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Das Scheitern einer Mission

Cornelia Sommaruga ist über das Scheitern der Mission enttäuscht. Keystone

Der ehemalige IKRK-Präsident Cornelio Sommaruga bedauert, dass die Mission einer Ermittlungs-Kommission im Flüchtlingslager Jenin fehlgeschlagen ist.

Was ist während der israelischen Offensive im palästinensischen Lager von Jenin wirklich passiert? Wie fundiert sind die Anschuldigungen an die Adresse Israels, dass seine Armee da ein Massaker verübt hat? Wahrscheinlich werden diese Fragen nie mit Sicherheit beantwortet werden können.

Weil sich die Regierung Sharon nicht kooperations-willig zeigte, hat der UNO-Generalsekretär die Ermittlungs-Kommission wieder aufgelöst – zwei Wochen nach ihrer Einsetzung. Der Schweizer Cornelio Sommaruga, ehemaliger Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, wäre einer von drei Mitgliedern dieser Kommission gewesen.

swissinfo: Wie haben Sie den Entscheid von Kofi Annan aufgenommen?

Cornelio Sommaruga: Wir haben diesen Entscheid verstanden, weil es seitens der israelischen Regierung an Kooperation fehlte. Aber gleichzeitig waren wir alle enttäuscht, unser Mandat nicht wahrnehmen zu können.

Die Staatengemeinschaft, die Weltöffentlichkeit und vor allem die Bevölkerung und die lokalen Behörden hatten grosse Erwartungen in uns gesetzt. Und wir waren bereit, die Fakten zusammenzutragen – eine neutrale, unparteiische und unabhängige Arbeit zu machen.

Wie analysieren Sie diesen Misserfolg, diese Kehrtwende der UNO?

Der Misserfolg hat seine Wurzeln im Sicherheitsrat. Dieser unterstützte zeitweilig den Generalsekretär – durch eine einstimmige Resolution – und äusserte seine Freude über die Nominierung der Mitglieder. Danach liess die Unterstützung nach, auch weil sich die Situation im Nahen Osten veränderte.

Wir haben alle gesehen, dass sich in den letzten Tagen die Prioritäten verschoben haben. Sei dies in der Frage der Befreiung Arafats, sei dies, weil sich möglicherweise eine Nahost-Konferenz abzeichnet oder aber in der Frage der Geburtskirche in Bethlehem.

Dann gab es also eine Art Handel und man ist in der humanitären Frage Konzessionen eingegangen?

Das kann ich nicht bestätigen. Ich lasse die Experten ihre Schlüsse ziehen.

Israel kritisierte das Mandat, die Zusammensetzung und den politischen Charakter der Mission. Was sagen Sie dazu?

Ich denke, die Erklärungen des Generalsekretärs darüber wie wir gearbeitet hätten, auch darüber, wie wir die Anonymität der Menschen gewahrt hätten und darüber, dass wir gleichzeitig Bewegungsfreiheit forderten, wurden sehr klar kommuniziert.

Was die Frage der Zusammensetzung der Mission angeht – abgesehen von persönlichen Attacken einer bestimmten Presse gegen den einen oder anderen von uns und besonders gegen mich – haben die Israeli gesehen, dass wir in Sachen Terrorismus sowieso mit hochrangigen Militär-Beratern und Beratern für polizeiliche Fragen zusammenarbeiten wollten.

Ich glaube, der Generalsekretär und auch wir selbst sind den Einwänden Israels entgegen gekommen.

Sie selbst wurden von gewissen Leuten als Hindernis für die Akzeptanz der Mission durch Israel bezeichnet.

Wer mich kennt, sei es im IKRK, sei es in der jüdischen Gemeinschaft, weiss genau, dass ich mich während Jahren für die juristische Grundlage eingesetzt hatte, damit die israelische Gesellschaft Magen David Adom anerkannt werden konnte. Ich habe mehrere Besuche, darunter einen offiziellen, vor Ort gemacht. Und ich war es, der das IKRK der jüdischen Welt wieder nähergebracht hat.

Man wollte eine alte Aussage gegen mich verwenden. Ich hatte der ehemaligen Präsidentin des Amerikanischen Roten Kreuzes im November 1999 gesagt, dass es schwierig sei, für das Emblem des Roten Davidsterns die Zustimmung der Regierungen zu erhalten, und dass es vorteilhafter wäre, zusätzlich ein neues Emblem zu lancieren.

Der Grund: Würden wir nationale Emblem zulassen, wären alte Forderungen wie beispielsweise jene Sri Lankas aufgetaucht. Dieses verlangte seine religiöse Swastika, ein Hackenkreuz, das sich in die andere Richtung als jenes der Nazi dreht, als Emblem. Diese Aussage wurde im März 2000 von amerikanischen Zeitungen gegen mich verwendet. Ich hatte sofort drauf geantwortet, doch meine Briefe wurden nie veröffentlicht.

Nun hat man die gleiche Geschichte wieder aufgenommen. Immerhin hat die Washington Post meine Reaktion veröffentlicht. Doch wichtiger ist, dass sich der Leiter des Rechtdienstes des israelischen Aussenministeriums in der Jerusalem Post klar und deutlich für mich eingesetzt hat. Er erklärte, dass das Ganze auf einem unglaublichen Missverständnis beruhe. Ich bin nicht betrübt, denn wer mich kennt weiss, dass ich kein Antisemit bin.

Das IKRK nahm manchmal in der Frage des internationalen Völkerrechts gegenüber Israel eine kritische Haltung ein. Glauben Sie nicht, dass dies ein Hindernis war?

Das ist nun etwas anderes. Laut der Doktrin des IKRK müssen Verletzungen des internationalen Völkerrechts diskret und bilateral angesprochen werden. Gibt es keine Fortschritte, werden die Verletzungen wiederholt, so kann man dies auch öffentlich machen. Ich wurde wegen Israel kritisiert, wie ich auch wegen anderer Länder kritisiert wurde, welche gewisse Punkte der Genfer Konventionen verletzten.

Welche Folgen hat dieser Fehlschlag für die UNO und für die Anwendung des humanitären Völkerrechts?

Ich möchte nicht zu weit gehen. Es war eine Ermittlungs-Kommission. Die UNO ist mit dem UNRWA in den besetzten Gebieten sehr präsent. Diese kümmert sich vor allem um humanitäre Aspekte.

In einem Brief haben wir dem Generalsekretär geschrieben, dass eine verstärkte Präsenz internationaler Helfer in den palästinensischen Flüchtlingslagern die Zivilbevölkerung geschützt hätte und immer noch schützen kann.

Und wir haben geschrieben, dass die humanitären Folgen der jüngsten Ereignisse in Jenin jetzt schlimmer sind, weil die Infrastruktur zerstört und vor allem weil die Behörde weitgehend geschwächt wurden. Sie war schon vor den Ereignissen schwach, ist es jetzt aber noch mehr.

Wurde die UNO diskreditiert?

Ich glaube nicht. Man darf nie vergessen, dass die UNO nur der Ausdruck des Willens ihrer Mitglieder ist. Wollen die Mitglieder nicht handeln, zieht der Sicherheitsrat seine Unterstützung zurück, die er ursprünglich dem Generalsekretär zugesichert hatte, so darf man dies nicht der UNO als solche anlasten. Auf gewisse Länder oder Mitglieder des Sicherheitsrates, die nicht bis ans Ende gingen, darf man böse sein.

Denken Sie an die USA?

“Je vous le laisse dire.” – Das haben Sie gesagt.


Interview: Pierre Gobet

Übersetzung aus dem Französischen: Rebecca Vermot

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