Ein Grundpfeiler der Demokratie gerät ins Wanken. Auf der ganzen Welt finden sich Regierungen, die das Recht auf freie Meinungsäusserung nicht schützen. Einzelne und Gruppen äussern sich im Namen der Meinungsfreiheit hasserfüllt und diskriminierend. In der Schweiz fällen die Bürgerinnen und Bürgern immer wieder verbindliche Entscheidungen über die Meinungsfreiheit. Eine anspruchsvolle Gratwanderung.
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Bruno berichtet als Globaler Demokratiekorrespondent. Er wirkt zudem seit über dreissig Jahren für die SRG als Auslandkorrespondent für das Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Ausserdem ist er Direktor für internationale Beziehungen bei der Schweizer Demokratie Stiftung, Co-Präsident des Global Forum on Modern Direct Democracy und Co-Initiator der Demokratie-Städte.
Im Prinzip sollte alles glasklar sein. Sowohl in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 als auch im UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 heisst es in Artikel 19: «Jede und jeder hat das Recht auf freie Meinungsäusserung; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut jeder Art zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten, sei es mündlich, schriftlich oder in gedruckter Form, durch Kunst oder durch ein anderes Medium.»
Und mehr noch: In Artikel 21 heisst es, dass «jede und jeder das Recht hat, an der Regierung seines Landes direkt oder indirekt teilzunehmen».
In Europa bestätigt die Europäische Menschenrechts-Konvention von 1950 die Meinungsfreiheit in Artikel 10 als verbindliches Recht. Die Schweiz verankert diese Grundfreiheit in Artikel 16 ihrer Verfassung von 1999 und verpflichtet sich zudem in Artikel 54, unter anderem zur «Förderung der Demokratie weltweit».
In der Praxis bleibt jedoch vieles im Trüben. Gemäss dem Ende 2022 präsentierten Bericht zum Zustand der Demokratie in der Welt von «International IDEA», hat sich die Zahl der Staaten, in denen die Meinungsfreiheit und Demokratie geschwächt worden ist in den letzten zehn Jahren verfünffacht. Gleichzeitig werden die Stimmen, welche sich für die grundlegenden Freiheitsrechte und eine Stärkung der Demokratie einsetzen, immer lauter – wie unsere Serie «Stimmen der Freiheit» zeigt.
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SWI swissinfo.ch – Plattform der Stimmen der Meinungsfreiheit
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Die Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht, und doch alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Soziale Medien sind zu einem unverzichtbaren Kanal für die öffentliche Debatte geworden. Als Demokratiegewinn wird das nur noch selten gesehen. Fake News, Verschwörungstheorien und Hass prägen das Bild.
Länder auf der ganzen Welt versuchen, den Problemen mit neuen Regulierungen und Gegenmassnahmen beizukommen. Deutschland übernahm dabei mit dem «Netz-Durchsetzungs-Gesetz» weltweit eine Vorreiterrolle.
Und in Taiwan ist eine «pro-soziale» digitalen Infrastruktur aufgebaut worden. In der Schweiz fehlen bisher spezifisch auf die Sozialen Medien abgestimmten Regulierungen.
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Gesetze? Die Schweiz tickt anders auf den sozialen Medien
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Gewaltaufrufe, Verschwörungstheorien und Zensur: Der Ruf der sozialen Medien ist am Boden. Wie wird das Internet wieder zum Gewinn für die Demokratie?
Entscheidend für die Meinungsfreiheit ist nicht zuletzt die Machtteilung in einer Gesellschaft. Wenn sich viele verschiedene Institutionen und Interessen an der Meinungsbildung beteiligen können und niemand ein Monopol darauf hat, welche Beschlüsse gefasst werden, dann kann die Freiheit auf Meinungsäusserung ihre Rolle erfüllen: die Stärkung der Demokratie.
In der vielfältigen und spannenden Debatte dazu, die hier auf SWI swissinfo.ch zehnsprachig geführt wird, werden aber auch viele Fragen gestellt, etwa zu den Grenzen der Meinungsfreiheit.
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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin
Renat Kuenzi
Ist Ihre Meinungsfreiheit in Gefahr?
Meinungsfreiheit ist ein universales Menschenrecht. Aber dieses gerät mehr und mehr unter Druck. Auch in gestandenen Demokratien. Einige Gründe: Die Macht der Social Media, mehr autoritäre Führer und die Corona-Pandemie. In der Schweiz zeigt etwa ein neues Gesetz, mit dem Richter Medienberichte leichter verhindern können, dass Meinungsfreiheit auch hier keineswegs selbstverständlich ist. Nicht zu reden von…
In der Schweiz führen die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der direktdemokratischen Volksrechte (Initiative und Referendum) immer wieder breite Debatten über die Möglichkeiten und Grenzen der Meinungsfreiheit – und stimmen darüber auch verbindlich ab.
Diese Gratwanderung im Umgang mit diesem grundlegenden Pfeiler der modernen Demokratie ist anspruchsvoll, aber ein fester Bestandteil der politischen Kultur des Landes. Dessen sind sich alle bewusst.
2023 gehören mehrere G20-Staaten, darunter Indien, die Türkei und Indonesien zu den Ländern, die sich gemäss dem Schwedischen Forschungsinstitut V-DemExterner Link autokratisiert haben. Dabei werden in diesen Ländern zunehmend nicht nur Schreibende zur Zielscheibe von behördlichen Zensurmassnahmen, sondern auch Zeichnende, die mit ihren Karikaturen die Grenzen des Erlaubten auszuloten versuchen.
«Ohne Titel»: Sara Qaed ist eine Cartoonistin aus Bahrain, die in Grossbritannien lebt. In ihren täglichen Karikaturen geht es um Flüchtlinge, Frauen, Korruption, Macht, menschliche Existenz und Widersprüche.
Sara Qaed
«Es ist nicht einfach, die Meinungsfreiheit einzurahmen»: André-Philippe Côté ist ein kanadischer Szenerist und Cartoonist. Er wurde vor allem durch seine Comics bekannt. Côte zeichnet für Tageszeitungen und Satire-Magazine. Jährlich erscheint eine Sammlung seiner besten Karikaturen und seine Kunst wird in grossen Ausstellungen gezeigt.
Côté
Die indische Cartoonistin Rachita Taneja ist die Gründerin von Sanitary Panels, einem feministischen Webcomic auf Instagram, der Politik, Gesellschaft und Kultur kommentiert. Gegen Taneja wurde im Dezember 2020 ein Strafverfahren eingeleitet. Sie habe mit einer Karikatur angedeutet, dass der Oberste Gerichtshof Indiens gegenüber der regierenden Bharatiya Janata Party befangen sei.
sanitraypanels
Wang Liming, der unter dem Pseudonym Rebel Pepper arbeitet, ist ein chinesischer Karikaturist, der für seine antikommunistischen satirischen Cartoons berühmt ist. Der Uigure wurde wiederholt von der Regierung verfolgt, weil er Xi Jinping und die Kommunistische Partei Chinas verspottet hatte. Seit 2014 kann er nicht mehr nach China einreisen, weil es für ihn zu gefährlich ist.
Rebel Pepper
«Ein blutbefleckter Tag der bewaffneten Streitkräfte in Myanmar», ebenfalls von Wang Liming. Im Juni 2017 begann er als hauptberuflicher politischer Karikaturist bei RFA Radio Free Asia in den USA zu arbeiten.
Rebel Pepper
«Vom Tiananmen nach Hongkong»: Patrick Chappatte, der schweizerisch-libanesische Wurzeln hat, zeichnet für renommierte internationale Medien wie Herald Tribune, Der Spiegel und New York Times. Diese beschloss 2019, keine Pressekarikaturen mehr zu zeigen. Seit 2010 ist der Weltbürger Chappatte Präsident der Stiftung «Cartooning for Peace». Friedensnobelpreisträger Kofi Annan war Inspirator und Ehrenpräsident der Schweizer Stiftung.
Chappatte
Angel Boligán Corbo stammt ursprünglich aus Kuba und schloss 1987 sein Studium der Bildenden Künste in Havanna ab. Seit 1992 lebt er in Mexiko, wo er als Karikaturist für die Zeitung El Universal, die Zeitschrift Conozca Más und das politische Magazin El Chamuco arbeitet. Ausserdem ist er Gründer der Agentur CartonClub, die politische Cartoons vertreibt.
Boligan
Der japanische Cartoonist Norio Yamanoi verbrachte zehn Jahre in Frankreich, wo er als Regisseur Kurzfilme realisierte. Nach seiner Rückkehr nach Japan veröffentlicht er wöchentlich einen Cartoon in AERA, einem japanischen Wochenmagazin. Jedes Jahr reist er für zwei Monate um die Welt, um mit seinen Cartoons für Toleranz und Frieden zu werben.
No_Rio
«Zensur – Die Auferstehung»: Seit über 40 Jahren arbeitet Arnaldo Angeli Filho ausschliesslich als politischer Karikaturist für die Zeitung Folha de S.Paulo und für Universo OnLine (UOL) in Brasilien. Er realisierte auch animierte Comics für das Internet und für Cartoon Network. Sechzehn Mal wurde er als bester Cartoonist Brasiliens ausgezeichnet.
