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Chiracs Vorschläge wirbeln Staub auf

Chirac per Video mit Davos verbunden. Keystone

Die Schweizer Banken kritisieren die Besteuerungs-Ideen des französischen Präsidenten Chirac.

Chirac hatte am Mittwoch bei der WEF-Eröffnung per Videoschaltung aus Paris Vorschläge zur Bekämpfung von Armut und Aids unterbreitet.

Zu den Vorschlägen Chiracs zuhanden des Weltwirtschafts-Forums (WEF) in Davos gehört auch das Szenario mit der Besteuerung von Ländern mit einem Bankgeheimnis – ein kleiner Seitenhieb ans Bein des WEF-Gastgeberlandes Schweiz.

Für den französischen Präsidenten wäre auch eine allgemeine Besteuerung der Finanztransaktionen in allen Finanzplätzen denkbar. Er könnte sich aber auch eine Besteuerung von Flugtickets vorstellen.

Kritik der Banken

Die Schweizer Banken haben wenig Verständis dafür, dass Länder, die am Bankgeheimnis festhalten, Teile der Kapitalgewinne für einen Aids-Fonds abzweigen sollen.

Chiracs Vorschlag, der darauf abzielt, die negativen Auswirkungen der Steuerflucht zu kompensieren, sei “seltsam”, erklärte Thomas Sutter, Sprecher der Schweizerischen Bankiervereinigung.

Sutter glaubt nicht, dass das Bankgeheimnis für Kapitalflucht verantwortlich ist. Den Grund müsse man bei den Drittländern suchen, wo das Vertrauen in das Rechtssystem fehle.

Ähnlich tönt es bei den Schweizer Privatbankiers. Chirac täusche sich, sagte Generalsekretär Michel Dérobert. Hier würden Dinge vermischt, die nichts miteinander zu tun hätten.

Bundesrat Merz verärgert

Der Vorsteher des Eidg. Finanzdepartementes (EFP), Bundesrat Hans-Rudolf Merz, sprach gegenüber dem Tessiner Radio RSI von “einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Landes”.

Der französische Präsident habe zwar das Recht, seine diesbezüglichen Ideen vorzubringen. “Er muss aber akzeptieren, dass wir unsere eigenen Prozeduren und eine klare Politik zum Bankgeheimnis haben.”

Und Merz weiter: “Diese Fragen können im Rahmen der bilateralen Verhandlungen diskutiert werden, bei denen wir das Schweizer Bankgeheimnis, so wie es ist, verteidigen.”

NGO erfreut

Die Schweizer Nichtregierungs-Organisationen (NGO) haben sich erfreut gezeigt, dass “die grosse Politik” Postulate der Globalisierungskritiker aufgreife. Sie unterstützen die Besteuerungs-Vorschläge des französischen Präsidenten.

Chiracs Ideen für Steuern auf Finanztransaktionen oder auf dem Bankgeheimnis entsprächen den Vorstellungen der NGO, sagte Andreas Missbach von der Erklärung von Bern (EvB) am Donnerstag an einer Medienkonferenz in Davos.

Staaten mit Bankgeheimnis, wie etwa die Schweiz, saugten die Steuern anderer Länder ab. Es sei äusserst sinnvoll, sie im Gegenzug mit einer Sondersteuer zu belegen, erklärte Missbach.

Die NGO unterstützen Chirac auch darin, die zusätzlichen Mittel zur Bekämpfung der Aids-Pandemie einzusetzen. Gleichzeitig präsentierten sie im Rahmen der WEF-Gegenveranstaltung Public Eye weitergehende Vorschläge für eine globale Steuerpolitik.

“Sabotage durch die Schweiz”

Eine internationale Steuerbehörde fordert Bruno Gurtner von der Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Hilfswerke. Deren Aufgabe wäre es, die Schlupflöcher für Steuerflüchtlinge zu stopfen.

Die Schweiz sabotiere gemeinsam mit anderen Staaten wie Österreich oder Luxemburg die Versuche, verbindliche Absprachen gegen schädlichen Steuerwettbewerb zu treffen, sagte John Christensen, der internationale Koordinator des Netzwerks für Steuergerechtigkeit.

Er erinnerte daran, dass schon in den 20er-Jahren im Völkerbund über verbindliche Regeln für die internationale Steuerpolitik diskutiert worden sei -und seither unzählige Male.

Vorteile auch für Firmen

Nicht nur Länder, auch die Unternehmen müssten sich darauf einstellen. In Zukunft könne keine Firme als gut geführt gelten, die den Standortwettbewerb der Staaten ruchlos ausnütze.

Von einem Ende des schädlichen Steuerwettbewerbs könnten die Unternehmen selbst profitieren, erklärte Christensen, “denn sie sind die Opfer ihrer eigenen Spielchen”.

Die nationalen Steuersysteme seien nur deshalb so kompliziert, weil die Multis unablässig nach Schlupflöchern suchten. Ein globales Steuersystem käme gerade kleineren Firmen und Jungunternehmern entgegen, glaubt Christensen.

Zurückhaltender Blair – positives Echo aus Deutschland

Der britische Premierminister Tony Blair hat auf die Vorschläge Chiracs zurückhaltend reagiert. “Darüber muss diskutiert werden”, sagte Blair am Donnerstag am WEF in Davos.

Die Vorschläge gingen jedoch in die richtige Richtung, nämlich das Engagement der reichen für die armen Länder zu verstärken, betonte der britische Regierungschef.

Der Vorschlag Chiracs zur Einführung einer weltweite Steuer zur Finanzierung der Aids-Bekämpfung ist bei der deutschen Regierung auf ein positives Echo gestoßen.

“Prinzipiell gesehen ist der Ansatz von Chirac ein sympathischer Ansatz”, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums am Donnerstag. Der Vorschlag müsse nicht unbedingt ausschließlich auf die Aids-Bekämpfung abzielen, sondern könnte auch dem Ziel einer höheren Entwicklungshilfe dienen.

Die Bundesregierung sei jedoch skeptisch hinsichtlich der von Chirac ins Spiel gebrachten Variante einer Steuer auf Finanztransaktionen.

swissinfo und Agenturen

Laut der Nichtregierungs-Organisation (NGO) Tax Justice Network entgehen den Entwicklungsländern infolge Steuerflucht jährlich rund 50 Mrd. Dollar.

Durch steuerhinterzogene Gelder auf Schweizer Bankkonten entgehen ihnen jedes Jahr fünf Mal mehr Einnahmen, als sie von der Schweiz als Entwicklungshilfe erhalten.

Der französische Präsident Jacques Chirac hatte am Mittwoch auf dem Weltwirtschafts-Forum in Davos eine weltweite Steuer vorgeschlagen, um den Kampf gegen die Immunschwäche Aids zu finanzieren.

Die Steuer könnte nach seinen Worten auf internationale Finanzgeschäfte, auf Treibstoff für Luft- und Seetransporte oder in Form einer Erhöhung der Preise für Flugtickets um einen Dollar erhoben werden. Damit könnten jährlich zehn Milliarden Dollar aufgebracht werden.

Zu den Vorschlägen Chiracs zuhanden des WEF gehört auch das Szenario mit der Besteuerung von Ländern mit einem Bankgeheimnis – ein kleiner Seitenhieb ans Bein des WEF-Gastgeberlandes Schweiz.

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