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Der Gotthard als Fluch und Segen

Der Gotthard-Strassentunnel hat die Schweiz verändert: "Es war einmal ..." Keystone

Am 5. September 1980 - vor 25 Jahren - wurde der Gotthard-Strassentunnel eröffnet. Die wichtigste Schweizer Alpentransitachse.

Seit der Eröffnung ist insbesondere der Schwerverkehr explosionsartig angewachsen. Der Gotthard wurde zum Symbol für den Konflikt zwischen Mobilität und Umwelt im Alpenraum.

Das Jubiläum wird nicht einmal richtig gefeiert. Kein Champagner, keine Festansprachen. Nur ein Tag der Offenen Tür an den Werkhöfen von Airolo und Göschenen am Samstag.

“Der erreichte Meilenstein ’25 Jahre Gotthard-Strassentunnel’ gleicht eher einem Boxenstopp, um aufzutanken, Räder zu wechseln, Scheiben zu reinigen und weiter geht die Reise ohne Panne, ohne Störungen”, sagt Betriebsleiter Walter Steiner vom Werkhof Göschenen.

Tatsächlich. Die Blechlawine muss weiter rollen. Und wird immer grösser. Durchquerten 1981, im ersten vollständigen Betriebsjahr nach der Eröffnung drei Millionen Fahrzeuge die Röhre, waren es 2004 gut sechs Millionen Fahrzeuge.

Der Anteil des Schwerverkehrs vervierfachte sich sogar. Mehr als 5000 LKW am Tag waren durchaus der Regelfall, bis es am 24. Oktober 2001 zum tragischen Brandunfall kam, bei dem zwei Camions im Tunnelinneren kollidiert und in der Folge elf Menschen gestorben waren.

Trendwende nach Unfall

Der schwerste Unfall in der Tunnelgeschichte leitete eine kleine Trendwende ein: Dosier- und Tropfenzählersystem limitieren inzwischen die Durchfahrten der Brummis.

Gleichwohl bleibt die Autobahn mit dem Gotthard-Tunnel die wichtigste Schweizer Achse im Alpentransit. Es ist die schnellste Verbindung zwischen Süddeutschland und der Lombardei. Dies hat – wie schon im Fall der 1882 eröffneten Gotthard-Eisenbahn – beträchtliche Warenströme zur Folge.

“Kein Korridor für den Schwerverkehr”

Dabei hatte Verkehrsminister Hans Hürlimann bei der feierlichen Eröffnung am 5. September 1980 gesagt: “Der Tunnel ist kein Korridor für den Schwerverkehr.” Doch da hatte er sich gründlich getäuscht.

“Die Entwicklung zeigt, dass dies eine der grössten politischen Fehleinschätzung der letzten Jahrzehnte war,” kommentiert heute der Urner Ständerat Hansruedi Stadler.

Identitätsverändernd

Der erste Spatenstich war am 5. Mai 1970 erfolgt. Bis zu 800 Arbeiter standen im Einsatz, sie brachen 1,6 Mio. Kubikmeter Fels aus dem Berg, 19 Mineure kamen bei Unfällen ums Leben. Die Kosten für das Bauwerk beliefen sich auf 686 Mio. Franken. Nach gut 10 Jahren Bauzeit, am 5. September 1980, rollte das erste Auto durch den Tunnel.

Der neue Gotthardtunnel war aber weit mehr als nur eine neue Verkehrsachse. “Er hat die Identität des Tessins und der Tessiner radikal verändert”, sagt etwa Marco Solari, der damals Direktor des Tessiner Verkehrsvereins war.

Das Gefühl einer isolierten Randregion wandelte sich zusehends in ein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit der restlichen Schweiz. Und umgekehrt: Das Tessin und Norditalien rückten näher an die deutsche Schweiz.

