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Der Mann, der Dopingsünder entlarvt

Keystone

In Peking steht Martial Saugy nicht im Rampenlicht. Der ehemalige Leichtathlet und Biochemiker spielt dennoch eine wichtige Rolle: Als Direktor des Dopinganalyse-Labors in Lausanne.

Der Aufstand der Tibeter, das verheerende Erdbeben in Sichuan: Im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking spricht alle Welt über Menschenrechte und Soforthilfe. Nicht über Doping.

Dabei hatten Experten Befürchtungen geäussert, dass China die chemische Keule schwingen könnte, damit seine Athleten bei den “Heimspielen” zum Ruhm der Volksrepublik Goldmedaillen gewinnen.

Doping hat Olympia unterwandert. Dies wurde der Öffentlichkeit spätestens 1988 bewusst, als Ben Johnson in Seoul Gold und Weltrekord über 100 Meter holte, drei Tage später aber als steroid-getriebene Sprintrakete aufflog.

Athen 2004 hatte seinen Skandal, als die griechischen Sprinter Ekaterini Thanou und Kostas Kenteris auf dem Motorrad vor den Dopingjägern die Flucht ergriffen – verweigerte Probe gleich positive Probe.

Martial Saugys Brot ist es, Dopingsünder zu entlarven. Er glaubt aber nicht, dass Peking chinesische “Geisterathleten” hervorbringen wird, wie er im Gespräch mit swissinfo sagt.

swissinfo: Usain Bolt verbesserte jüngst beim Weltrekord über 100 Meter seine bisherige Bestzeit um 31 Hundertstel. Ist ein solcher Exploit ohne Dopingverdacht erklärbar?

Martial Saugy: Eine solche Steigerung auf diesem Niveau macht mich perplex, das sage ich auch als ehemaliger Leichtathlet. Umso mehr, als die Wetterbedingungen alles andere als ideal waren und die Tartanbahn offenbar richtiggehend unter Wasser stand.

Im Kampf gegen Doping müssen wir uns zunehmend für die Leistungen und Leistungssteigerungen interessieren, die aussergewöhnlich sind. Ein Mittel dagegen ist das Target Testing (gezielte Kontrollen, die Red.).

swissinfo: Wieso gab es in letzter Zeit fast nur Weltrekorde über 100 Meter, kaum in anderen Disziplinen?

M.S.: Richtig, punkto Weltrekorde hat der Sprint die Ausdauer-Disziplinen abgelöst. Wir waren darüber lange im Ungewissen. Jetzt beobachten wir, dass Doping-Medikamente, die vor allem dem Ausdauer-Bereich zugeordnet wurden, auch von Sprintern genommen werden.

EPO beispielsweise haben wir nie bei Sprintern gesucht. Das Hormon erhöht die Laktat-Toleranz (die Muskeln übersäuern später) und fördert die Erholung, so können die Athleten härter trainieren.

Sprint-Doppelweltmeisterin Kelly White, die 2003 wegen anderer Substanzen erwischt worden war, hat bestätigt, dass EPO eine der Grundlagen ihrer Vorbereitung gewesen war. Wir müssen Dopingmittel also vermehrt auch da suchen, wo wir sie nicht vermuten.

swissinfo: Könnte der 100-Meter-Weltrekord der Auftakt zu einer Rekordserie an den Olympischen Spielen in Peking sein?

M.S.: Bolts Rekord kommt für mich völlig unvermittelt. Aber ich glaube nicht, dass wir in Peking viele Weltrekorde sehen werden.

swissinfo: Werden die Olympischen Spiele in Peking “ihr” Dopingmittel hervorbringen, analog dem Ausspruch: Jedem Krieg seine Droge?

M.S.: 2004 in Athen hatte man geglaubt, dass es das Gen-Doping und die Gen-Therapie sei. Die Fortschritte bei der Entwicklung halte ich aber für zu gering, als dass Athleten die Risiken eingehen würden.

Ich gehe vielmehr davon aus, dass Athleten einen “Cocktail” von Dopingsubstanzen anwenden. Diese wirken einerseits direkt leistungsfördernd, lösen andererseits eine endogene Hormonproduktion im Körper aus. Hier haben vielleicht einige Athleten die Lösung gefunden, ihre Leistung zu steigern.

swissinfo: Laut der Doping-Expertin Ines Geipel, eine ehemalige ostdeutsche Sprinterin, soll Gen-Doping bereits angewendet werden.

M.S.: Der Begriff Gen-Doping umfasst ein weites Feld. Spricht man von Substanzen, die im Körper die Produktion eines Hormons bewirken, halte ich das heute für wenig wahrscheinlich.

