Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Wirtschaft wichtiger als Menschenrechte

Forschungsleiter Georg Kreis präsentiert den Schlussbericht. Keystone

Die Schweiz hat in ihren Beziehungen zu Südafrika während der Apartheid die Handels- und Gewerbefreiheit über die Menschenrechte gestellt.

Zu den Ergebnissen des Forschungs-Programmes des Nationalfonds, das am Donnerstag in Bern veröffentlicht wurde, wollte sich der Bundesrat nicht äussern.

“Wissenschaftlich ist es unmöglich, eine definitive Einschätzung darüber zu machen, ob die Schweiz mitgeholfen hat, das Apartheid-Regime zu stabilisieren oder gar weiter am Leben zu erhalten”, sagte Georg Kreis, Leiter des Nationalen Forschungsprogrammes NFP 42+ “Beziehungen Schweiz-Südafrika” gegenüber swissinfo.

“Aber die Schweiz spielte in Sachen Südafrika tatsächlich – territorial gesehen – eine überproportionale Rolle im Finanzbereich. Das Ende der Apartheid erfolgte aber auch noch aus anderen Gründen.”

Problematisch war die Rolle der Schweiz trotzdem: Denn ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Apartheid in den 1980er-Jahren seien die Beziehungen zu Südafrika besonders intensiv gewesen. Heikel seien insbesondere die Kontakte im militärischen, rüstungsindustriellen und nuklearen Bereich gewesen.

Fadenscheinige Begründungen

Die Schweiz schloss sich den internationalen Sanktionen nicht an. Begründet wurde das Abseitsstehen mit der verfassungsmässig garantierten Handels- und Gewerbefreiheit sowie mit der strikten Trennung zwischen privatem und öffentlichem Handeln.

Auffallend dabei sei, wie heikle Vorgänge aus dem öffentlichen in den privaten Bereich geschoben worden seien, sagte Kreis weiter. So habe man Besuche von Mitgliedern des Apartheidregimes als privat eingestuft, selbst wenn diese offiziell angemeldet worden seien.

Diese Taktik wurde etwa vom Delegierten des Bundesrates für Atomenergie im Zusammenhang mit möglichen Lieferungen der schweizerischen Wirtschaft an das südafrikanische Urananreicherungs-Programm verfolgt.

UNO-Sanktionen unterlaufen

Generell sei die internationale Sanktionspolitik für die Schweizer Behörden in keinem Moment wegleitend gewesen. Die Schweizer Industrie habe das Waffenembargo, das die UNO über Südafrika verhängt habe, in grossem Stil unterlaufen.

Die Verwaltung sei über viele illegale und halblegale Geschäfte informiert gewesen. “Sie duldete sie stillschweigend, unterstützte sie teilweise aktiv oder kritisierte sie halbherzig”, heisst es im Bericht.

Der Widerspruch zwischen der strikten Verurteilung der Apartheid und der Weigerung, etwas dagegen zu unternehmen, zieht sich wie ein roter Faden durch die schweizerische Südafrikapolitik, wie die Forscher feststellten.

Weiter waren sich die Wissenschafter einig darin, dass die Massnahmen gegen den Export von Kriegsmaterial nur wenig bewirkten. Die Vorschriften hätten entweder substanzielle Lücken enthalten oder seien bewusst unterlaufen worden.

Schweizer Südafrika-Politik wissenschaftlich beurteilt

Den Auftrag für das Programm hatte der Bundesrat dem Schweizerischen Nationalfonds im Mai 2000 erteilt. Als übergeordnetes Ziel galt die Erarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen für eine Beurteilung der schweizerischen Südafrika-Politik.

Eine der Rahmenbedingungen für die Forschungsarbeiten war, dass der Zugang zu den Akten der Bundesverwaltung, für die eine Schutzfrist von 30 Jahren besteht, liberal geregelt würde.

Kein “Wahrheitsbericht”

Es handle sich nicht um einen “Wahrheitsbericht”, sagte Kreis. So wurde im Schlussbericht auch davon abgesehen, ein Urteil über die Beziehungen zwischen der Schweiz und Südafrika zu fällen.

