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Der Falkner von San Grato

Der Falkner Pio Aldo Nesa mit einem seiner Tiere. (Bild: falconeria.ch) falconeria.ch

Der 24-jährige Tessiner Pio Nesa führt neuerdings bei Lugano Flugschauen mit Greifvögeln durch. Doch die Initiative stösst nicht überall auf Gegenliebe.

Die Falknerei kann auch eine 3000-jährige Geschichte zurückblicken.

Im Hintergrund säuselt Renaissance-Musik aus dem Lautsprecher. Odin macht den Auftakt. Der junge Wanderfalke segelt über die Wiese und steuert bodennah auf Pio Nesa zu. Er landet auf seinem Lederhandschuh und erhält ein Stückchen Fleisch als Belohnung.

Die Zuschauer bringen sich in Deckung und sind begeistert. Die Kinder klatschen. Falkner Nesa, in weissem Hemd und Lederwams, wirkt wie ein mittelalterlicher Knappe, lacht mit seinen blauen Augen. Er erklärt die Geschichte der Falknerei, die auf eine 3000 Jahre alte Tradition zurückschauen kann.

Er spricht über Details der elf Greifvögel, die er selber besitzt und die alle aus der Zucht stammen. “Der Wanderfalke ist das schnellste Greifvogel und kann im Sturzflug bis zu 300 km/h erreichen”, ergänzt seine Partnerin und Mitarbeiterin Ulrike Stumvoll.

Die Österreicherin ist eine der wenigen Berufsfalknerinnen Europas. Odin flitzt zurück. Mit einem kreisenden “Federspiel” wird der Jagdtrieb des Vogels geweckt.

Fünf Jahre Ausbildung

Wir befinden uns 15 Gehminuten oberhalb des botanischen Parks San Grato bei Carona über dem Luganer-See im Tessin. Die Wiese bildet hier eine natürliche Mulde und die Sicht ist atemberaubend. Im Süden erhebt sich das Monte-Generoso-Massiv. Einfache Holzbänke säumen die Wiese.

Schaukästen zur Geschichte der Falknerei und zu Greifvögeln stehen neben dem Eingang; ein Kassenhäuschen gibt den beiden Falknern Raum, ihre Kleider zu wechseln. “Ich habe diesen Ort nach langem Suchen gefunden und die Besitzerin Lugano Tourismus hat mir die Wiese für meine Vorführungen zur Verfügung gestellt,” sagt Pio Nesa, der sich hier seinen Kindertraum verwirklicht hat.

Mit 12 Jahren sah er in Siena erstmals eine Flugschau und wusste in diesem Moment, dass er Falkner werden wollte. Nach Abschluss der Schule, bereits mit 17 Jahren, zog es den Tessiner nach Österreich und in Deutschland, um bei erfahrenen Meistern zu lernen. Fünf Jahre dauerte die Lehrzeit, dann legte er die Jagd- und Falknerprüfung ab. Er trainierte danach sogar Falken in Italien für die Jagd in Saudiarabien.

Lokaler Widerstand

In Carona steht allerdings nicht die Jagd, sondern die Show im Vordergrund. In Deutschland und Österreich gibt es bereits Dutzende von Vogelschauen, in der Schweiz bietet bisher der Greifvogelpark Buchs SG dieses Spektakel an.

“Ich wollte in meinem Heimatkanton etwas verwirklichen, den Leuten die Greifvögel näher bringen”, sagt Pio Nesa. Denn fast niemand habe die Tiere je aus der Nähe gesehen. Mitte Mai begann er mit den Vorführungen. Zweimal täglich unter der Woche und drei Mal an Sonn- und Feiertagen.

Aber die Initiative stiess nicht nur auf Gegenliebe. Die Wegweiser wurden verdreht, Bierflaschen auf dem Gelände zerschlagen, sogar der Stromgenerator gestohlen. Die Vandalenakte stammten von Jugendlichen aus dem Nachbardorf Carona, die sich ihres heimlichen Treffpunktes im Wald beraubt sahen.

Neuer Standort gesucht

Wegen der Schwierigkeiten hat Nesa bereits in der Zeitung mittels einer Anzeige nach einem neuen Standort gesucht und Angebote erhalten, beispielsweise vom Monte Verità in Ascona. Doch nicht alle Standorte eignen sich. Vor allem braucht es geeignete Windverhältnisse, um die Show durchzuführen. Jetzt hofft er, die Probleme in Carona doch lösen zu können.

Denn der Park San Grato bietet tatsächlich eine ideale Umgebung, und im Wald stehen bereits die geräumigen Käfige, die vom Kantonsveterinär abgenommen sind. Ein Umzug wäre kein Kinderspiel.

Die knapp einstündige Vorstellung geht ihrem Ende zu. Es folgen das Falkenweibchen Sara und der Mäusebussard Bruno, schliesslich ist auch noch Menelik, der Weisskopfseeadler, an der Reihe. Zwei Meter Spannweite zeigen die Flügel. Weil es windstill ist, hat er Mühe zu fliegen.

“Diese Vögel sind mit einem Gewicht von drei Kilo ziemlich schwer und brauchen eigentlich etwas Thermik”, erklärt Nesa. Der grosso Uhu, ein Publikumsliebling und Professore genannt, nimmt heute an der Vorstellung nicht teil. Bei einem Gewitter ist er klatschnass geworden und braucht Ruhe. “Wir respektieren die Bedürfnisse der Tiere”, sagt Nesa. Eine Greifvogelschau sei keine Zirkusnummer.

swissinfo, Gerhard Lob, Carona

Die Falknerei in Carona TI hat im Mai 2005 ihren Betrieb aufgenommen.
Maximal elf Greifvögel bieten täglich zwei oder mehr Flugshows.
Die Darbietungen werden gelegentlich durch ein andalusischen Pferd ergänzt.
300 km/h: Maximale Geschwindigkeit eines Wanderfalkens.

Unter dem Begriff Falknerei fasst man in der Regel alle Aktivitäten zwischen Mensch und Greifvogel zusammen.

Die so genannte Beizjagd ist die Kunst, mit Greifvögeln zu jagen. Aufgabe des Beizjägers (Falkners) ist es, den Greifvogel bei seiner Jagd zu unterstützen. Die Beizjagd ist eine der ältesten Formen der Jagdausübung und hat ihren Ursprung in Asien.

An Flugshows, in Falkenhöfen oder ähnlichen Einrichtungen werden dem Besucher Greifvögel vorgeführt. Diese Vorführungen haben nichts mit der Beizjagd zu tun, sondern dienen der Unterhaltung sowie zu didaktischen Zwecken.

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