Anders sieht es beim “Bio-Engineering” aus. Da kommen Produkte zur Anwendung, die aus der Biotechnologie abgeleitet werden und die nie als Medikament auf den Markt gekommen sind.

swissinfo: China boomt, auch im Pharmasektor. Welche Rolle spielt China als Produzent von Dopingsubstanzen?

M.S.: Darüber gab es Gespräche mit den chinesischen Behörden. Involviert war auch die Welt-Antidoping-Agentur (Wada).

Bei der Herstellung von Basisprodukten, die anschliessend in anderen Länder weiterverarbeitet werden, gehört China klar zu den ganz Grossen. Das besagen die Zollstatistiken aber auch die Beteiligten am Kampf gegen Doping und den illegalen Handel mit Doping-Produkten.

swissinfo: Sehen wir in Peking chinesische Goldmedaillen-Gewinner, die aus dem nichts kommen? Wie 1993 an der WM in Stuttgart, als chinesische Läuferinnen acht Medaillen abräumten?

M.S.: Es gibt Experten und Vertreter von Sportverbänden, die das befürchten. Der chinesische Leichtathletikverband schafft auch nicht unbedingt Vertrauen, wenn er die Qualifikationen für die Spiele erst Ende Juli durchführt.

Ich aber glaube nicht daran. Angesichts Chinas Öffnung für den Weltmarkt wäre es ein schlechtes Marketing, wenn chinesische Athleten gewisse Disziplinen dominieren würden.

Klar wollen sie konkurrenzfähig sein. Das liegt ja auch im Interesse des Sports. Die Situation ist aber völlig anders als bei der WM 1993.

swissinfo: Zu Ihrer Arbeit als Doping-Jäger: Was bringt der Athleten-Pass, für den Sie sich stark machen?

M.S.: Die Methoden zum direkten Nachweis illegaler Substanzen haben ihre Grenzen, vor allem wegen des engen Zeitfensters, innerhalb dessen Doping nachgewiesen werden kann. Es ist schwierig, den richtigen Moment zu erwischen.

Der Pass erfasst und zeigt den Athleten in einem Langzeit-Profil. Abweichungen können sehr rasch entdeckt werden, unabhängig vom Zeitpunkt von Tests. Für den Athleten wird es schwierig sein, sich systematisch in einem Grenzbereich der gemessenen Parameter zu bewegen. Will er betrügen, müsste er alle Parameter manipulieren.

Es gibt einfache Parameter wie der Hämatokrit und Hämoglobin oder die Zahl der Blutzellen, dann auch Testosteron und Wachstumshormone.

Wachstumshormone (HGH) etwa beeinflussen zahlreiche körpereigene Parameter, weil sie sich auf zahlreiche Produkte des Stoffwechsels auswirken. Gleiches gilt für Steroide. Die Stoffwechsel-Produkte können Doping verraten, wie sie eine Krankheit anzeigen.

swissinfo: Die Doping-Jäger hinken der Entwicklung neuer Doping-Produkte zwei oder drei Schritte hinterher. Was ist Ihre Motivation für diesen ungleichen Kampf?

M.S.: Ich glaube nicht an die Medikamentisierung der Gesellschaft. Diese darf nicht glauben, dass sie alle Probleme in Alltag und Beruf – dazu gehört auch der Sport – mit Substanzen lösen kann.

Ich bin ein Sportfan, und ich trinke an festlichen Anlässen auch gern ein Glas Wein. Aber ich nehme keine Amphetamine, damit ich mich morgens besser fühle. Ich will auch nicht, dass meine Kinder etwas nehmen müssen, wenn sie Sport treiben wollen.

swissinfo-Interview: Renat Künzi

Das LAD ist eines von 34 Referenzlabors der Weltagentur gegen Doping (Wada).

LAD-Leiter Martial Saugy untersucht mit rund 20 Mitarbeitern die doppelt erhobenen Proben (A- und B-Probe) auf verbotene Substanzen und Praktiken.

Das Lausanner Labor ist spezialisiert auf den Nachweis von EPO, Wachstumshormonen, Testosteron oder Blutdoping.

In Peking wird das Lausanner Labor durch einen Spezialisten für Bluttransfusionen und Wachstumshormone vertreten sein, der als Laborexperte fungieren wird.

Martial Saugy ist wissenschaftlicher Berater von Antidoping-Kommissionen mehrerer internationaler Sportverbände wie Fifa, Uefa (Fussball), Iaaf (Leichtathletik) und UCI (Radsport).

Während der Fussball-EM im Juni in der Schweiz und Österreich wurden pro Match zwei Spieler getestet. Die Auswertung der 124 Proben erfolgte in Lausanne.

Zu den Olympischen Spielen vom 8. bis 24. August 2008 in Peking bringt swissinfo News, Porträts der Schweizer Stars, Interviews und Hintergründe über und aus China.

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