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Der Federer-Effekt, Fans und die Zukunft

Keystone

Rotweisse Fahnen und der Jubel der Fans füllten im Oktober 2006 die St. Jakobshalle in Basel, als Lokalmatador Roger Federer seinen ersten Swiss-Indoor-Titel gewann.

Doch dieser Ausbruch von Emotionen stand im Gegensatz zur mehrheitlich verhaltenen Reaktion des Schweizer Publikums auf Federers Vorrangstellung in der Tenniswelt.

“Das ist einer der schönsten Momente meiner Karriere”, sagte der gebürtige Basler, als er endlich das Turnier gewonnen hatte, bei dem er einst als Balljunge im Einsatz gestanden hatte. “Ich wollte zwar schon immer Tennisprofi werden, aber nicht im Traum hätte ich geglaubt, dass ich hier eines Tages als Sieger vom Platz gehen würde. Unglaublich.”

Wie haben sich Federers Erfolge auf seine Mitschweizer ausgewirkt? Als Boris Becker und Steffi Graf Mitte der 1980er-Jahre die Szene stürmten, konnten die Deutschen ihre verstaubten Tennisschläger nicht schnell genug aus dem Schrank holen und traten ihren lokalen Tennisklubs gleich massenweise bei.

Federer-Effekt

“Etwas wie einen ‘Federer-Effekt’ hat es in der Schweiz schon gegeben – doch ich gebe zu, es hat gedauert”, sagt René Stammbach, Präsident des Schweizer Tennisverbandes, Swiss Tennis, im Gespräch mit swissinfo.

“Das Schweizer Tennis durchlief punkto Mitgliedschaft zwischen 2000 und 2005 eine schwierige Phase. Wir wurden stark konkurrenziert von anderen Sportarten und von Entwicklungen wie dem Aufkommen des Internet – doch inzwischen hat sich der Tennissport erholt.”

Die Zahl der Junioren sei 2006 deutlich angestiegen, und das Wachstum habe sich heuer bei sechs Prozent stabilisiert, so Stammbach. “Das ist zweifellos eine Folge von Federers Karriere.”

Botschafter

Seit April 2007 ziert Roger Federer zwar als erste lebende Person eine Schweizer Briefmarke, doch sonst sucht man vergebens nach öffentlicher Anerkennung in Form von Gedenktafeln und Statuen.

“Die Schweizer sind in Sachen Genie-Kult eher zurückhaltend”, meint Stammbach. “Sie sind nicht sehr demonstrativ – es braucht schon einiges, damit sie aus sich herauskommen. Doch Roger hat es weit gebracht, und das Publikum weiss, dass er Ausserordentliches leistet.”

Federer ist bereits zum dritten Mal zum Schweizer Sportler des Jahres gewählt worden, doch hat er das nicht vor allem der Tatsache zu verdanken, dass es sonst niemanden gibt, für den man stimmen könnte? René Stauffer, Autor der Federer-Biografie “Das Tennisgenie”, findet das unfair.

“Ich glaube, die Schweizer sind sehr stolz [auf Roger Federer] – nur zeigen sie dies nicht so wie andere Nationen. Ich spüre jedenfalls immer unglaublichen Respekt für Roger heraus, wenn ich mit den Leuten spreche”, sagt er.

“Die Schweizer wissen sehr gut, dass er ein einmaliger Star ist und sind sich weitgehend einig im Gefühl, noch nie einen solchen Botschafter für ihr Land gehabt zu haben.”

Davis Cup

Gute Nachricht für Schweizer Tennis-Fans: Im April gab Roger Federer bekannt, er werde für den wichtigen Davis Cup Match gegen die Tschechische Republik im September zur Verfügung stehen. “Ich habe immer gesagt, man könne für den [tschechischen] Gummi auf mich zählen.”

Seit seinem Aufstieg zur Nummer 1 der Tennis-Weltrangliste konzentriert sich Federer in erster Linie darauf, seine Stellung zu halten und möglichst viele Trophäen zu sammeln. Gelitten hat darunter sein Engagement für den Davis Cup, den internationalen Mannschaftswettbewerb.

Obschon er sicher nicht unpatriotisch genannt werden kann – er bezeichnet seinen Einsatz als Fahnenträger der Schweizer Delegation an den Olympischen Spielen 2004 in Athen als einen der absoluten Höhepunkte seines Lebens – hat er in den letzten zwei Jahren nur an zwei (von acht möglichen) Wochenenden im Davis Cup gespielt.

Burnout-Gefahr?

Mit 25 Jahren befindet sich Federer im besten Tennisalter. Nur: Björn Borg, ein Spieler mit ähnlichem psychologischem Profil, zog sich mit 26 völlig unerwartet vom Wettkampfsport zurück, weil er die Leidenschaft für das Spiel verloren hatte. Borg kehrte nach Schweden zurück und versuchte sein Glück in der Modebranche.

