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Damit aus Soldaten keine Monster werden

Verstoss gegen internationales Recht: 680 Terror-Verdächtige ohne Anklage in Guantànamo Bay. Keystone

Selbstmord-Attentäter, Warlords oder Guantánamo-Häftlinge: Der Terrorismus und seine Bekämpfung drohen die Genfer Konventionen zu entwerten.

42 hochrangige Militärärzte aus 27 Ländern diskutierten in Spiez drängende Fragen des Kriegsvölkerrechts.

“Soldaten sind auch nur Menschen: Sind sie müde, verängstig oder voller Hass, können sie schlimme Dinge tun. Das Kriegsvölkerrecht sorgt dafür, dass Soldaten nicht zu Monstern werden und sie Krieger bleiben”, sagte der britische Major Steven Tracey am Weiterbildungskurs über Kriegsvölkerrecht (KRV) in Spiez.

Eingeladen hatte die Schweiz im Namen des Internationalen Komitees für Militärmedizin. Gekommen waren Vertreter aus so verschiedenen Ländern wie China, Norwegen, Albanien, USA, Indien, Georgien, Frankreich, Ukraine, Deutschland oder Malaysia. Auch drei Generäle nahmen an der Weiterbildung teil.

Seit 1999 finden die Kurse in der neutralen Schweiz statt, weil sich die Durchführung in nicht-neutralen Ländern als problematisch herausstellte.

Kriegsvölkerrecht bedroht

Zentrales Thema war die zunehmende Zahl von Terror-Anschlägen und Selbstmord-Attentaten. Viele Staaten sehen sich heute mit einem Gegner konfrontiert, der sich nicht an Regeln hält. Aber auch die Methoden, mit denen viele der betroffenen Regierungen auf diese Gewalt reagieren, haben sich deutlich verschärft.

“Das Kriegsvölkerrecht ist bedroht”, sagte Kursleiter Hans-Ulrich Baer, Chirurg und Oberst der Schweizer Armee. Terror-Verdächtige werden ohne Gerichtsverfahren interniert, und bei Verhören kommen so genannte “stress and duress”-Techniken (Stress und Zwang) zum Einsatz, welche die Grenzen zur Folter tangieren oder gar überschreiten.

Dilemma für Militärärzte

Baer betonte, dass Militärärzten aufgrund ihrer doppelten Verpflichtung eine besondere Verantwortung zukomme. “Militärärzte sind zuerst Ärzte. Als Ärzte haben sie die Verpflichtung, für die Patienten und Verletzten zu sorgen, und zwar völlig unabhängig von Rang und Herkunft.”

Auf der anderen Seite sei ein Militärarzt jedoch in der Armee und unterstehe der Befehlskette. “Das gibt manchmal schwierige Situationen, weil man auf der einen Seite dem Befehl verpflichtet ist und auf der anderen Seite dem Kriegsvölkerrecht sowie medizinisch-ethischen Überlegungen.”

Nationale Missachtung des internationalen humanitären Rechts stürze medizinisches Personal in ein Dilemma, erklärte der südafrikanische Rechtsexperte Jerome Singh. Er bezog sich auf die 680 von den USA internierten Terror-Verdächtigen in Guantànamo-Bay, darunter auch Kinder unter 16 Jahren.

“Es ist die legale und ethische Pflicht von Medizinern, Verstösse gegen die Genfer Konventionen und Menschenrechte zu melden oder dagegen zu protestieren”, betonte Singh. Für das medizinische Personal seien Terror-Verdächtige in erster Linie Patienten. “Ein Arzt macht sich strafbar, wenn er beim Verhör von Kriegsgefangenen assistiert.”

Juristische Sprache

“Das Problem besteht darin, dass die Genfer Konventionen in einer juristischen Sprache abgefasst sind”, sagte Kursleiter Baer. Für einen normalen Arzt seien die Konventionen deshalb relativ schwierig zu verstehen.

“Die Regeln sind zu wenig pragmatisch, obwohl ethisch und theoretisch korrekt. Wie etwa kann ich die gleiche Behandlung für alle garantieren, wenn die Ressourcen knapp sind”, ergänzte der indische General Amiya Kumar Lahiri im Gespräch mit swissinfo.

