Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Zwei Kronfavoriten und viele Unbekannte

Keystone

Das Rennen um den freien Sitz im Bundesrat bleibt spannend und offen. Der freisinnige Didier Burkhalter und der Christdemokrat Urs Schwaller starten aus der Pole-Position. Die offiziellen Positionen der Parteien sind bekannt. Dennoch bleiben Wahl-Verlauf und -Ausgang unberechenbar.

Drei offizielle und ein “wilder” Kandidat stehen zur Auswahl: Der Neuenburger Ständerat Didier Burkhalter und der Genfer Nationalrat Christian Lüscher sind die Kandidaten der freisinnig-liberalen Partei. Der Freiburger Ständerat Urs Schwaller steigt für die Christdemokraten (CVP) als Herausforderer ins Rennen. Dazu kommt der linksfreisinnige Tessiner Ständerat Dick Marty, der Wunschkandidat eines Teils der Linken und Grünen.

Nach den letzten Fraktionssitzungen am Dienstagnachmittag scheint klar, dass Schwaller und Burkhalter im “Schlussgang” gegeneinander antreten werden. Welcher der beiden gewählt werden wird, ist allerdings offen.

Winkelzüge und Wahltaktische Überlegungen schliessen aber auch einen andern Ausgang der Wahl nicht aus. So wird die grösste Partei, die Schweizerische Volkspartei, die den Anspruch des Freisinns auf den Sitz nicht bestreitet, offiziell und geschlossen für den ihr am nächsten stehenden Lüscher stimmen. Dabei muss sie aufpassen, dass dadurch der zweite Freisinnige, Didier Burkhalter, nicht ausscheidet, denn gegen Lüscher würde Schwaller mehr Stimmen auf sich vereinen.

Das linksgrüne Lage hat gleichzeitig ein Interesse, dass Schwaller nicht zu früh ausscheidet, was Lüscher den Weg ebnen könnte. Dazu kommt, dass keine Parlamentarierin und kein Parlamentarier an einen Fraktionszwang gebunden ist und dass die Kandidaten und die Parteistrategen noch einen langen Abend und eine halbe Nacht Zeit haben und um jede einzelne Stimme kämpfen werden.

Dazu kommt der “wilde Kandidat” linksfreisinnige Tessiner Ständerat Dick Marty, der Wunschkandidat eines Teils der Linken und Grünen. Im ersten Wahlgang erhielt er 34, im zweiten Wahlgang 12 Stimmen. Der Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty hat sich nach dem ersten Wahlgang mit einer persönlichen Erklärung aus dem Rennen genommen.

Quoten nicht mehr sakrosankt

Pascal Couchepin ist Walliser, Romand und freisinnig. Wäre alles wie einst, dann wäre klar, dass auch sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin Romand und freisinnig sein müsste. Mit der Wahl von Christoph Blocher und der Abwahl der Christdemokratin Ruth Metzler im Dezember 2003, hat das Parlament die seit 1959 als ungeschriebenes Gesetz geltende Zauberformel aufgehoben.

Seither sind die Quoten nach Sprachregionen, Kantonen und Parteien nicht mehr sakrosankt. Nur wenige Tage nach der Rücktrittankündigung von Couchepin meldete die Christlich-demokratische Volkspartei (CVP) ihren Anspruch auf den verlorenen zweiten Sitz an.

Kandidat Schwaller hat Exekutiverfahrung und gilt in weiten Kreisen als kompetent und dossiersicher. Gesellschaftspolitisch ist Schwaller konservativ. Seine sozial- und familienpolitischen Positionen machen ihn auch für einen Grossteil der Linken und der Grünen wählbar.

Stimmen der Bauern

Nicht wählen will ihn – und das geschlossen – die Schweizerische Volkspartei (SVP). “Von uns wird keiner CVP wählen. Das ist ja völlig klar, nach allem, was passiert ist”, sagt SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi und meint damit die Abwahl von SVP-Bundesrat Blocher, an der die CVP wesentlich beteiligt war. Dennoch gehen Beobachter davon aus, dass Schwaller, der ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU ablehnt, bei den Bauern der SVP einige Stimmen holen wird.