“Die Deutschschweizer haben diese kulturell reichen Gegenden entdeckt; das hat etwa die Akzeptanz der italienischen Emigranten wesentlich verbessert”, sagt Solari. Im Tessin sorgte der Gotthardtunnel für einen Boom im Tourismus- und Immobiliensektor. Das Ferienhäuschen im Tessin: Ohne Gotthard-Strassentunnel kaum denkbar.

Segen oder Fluch?

Die Kehrseite dieser Entwicklung bekam vor allem der Kanton Uri zu spüren. Kilometerlange Staus auf den Rampen und vor den Portalen gehören zum Bild vom Gotthard, vor allem während der Feriensaison.

“Wir profitieren vom ‘Segen’ des Gotthards, indem er Arbeitsplätze schafft und uns gute Verbindungen bringt. Aber auch den ‘Fluch’ des Gotthards spüren wir, wenn ich an die immer noch zunehmende Verkehrslawine und deren Belastungen denke,” sagt Ständerat Stadler.

“Das Verkehrswachstum hat für die Umwelt und die Menschen an den Transitachsen verheerende Auswirkungen gehabt und hat diese heute noch”, meint Alf Arnold, Geschäftsführer der Alpeninitiative.

Alpeninitiative und LSVA

Die Entwicklung am Gotthard hat das verkehrs- und umweltpolitische Denken der Schweiz in den letzten 15 Jahren in der Tat entscheidend geprägt. “Ohne Gotthard-Strassentunnel hätte es keine Alpeninitiative gegeben”, bringt es der Ökonom Rico Maggi auf den Punkt.

Tatsächlich nahm das Volk am 20.Februar 1994 überraschend die Alpeninitiative an, die den Ausbau der Transitstrassen im Alpenraum verbot und das Ziel der Verlagerung des alpenquerenden Gütertransports auf die Schiene in der Verfassung verankerte.

Auch mit einem Ja zu den neuen Alpentransversalen (Neat) der Bahn und zur Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) untermauerte das Schweizer Volk die Verlagerungspolitik.

Zweite Röhre: Avanti

Trotzdem blieben politische Vorstösse nicht aus, die Kapazität der Gotthard-Autobahn zu erhöhen. Vor allem das Transportgewerbe sieht im Gotthard-Tunnel nach wie vor ein gefährliches Nadelöhr, das es durch den Bau einer zweiten Röhre zu beseitigen gelte.

Mit dem Gegenvorschlag zur so genannten Avanti-Initiative kam dieses Anliegen vors Stimmvolk, wurde aber im Februar 2004 von 62,8 Prozent der Stimmenden bachab geschickt. Damit ist der Verdoppelung des Tunnels ad acta gelegt – zumindest für die kommenden Jahre.

swissinfo, Gerhard Lob, Göschenen und Airolo

Länge Gotthard-Tunnel: 16’918 Metern (bis 2000 längster Strassentunnel der Welt)
Baubeginn: 5. Mai 1970
Eröffnung: 5. September 1980
Durchfahrten: über 130 Mio. Fahrzeuge
Baukosten: 686 Mio. Franken
Jährliche Betriebskosten: 12 Mio. Franken
Unfälle seit Eröffnung: 875 (Stand Ende 2004), dabei 30 Todesopfer
Schlimmster Unfall mit 11 Toten am 24.Oktober 2001

Vor 25 Jahren – am 5. September 1980 – wurde der Gotthard-Strassentunnel in Betrieb genommen. Er hat sich –analog zur Gotthard-Eisenbahn – zur wichtigsten Schweizer Alpentransitachse auf der Strasse entwickelt.

Der Gotthard-Strassentunnel hat die Regionen einander näher gebracht und insbesondere die geografische Isolierung des Tessins aufgehoben.

Die rasante Verkehrsentwicklung, vor allem beim Schwerverkehr, hat aber ihre Schattenseiten. Die Stimmbürger haben sich wiederholt dafür ausgesprochen, die Kapazität auf den Transitstrassen im Alpenraum zu limitieren und den Schwerverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern. Die Forderung nach einer zweiten Gotthard-Röhre scheiterte 2004 an der Urne.

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