“Ein Militär will wissen, was er tun soll. Man muss dieses Recht in eine militärische Sprache und klare Handlungsanleitungen übersetzen”, erklärt Oberst Peter Hostettler, Experte für Kriegsvölkerrecht im Generalstab der Schweizer Armee. Im Kurs wurde denn auch die Anwendung des Rechts an praktischen Beispielen geübt.

Streitkräfte setzen Standards

Es sei heute wichtiger denn je, die Regeln des Kriegsvölkerrechts bekannt zu machen. Und zwar gegenüber den Warlords wie auch gegenüber den regulären Streitkräften. Diesen kommt bei der Einhaltung der Genfer Konventionen eine zentrale Bedeutung zu.

“Es sind die Streitkräfte, die den Standard setzen. Wenn sich eine Seite in einem Konflikt strikt an die Regeln hält, sind die Chancen grösser, dass die andere Seite das Gleiche macht”, ist Hostettler überzeugt.

Wenn sich beide Seiten über das Kriegsvölkerrecht hinwegsetzen, enden die Konfliktparteien in einer Spirale der Gewalt. Doch kein Krieg dauert ewig. Die Erfahrung zeigt, dass die Beachtung minimalster humanitärer Regeln den Friedens- und Versöhnungsprozess erleichtert.

Defizit im Strafvollzug

“Je mehr Leute wissen, dass es ein verbindliches Kriegsvölkerrecht gibt, desto besser wird es eingehalten”, gab sich Oberst Baer zuversichtlich.

Doch auch 50 Jahre nach der Entstehung der Genfer Konventionen bestehen die grössten Defizite immer noch bei der Durchsetzung der Regeln. Ein grosses Problem besteht im ungenügenden Strafvollzug. Noch viel zu oft können Täter das Recht verletzen, ohne dass sie zur Rechenschaft gezogen werden.

Es sei eines seiner eindrücklichsten Erlebnisse gewesen, als in Den Haag Offizieren und Generälen Kriegsgräuel zur Last gelegt wurden und sie dafür auch verurteilt wurden, sagte Baer.

Die Einrichtung der Kriegsverbrecher-Tribunale für Ruanda und Jugoslawien sowie die Schaffung des permanenten Internationalen Strafgerichtshofes seien zwar ermutigend, doch anerkenne die Supermacht USA den Gerichtshof für die eigenen Soldaten nicht und entziehe ihm die Unterstützung.

Regeln auch für eine Supermacht wichtig

“Langfristig wird auch eine militärische Supermacht nicht darum herum kommen, sich vermehrt um die Regeln des Kriegsvölkerrechts zu kümmern” sagte Hostettler, der Experte für Kriegsvölkerrecht im Generalstab.

Denn viele Regeln gewährleisteten auch den Schutz der eigenen Soldaten. “Beispiel Kriegsgefangene: Wenn eine Macht nicht gewillt ist, die Regeln des Abkommens strikt anzuwenden, dann ist sie selber unter Umständen Leid tragend, wenn andere Staaten auch von diesen Regeln abweichen.”

Professionelles Militär mit Kriegserfahrung wisse um die Bedeutung der Regeln, denn in vielen Umständen hänge ihr Leben von deren Einhaltung ab. “Bei Politikern ist das jedoch anders: Sie sind sich der Konsequenzen oft nicht voll bewusst, wenn die Regeln gebrochen oder verdreht werden.”

swissinfo, Hansjörg Bolliger

Die Schweiz organisiert den Kurs im Auftrag des Internationalen Komitees der Militärmedizin (ICMM), dem die Oberfeldärzte praktisch aller Armeen angehören.

Ziel des Kurses ist es, massgeblichen Vertretern verschiedenster Armeen minimale ethische Standards nahe zu legen.

Der Kurs wird von der Schweiz finanziert.

Seit 1999 finden die Kurse in der Schweiz statt.

Am Kurs nahmen 42 Offiziere aus 27 Ländern teil, davon 3 Generäle.

Das Kriegsvölkerrecht (KRV) setzt der Gewaltanwendung in Konflikten Grenzen.

Es schützt Zivilisten, medizinisches Personal sowie gefangene oder verletzte Soldaten.

Bekämpft werden dürfen nur militärische Ziele.

Es darf nur so viel Gewalt angewendet werden wie zum Erreichen des militärischen Zwecks notwendig ist.

Die Schweiz ist Depositarstaat der Genfer Konventionen.

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