Lüscher wäre Überraschung

Ein Teil der Linken bevorzugt den etwas öffnungsfreundlicheren freisinnigen Burkhalter, der im Gegensatz zu Schwaller in den Augen vieler Lateiner ein “echter Romand” ist und nicht ein zweisprachiger Deutschschweizer aus einem zweisprachigen Kanton der Romandie.

Neben den meisten Stimmen der SVP, kann der Kandidat der Rechten, der Genfer Christian Lüscher, mit voraussichtlich rund der Hälfte der Stimmen aus der eigenen Fraktion rechnen. Eine Wahl Lüscher wäre eine Überraschung.

Möglicher Richtungswechsel, kein Kurswechsel

Genauso schwierig wird es der linksfreisinnige Dick Marty haben, der lediglich auf einen Teil des links-grünen-Lagers, auf einen Teil der Tessiner-Stimmen und auf vereinzelte Stimmen aus der Romandie zählen kann.

Grundsätzlich gehe es bei dieser Ersatz-Wahl um die Frage, ob die Schweiz künftig eine Mitte-Rechts, oder eine Mitte-Links Regierung haben werde, sagt der Politologe Michael Herrmann von der Universität Zürich gegenüber swissinfo.ch: “Es geht aber lediglich um einen möglichen Richtungswechsel, nicht um einen Kurswechsel.”

Andreas Keiser, Bundeshaus, swissinfo.ch

Vierter Wahlgang:
Absolutes Mehr: 120
FDP-Kandidat Didier Burkhalter: 129 Stimmen

Dritter Wahlgang:
Ausgeteilte Wahlzettel: 243
Gültig: 243
Absolutes Mehr: 122
CVP-Kandidat Urs Schwaller: 95 Stimmen
FDP-Kandidat Christian Lüscher: 63 Stimmen
FDP-Kandidat Didier Burkhalter: 80 Stimmen
FDP-Ständerat Dick Marty: 5 Stimmen
Verschiedene: 0

Zweiter Wahlgang:
Ausgeteilte Wahlzettel: 245
Gültig: 245
Absolutes Mehr: 123
CVP-Kandidat Urs Schwaller: 89 Stimmen
FDP-Kandidat Christian Lüscher: 72 Stimmen
FDP-Kandidat Didier Burkhalter: 72 Stimmen
FDP-Ständerat Dick Marty: 12 Stimmen
Verschiedene: 0

Erster Wahlgang:
Ausgeteilte Wahlzettel: 245
Gültig: 245
Absolutes Mehr: 123
CVP-Kandidat Urs Schwaller: 79 Stimmen
FDP-Kandidat Christian Lüscher: 73 Stimmen
FDP-Kandidat Didier Burkhalter: 58 Stimmen
FDP-Ständerat Dick Marty: 34 Stimmen
Verschiedene: 1

Am 16. September wählt die Vereinigte Bundesversammlung, also der National- und der Ständerat, den Nachfolger des abtretenden Bundesrats Pascal Couchepin.

Die Bundesversammlung zählt zurzeit nur 245 anstatt 246 Mitglieder, weil der Sitz des im Juni verstorbenen Ständerats Ernst Leuenberger vakant ist.

In den ersten zwei Wahlgängen können theoretisch alle Stimmberechtigten gewählt werden.

Vom dritten Wahlgang an sind keine weiteren Kandidaten mehr zugelassen. Der Kandidat mit den wenigsten Stimmen scheidet aus.

Gewählt ist der Kandidat, der mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen und damit das absolute Mehr auf sich vereinigt. Leere und ungültige Wahlzettel werden für das absolute Mehr nicht berücksichtigt.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft