand von rund einer halben Million Angehörigen auf knapp über 100’000 Aktive gekürzt.

Bis Ende 2005 werden somit sämtliche Soldaten, die älter sind als Jahrgang 1974, aus der Armee ausgeschieden. Letztes Jahr wurden fast 120’000 Soldaten ausgemustert.

Innerhalb von nur drei Jahren gehen damit mindestens 150’000 Sturmgewehre und Pistolen in den Besitz von Schweizer Bürgern über; die offizielle Statistik spricht von insgesamt 324’484 Waffen.

Dazu brauche es nicht einmal einen Waffenschein, monieren die Kritiker. Das erst 1999 revidierte Gesetz klammert diesen Aspekt schlicht aus.

Käufer gesucht

Guido Balmer, Sprecher des Bundesamtes für Polizei, gibt sich gelassen: “Artikel zwei des Gesetzes legt der Armee ausdrücklich keinerlei Beschränkung auf.”

Die geschenkten Armeewaffen dürfen, so veraltet sie auch sein mögen, nach Belieben behalten oder verkauft werden.

Dass ein Grossteil der neuen Besitzer das “Ausmusterungs-Geschenk“ zu Geld machen wollen, bestätigt eine Umfrage der Zürcher Tageszeitung “Tages Anzeiger”:

Zahlreiche offizielle Waffenhändler erhalten täglich Kaufangebote. Allerdings sind die Armeewaffen in Sammlerkreisen nicht sonderlich begehrt und entsprechend billig.

“Ob die Besitzer ihre Waffe privat verkaufen, entzieht sich unserer Kenntnis. Illegal ist es nicht”, fügt Guido Balmer hinzu.

Um vom leidigen Thema abzukommen, bringt er die laufende Gesetzesrevision zur Sprache: Vorgesehen ist der Aufbau einer Datenbank, die den Besitzerwechsel bei Feuerwaffen erfasst.

Nach Ansicht des Justizdepartements ein wichtiges Instrument vor allem für die Ermittler, welche die Besitzer von bei Straftaten verwendeten Waffen zu identifizieren suchen.

Warnende Stimmen

Doch der Schweizer Friedensrat, dem zahlreiche pazifistische Gruppen angehören, warnt schon lange: “Armeewaffen, die zu Hunderttausenden in den Schweizer Haushalten aufbewahrt werden, stellen eindeutig eine Gefahr dar”.

Dass die Gesetzesrevision keinerlei Anstalten trifft, den Waffengebrauch in der Armee und die private Abgabe einzuschränken, ist dem Friedensrat ein Dorn im Auge.

Für ihn ist die Datenbank lediglich ein Alibi aus der Ideenküche jener Kreise, die sich für den freien Verkauf von Feuerwaffen stark machen. Am Pranger stehen nicht nur die Grosshändler: In der Schweiz haben auch die Schützenvereine und Jäger eine lange Tradition und ein beträchtliches politisches Gewicht.

Seit einigen Jahren führen die Pazifisten eine Kampagne durch, um den Verkauf von Waffen massiv einzuschränken. Ihrer Ansicht nach ist die Waffenlobby für die lasche Schweizer Praxis verantwortlich.

Amokläufer

Experten weisen daraufhin, dass das organisierte Verbrechen bis anhin keine Waffen aus Schweizer Armeebeständen benutzt. Doch auch sie müssen zugeben, dass ein Missbrauch durchaus möglich ist.

An Fällen, in denen einzelne Personen im Tötungsrausch mit solchen Waffen ein Blutbad anrichteten, fehlte es in den letzten Jahren nicht. Man denke nur an die dramatischen Vorfälle in einer Zürcher Bank oder im Zuger Parlament oder an die Tötungsdelikte, bei denen ganze Familien ausgelöscht wurden.

In der Kaserne Zürich begnügt man sich vorläufig damit, Standardverträge für den Waffenverkauf abzugeben, damit die Besitzverhältnisse einer Waffe auch später noch nachvollzogen werden können: “Ein Versuch, die Besitzer zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Armeewaffen aufzufordern”, meint dazu Guido Balmer.

swissinfo, Daniele Papacella
(Übertragung aus dem Italienischen: Maya Im Hof)

324’484 Sturmgewehre und andere Waffen befinden sich in den Händen von Ex-Soldaten.

In der Schweiz zirkulieren zwischen 1,2 und 3 Millionen Feuerwaffen.

Offiziell sind auf 100 Einwohnerinnen und Einwohner 16 Waffen registriert.

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