Die meisten Experten glauben allerdings nicht, dass Federer in nächster Zukunft seine eigene Unterwäsche-Kollektion lancieren wird.

“Ich glaube, Federer befindet sich auf einer Mission. Er hat sein Augenmerk auf die ewige Bestenliste gerichtet und ich bezweifle, dass sich sein Hunger stillen lässt, bevor er Sampras hinsichtlich der gewonnenen Zahl von Grand-Slam-Titeln vom ersten Platz verdrängt hat”, sagt Roland Carlstedt, Vorsitzender des Amerikanischen Verbands der Sportpsychologen, im Gespräch mit swissinfo.

“Bei Sportlern lässt sich ein Burnout nie ausschliessen, vor allem weil immer die Möglichkeit von Verletzungen besteht. Ich glaube jedoch, dass Burnouts oft mehr mit der Dynamik des Lebens abseits der Wettkämpfe zu tun haben – Probleme mit der Freundin, eine schwere Krankheit im engeren Familienkreis”, fährt Carlstedt weiter.

“Aber ich kenne die schweizerische Mentalität und habe bemerkt, dass in der Schweiz die Erfolgstypen der obersten Stufe meist sehr gut geerdet sind. Es gibt ausgezeichnete Unterstützungsnetze und der schweizerische Entwicklungsprozess fördern soziale Stabilität, die sich auch aufs Individuum überträgt.”

Das Beste kommt erst noch

Was die Zukunft angeht, meint Tony Roche, zum Zeitpunkt des Gesprächs noch Teilzeit-Coach von Federer: “Roger ist wie ein guter Rotwein. Er wird mit dem Alter immer besser. Ich glaube seine ganz grossen Jahre kommen erst mit 26, 27, 28.”

Auf angebliche ‘Risse in seiner Rüstung’ angesprochen, winkt Federer ab. “Man fragt mich, ob ich motiviert sei. Das ist doch einfältig”, sagte er vor seiner Niederlage am Masters Turnier von Indian Wells im März.

“Meine Motivation ist so stark wie eh und je und wird so bald nicht verschwinden, das steht fest. Für mich heisst das: die Spiele, die Auseinandersetzung mit dem Gegner auf dem Center Court, die Fans, die Aufregung.”

swissinfo, Thomas Stephens
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Die Schweiz richtet zwei ATP Turniere aus: das Allianz Suisse Open und das Davidoff Swiss Indoors. Beide gehören zur internationalen Serie der ATP, die rangmässig unter der ATP Masters Serie liegt.

Die neun Masters Turniere sind für die Topspieler obligatorisch und werden punkto Prestige nur gerade von den vier Grand Slam Events übertroffen.

Das Allianz Suisse Open findet seit 1915 im renommierten Bergkurort Gstaad, dieses Jahr vom 7.-15. Juli, statt. Titelverteidiger ist der Franzose Richard Gasquet.

Federer gewann das Allianz Suisse Open 2004, doch weil das Turnier in der Woche nach Wimbledon stattfindet, hat er es aus seinem Kalender gestrichen.

Das Davidoff Swiss Indoors findet seit 1970 in Basel, der Heimatstadt von Titelverteidiger Roger Federer statt – in diesem Jahr vom 20.-28. Oktober.

Der Davis Cup, 1900 erstmals ausgetragen, ist der wichtigste internationale Mannschaftswettkampf im Männertennis. 2005 beteiligten sich 134 Länder am Davis Cup.

Es gibt fünf ‘Ligen’ die oberste davon ist die Weltgruppe mit 16 Nationen, die den Cup unter sich ausmachen. Die über vier Runden gehende Weltgruppenausscheidung findet an vier Wochenenden im Laufe des Jahres statt.

Jede Begegnung zwischen zwei Ländern findet in einem der beteiligten Länder statt. Die Mannschaften bestehen aus je vier Spielern und werden gemäss einem von der Internationalen Tennisföderation bestimmten Rankingverfahren, unter Berücksichtigung der Resultate in den Vorjahren, gesetzt.

In der Rangliste vom 17. Mai 2007 rangiert die Schweiz auf Platz 17 – ein Rang unterhalb der Weltgruppe. Sie trifft Ende September in einem wichtigen Ausscheidungsmatch auf die Mannschaft aus der tschechischen Republik, die den 15. Platz belegt.

Die Schweiz hat den Davis Cup bisher nie gewonnen. Sie stand 1992 erstmals im Final, unterlag dort jedoch den USA. Gegenwärtiger Titelverteidiger ist Russland.

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