Den kritischen Umgang mit den Akten hat das allerdings nicht ausgeschlossen, so etwa bei der Bewertung des Verhaltens auf Seiten der Verwaltung. Die Behörden erhalten dabei keine guten Noten: Die Begründungen und Argumente im Zusammenhang mit dem Export von Kapital und Kriegsmaterial habe “eigentlich täuschenden Charakter” gehabt, hält der Bericht fest.

Ernsthafte Störung

Der Schlussbericht hätte eigentlich bereits im Frühling 2004 publiziert werden sollen. Die Arbeiten gerieten dann allerdings ins Stocken, als der Bundesrat im April 2003 eine Aktensperre verhängte.

“Die Massnahme des Bundes ist nicht direkt eine Zensur, aber sie hat für mich einen zensorischen Aspekt: Sie erfolgte im Zusammenhang mit dem Druck der Sammelklagen gegen Schweizer Unternehmen”, sagte Kreis gegenüber swissinfo. “Zensorisch auch, weil es erlaubte, innenpolitisch nicht über die Rolle der Schweiz diskutieren zu müssen.”

Für Kreis handelt es sich um eine Vorenthaltung von Akten in Abweichung der abgemachten Spielregeln bei der Aufgabenvorgabe für das Forschungsprogramm – “und das ist gravierend genug”.

Das Bundesarchiv verlangte zudem gewisse Auflagen: Anonymisierung vieler Namen, keine Vergleiche mit anderen Staaten. Der Historiker Peter Hug, Autor des Berichtes über die militärischen, rüstungsindustriellen und nuklearen Beziehungen der Schweiz zum Apartheid-Staat, musste den Behörden beweisen, dass er die Auflagen befolgt hat und ihnen das Mauskript vorlegen.

“So wurde meine Forschungsarbeit massiv verzögert und behindert, und es entstand für mich ein schmerzlicher Verlust an wichtigen Infos. Zudem konnte ich auch alle Kapitaltransfer-Akten nicht einsehen, was wichtig gewesen wäre”, sagte Hug gegenüber swissinfo.

Schockierendes Sittengemälde oder aufgewärmte Suppe?

Der Bundesrat hat den Schlussbericht als wichtigen Beitrag zu einem vertieften Verständnis der historischen Beziehungen der beiden Länder begrüsst. Zu den Ergebnissen der Untersuchung äussert er sich jedoch nicht.

Mascha Madörin von der Recherchiergruppe Schweiz-Südafrika zeigt sich schockiert über die enge Zusammenarbeit mit dem Apartheidsregime. Sie hält den Bericht jedoch für “ein Sittengemälde darüber, wie Politik und Wirtschaft zusammenarbeiteten und wie dies gegenüber der Öffentlichkeit vertuscht wurde”.

Als “aufgewärmte Suppe” bezeichnet dagegen die ehemalige Berner Nationalrätin Geneviève Aubry (FDP) die Studie. Einmal mehr würden Linke und Intellektuelle die Wirtschaft angreifen und ein längst vergangenes Kapitel Schweizer Geschichte neu aufrollen, sagte Aubry, die vor zwölf Jahren als UNO-Beobachterin in Südafrika gewesen war.

Für die Grüne Nationalrätin Pia Hollenstein macht der Schlussbericht klar, dass der Bundesrat in verschiedenen Punkten gelogen hat. Die Co-Präsidentin der parlamentarischen Arbeitsgruppe Schweiz-Südafrika bezeichnet die Ergebnisse der Studie als noch erschreckender als erwartet.

swissinfo und Agenturen

In Südafrika wurden die ersten rassentrennenden Elemente bei den Wahlen von 1924 eingeführt.
1948 nahm die Apartheid definitiv Gestalt an und wurde in den folgenden Jahren mit Gesetzen ausgebaut, die unter anderem gemischtrassige Ehen verboten.
1956 wurde die Apartheid-Politik auf alle Nicht-Weissen ausgedehnt.
Wegen innerer Unruhen und eines immer stärker werdenden internationalen Drucks wurde die Rassentrennung 1991 unter der Regierung von Frederik de Klerk aufgehoben.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft