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Der Ausstieg Jugendlicher aus der rechtsextremen Szene

Rechte Jugendszene: Auch nach dem Ausstieg "erschreckende Normalität". Keystone

Beim Ausstieg aus rechten Jugendszenen spielen laut einer Studie der Uni Basel die Familie und Gleichaltrige zentrale Rollen.

Ein Soziologen- und Psychologen-Team aus Basel hat 40 rechtsextreme Jugendliche drei Jahre lang begleitet.

Für das Nationale Forschungsprogramm NFP 40+ “Rechtsextremismus – Ursachen und Gegenmassnahmen” hat das fünfköpfige Basler Team speziell die Ausstiegsmotivation von rechtsextremen Jugendlichen untersucht.

40 Personen zwischen 14 und 35 Jahren, darunter 5 Frauen, wurden über drei Jahre befragt; zwei Drittel waren 15 bis 20 Jahre alt.

Laut den Autoren der Studie ist die Zugehörigkeit zu einer rechten Gruppe “in der Regel” mehr als eine vorübergehende Pubertätsphase. Erfolgt nach dem Ausstieg keine ideologische Aufarbeitung, wirke die Prägung durch rechtsextremes Gedankengut der Gruppe nach.

Deshalb sei meistens zutreffender, von einem Austritt statt einem Ausstieg zu sprechen.

Loser Zusammenschluss bis straffe Kameradschaft

“Auch nach dem Austritt lässt es sich erschreckend normal leben”, sagte Co-Studienleiter Wassilis Kassis am Mittwoch vor den Medien in Basel.

Die vorliegende Studie bilde aber nur Strukturen ab; sie sei keine repräsentative Analyse. Ob und wo die Gesellschaft ein Problem mit Handlungsbedarf sehe, sei erst noch festzustellen.

Rechte Szene: verjüngt und differenziert

Die Forschenden warnen auch vor Verallgemeinerungen: Die rechte Jugendszene habe sich seit den 90er-Jahren verjüngt und “erheblich differenziert”.

Vier verschiedene Gruppen-Typen seien auszumachen, nämlich lose grosse Zusammenschlüsse, patriotisch-nationalistische Grossgruppen, informelle Jugendcliquen und straffe Kameradschaften.

Diskretere neuere Erscheinungsformen nutzten Deckmäntel wie Esoterik oder Sport, sagte Co-Studienleiter Ueli Mäder. Allein Glatzen mit Bomberjacken zu kontrollieren reiche nicht, sagte Kassis an die Adresse der Polizei.

Gruppen-Systemfehler

Die Studie nennt sechs zentrale Ausstiegs-Faktoren. Vor allem seien rechte Gruppen “dysfunktionale Systeme”, weil Individuelles ausgeblendet werde und weil Maximen und Handlungen nicht immer übereinstimmten – das führe zu Konflikten und Spaltungen.

Zum Ausstieg könnten ferner positive Erfahrungen mit Fremden führen, ebenso Frust über Wirkungslosigkeit, Übersättigung wegen Monotonie des strengen Gruppenlebens, Burnout bei Ambitionierten sowie teils Strafverfahren.

Der Ausstieg gelinge eher, wenn man vom früheren Kollegenkreis (vor den Rechten) nicht ausgegrenzt wird.

Oft passive Eltern

Bei Eltern rechtsextremer Jugendlicher stellt die Studie “eine gewisse Passivität” fest: Manche hofften, die rechte Phase ihrer Sprösslinge gehe rasch vorbei, andere seien verunsichert.

Läut Mäder ist jedoch ein inhaltlicher Diskurs wichtig, auch über Gefühle – Jugendliche sollten Zugang zu Argumenten haben.

Im Studien-Fokus stand nicht der Ein- sondern der Ausstieg aus rechtsextremen Gruppen, weil dazu kaum Material vorliege, sagte Co-Autorin Saskia Bollin.

Keine Empfehlungen

Im Zentrum stünden die Sozialisation durch Familie und Gleichaltrige, die “subjektive Wirklichkeitskonstruktion” und das dialektische Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft.

Explizite Empfehlungen zu Prävention und Intervention sind der Basler Studie kaum zu entnehmen. Laut Mäder war dies auch keine Vorgabe; dazu folgten weitere Studien. Manches sei jedoch implizit ablesbar, also indirekt anhand der beschriebenen Ausstiegsgründe.

swissinfo und Agenturen

Laut dem Bericht von 2004 über den Rechtsextremismus gibt es in der Schweiz rund 1000 militante und 800 sympathisierende Rechtsextreme.
Ihr Alter bewegt sich zwischen 16 und 22 Jahren.
Die Forscher der Uni Basel hat über 3 Jahre hinweg 40 Personen zwischen 14 und 35 Jahren begleitet, die rechtsextremen Gruppen angehören.
Zwei Drittel waren 15- bis 20-jährig und 35 davon waren Männer.
Während der Begleitperiode von 3 Jahren haben 13 Personen ihre Gruppe verlassen und 10 distanzierten sich von ihr.

Seit Beginn der 90er-Jahre ist die rechtsextreme Szene in der Schweiz nicht mehr homogen. Die Forscher der Uni Basel konnten vier Typen von Gruppen unterscheiden.

Die grossen heterogenen und wenig strukturierten Gruppen umfassen Heranwachsende von 12 bis 18 Jahren. Diese sind wenig an Politik interessiert und fallen vorab wegen ihrer Kleidung auf.

Die besser organisierten Gruppen rekrutieren ihre Reihen in der Mittelschicht und sind äusserst politisiert.

Es gibt auch kleinere Gruppen/Cliquen, die ihre Reihen mit Mittelstands-Jugendlichen auffüllen, die aber ein weniger hohes politisches Niveau aufweisen.

Schliesslich operieren in der Szene auch straff auf Kameradschaft bauende Gruppen mit geschlossenem Charakter, starken Hierarchien und extremen politischen Positionen.

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