Angeli
Hani Abbas ist ein syrisch-palästinensischer Karikaturist, der 1977 im palästinensischen Flüchtlingslager Yarmouk in Syrien geboren wurde. Nach der Veröffentlichung einer Karikatur auf Facebook im Jahr 2012 musste er aus Syrien fliehen und in der Schweiz um Asyl nachsuchen. Inzwischen hat er sich in der Schweiz niedergelassen und prangert immer wieder in Karikaturen die Gräueltaten des Krieges an.
Hani Abbas
«Keine politischen Karikaturen mehr in der New York Times»: Marco De Angelis ist ein italienischer Journalist, redaktioneller Karikaturist, Illustrator vieler Kinderbücher und Grafikdesigner. Er wurde 1955 in Rom geboren und veröffentlichte ab 1975 in 200 Zeitungen in Italien und im Ausland. Jahrelang war er Journalist und Karikaturist für die Tageszeitungen La Repubblica, Il Popolo und Il Messaggero. Er ist Chefredakteur des Online-Magazins Buduàr. CartoonArts International und The New York Times Syndicate (vor 2019) vertreiben seine Werke weltweit.
M. De Angelis
«Bewerten Sie zuerst meine Arbeit vom 1 bis 5.» Der Autodidakt und Karikaturist Aleksey Merinov arbeitet seit 1988 bei der Zeitung Moskovskij Komsomolets in Moskau. Er illustriert politisch zweideutige Bücher wie das Strafgesetzbuch, das Steuergesetzbuch oder eine Sammlung von Zitaten von Wladimir Putin.
Aleksey Merinov
«Er zeichnete zuerst»: David Pope begann Mitte der 1980er-Jahre mit Cartoons für verschiedene australische Publikationen, die sich mit der Arbeiterbewegung und der Umweltbewegung befassten. Als freier Karikaturist zeichnete er unter dem Pseudonym Heinrich Heinz. Seit er 2008 fest bei der Canberra Times angestellt wurde, veröffentlicht Pope unter seinem eigenen Namen.
Pope
«Ich darf nicht, ich darf nicht zeichnen, ich darf nicht Mohammed zeichnen…» Jean Plantureux oder Plantu, wie er seine Werke zeichnet, veröffentliche seine erste Karikatur zum Vietnamkrieg 1972 in der Zeitung Le Monde. Seither ist er in viele Medien in den Schlagzeilen. Im Jahr 2006 organisierte er mit Kofi Annan, dem Ex-Generalsekretär der Vereinten Nationen, ein Symposium in New York, bei dem Cartooning for Peace gegründet wurde.
Plantu
Zum Stresstest für die Meinungsfreiheit gehört auch der Aufstieg illiberaler populistischer Führer wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Ihm und anderen autokratisch agierenden Regierungen treten nun aber auch im eigenen Land Kräfte entgegen, welche auf einen demokratischen Diskurs setzen, der auf eine aktivere Bürgerbeteiligung und somit mehr Demokratie hinausläuft.
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Weltforum für Demokratie 2022 – acht Stimmen der Freiheit aus Luzern
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Acht Teilnehmende der 10. Demokratie-Weltkonferenz in Luzern mit ihrer Vision, wie Demokratien robuster und gerechter werden müssen.
In der grenzüberschreitenden Welt des Internet stehen sich zudem internationale Tech-Unternehmen und nationale Behörden gegenüber. Beide wollen zumindest einen Anschein von Demokratie erwecken: hier das «Unabhängige Aufsichtsgremium» von Facebook, da die Datenschutz-Regulierungsbehörde der Europäischen Kommission.
Das mediale Tempo hat zugenommen. «Deshalb muss auf Desinformation und Hassrede schnell eine öffentliche Antwort kommen», sagt die taiwanesische Digitalministerin Audrey Tang im Gespräch mit SWI swissinfo.ch. «Wenn man nur schon eine Nacht wartet, assoziieren die Leute diese viralen Memes bereits mit dem Langzeitgedächtnis».
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Audrey Tang, wie werden soziale Medien sozial?
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Audrey Tang, Digitalministerin Taiwans, im Interview über «antisoziale» Medien und Demokratiekompetenzen.
Aber nicht nur Schnelligkeit ist entscheidend, auch der Charakter der Reaktion: «Wenn im gleichen Zyklus – sagen wir, innerhalb von einigen Stunden – eine humorvolle Antwort gegeben werden kann, die die Leute dazu motiviert, Freude zu teilen und nicht Vergeltung oder Diskriminierung oder Rache. Dann fühlen wir uns alle besser».