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Streit um Höhe der Kinderzulagen

Familien erhalten von Kanton zu Kanton unterschiedlich viel Geld pro Kind. Keystone

Dass die Kinderzulagen in der Schweiz vereinheitlicht werden sollen, ist weitgehend unbestritten. Über die Höhe der Beiträge wird allerdings gerungen.

Über das Thema wird ab dem 10. März in der grossen Parlamentskammer, dem Nationalrat, debattiert.

26 Kantone, 26 Regelungen. So präsentiert sich die Realität der Kinderzulagen in der Schweiz. Während im Aargau pro Kind 150 Franken ausbezahlt werden, erhält eine Walliser Familie für das erste und zweite Kind 260, für das dritte und vierte gar 344 Franken, mehr als doppelt so viel wie im Aargau.

Diese Ungleichheit empfand Angeline Fankhauser, ehemalige Nationalrätin der Sozialdemokratischen Partei (SP) als stossend. Sie reichte 1991 eine entsprechende Parlamentarische Initiative ein, die mindestens 200 Franken pro Kind bis 16 und 250 für Auszubildende zwischen 17 und 25 verlangte.

Dieser wurde 1992 vom Parlament Folge gegeben. Da jedoch die Sanierung der Bundesfinanzen anstand, wurde das Geschäft bis Sommer 2001 sistiert.

Bundesgesetz für Familienzulagen

Die zuständige Kommission entschied darauf, den ursprünglichen Entwurf zu einem Bundesgesetz über Familienzulagen zu überarbeiten. Dieses sieht Mehrkosten von 890 Mio. Franken vor. Heute belaufen sich die Kosten für die Kinderzulagen auf rund 4,08 Mrd. Franken jährlich.

Die Landesregierung, der Bundesrat, hat sich grundsätzlich für eine Harmonisierung ausgesprochen, will sich aber nicht auf eine bestimmte Höhe der Zulagen festlegen. Sie ist gegen eine Lösung, die “zu einer Mehrbelastung der Wirtschaft führt”.

Unterstützung erhält das Bundesgesetz durch zwei Initiativen der Kantone Solothurn und Luzern, die ebenfalls eine gesamtschweizerisch einheitliche Regelung der Zulagen fordern.

Das Bundesgesetz über Familienzulagen gilt nun im Parlament als indirekter Gegenvorschlag zur im Volksinitiative “Für fairere Kinderzulagen!” der Gewerkschaft Travail.Suisse, die im April 2003 eingereicht wurde.

Volksinitiative für fairere Kinderzulagen

Diese verlangt einheitliche Kinderzulagen von mindestens 450 Franken pro Monat und Kind. Wie beim Bundesgesetz sollen nicht nur Arbeitnehmende, sondern alle Eltern in den Genuss von Kinderzulagen kommen.

“Das Parlament hätte seit 13 Jahren die Möglichkeit gehabt, Verbesserungen zu erzielen”, sagt Hugo Fasel, Präsident von Travail.Suisse und Nationalrat der Christlich-sozialen Partei (CSP) gegenüber swissinfo.

Der Bundesvorschlag mit 200 Franken geht den Initianten nicht weit genug. “Ein Kind kostet heute wesentlich mehr als 1000 Franken im Monat. Darum ist auch unser Satz von 450 Franken ein kleiner Beitrag.”

Fasel rechnet mit rund 3 Mrd. Franken Mehrkosten, die er mit den 80 Milliarden vergleicht, welche die Alterssicherung jährlich kostet.

Als “Wunschdenken” bezeichnet Doris Leuthard, Präsidentin der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), die Volksinitiative. Zwar ist ihre Partei auch für eine Harmonisierung der Zulagen, doch favorisiert sie das Bundesgesetz “als schweizerischen Mindest-Standard”.

“Heute gibt es 300’000 Kinder, die keine Zulage beziehen können. Das ist ungerecht, und dem wollen wir ein Ende setzen”, betont sie. Der Ansatz von 450 Fr. jedoch sei “illusorisch”.

Familien lieber entlasten

Gar nichts von diesen Vorschlägen will die Schweizerische Volkspartei (SVP) wissen. Eine Harmonisierung führe zu einer Nivellierung gegen oben. Viel wirkungsvoller wäre eine steuerliche Entlastung der Familien.

“Wir müssen dort helfen, wo wirklich Bedürftigkeit besteht, und das bestehende System mit kantonalen Unterschieden wird dem vollauf gerecht”, betont Parteipräsident Ueli Maurer.

Wirkliche finanzielle Probleme würden sich auch nicht mit einigen hundert Franken Kinderzulagen lösen lassen.

Gegen Giesskannen-Prinzip

Die Unterschiede zwischen den Kantonen auszugleichen sei wenig sinnvoll, “weil das Leben nicht überall gleich viel kostet”. Prinzipiell sei die Partei gegen das Giesskannen-Prinzip, das hier angewendet würde, so Maurer.

Diesem Prinzip steht die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) ebenfalls skeptisch gegenüber, obwohl sie eine Harmonisierung grundsätzlich begrüsst.

Leuthard hingegen setzt sich mit ihrer Partei für das Giesskannen-Prinzip ein. “Es ist schön, dass wir nach wie vor Eltern haben, die bereit sind, eine Familie zu gründen. Und deshalb ist mir das die Giesskanne wert.”

Diese Leistung für die Gesellschaft gelte es nun “in eine Anerkennung durch die Gesellschaft zu überführen”. Und Fasel stellt fest: “Wir wissen, dass jemand mit Erziehungsarbeit einen Dienst an die Gemeinschaft leistet.”

Auch wenn das Bundesgesetz moderater daherkommt, dürfte es am Donnerstag knapp werden, erwartet Leuthard. Für Spannung ist auf jeden Fall gesorgt. Das definitive Schlusswort wird jedoch das Volk haben, frühestens Anfang 2006.

swissinfo, Christian Raaflaub

Kinderzulagen 2003, die Extreme:
Aargau: 150 Fr. für 1. bis 4. Kind, keine zusätzliche Ausbildungs-Zulage
Wallis: 260 Fr. für 1. und 2. Kind, 344 Fr. für 3. und 4. Kind, dazu je 100 Fr. Ausbildungs-Zulage

Die Idee, die Kinderzulagen in der Schweiz auf mindestens 200 Fr. pro Kind anzugleichen, wurde bereits 1991 ins Parlament getragen.

Nun behandelt der Nationalrat den ältesten hängigen Vorstoss ab dem 10. März. In die gleiche Stossrichtung gehen zwei kantonale Initiativen.

Das Thema ist umstritten: Während Gewerkschaften eine Initiative lanciert haben, die noch weiter geht, sehen rechtsbürgerliche Kreise die Lösung bei weniger Steuern für Familien.

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