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Der nackten Lust am Wandern den Garaus machen

Nur mit Rucksack und Wanderschuhen durch die verschneiten Berge. C. Bangert/laif

Appenzell Innerrhoden verbietet das Nacktwandern, was im In- und Ausland für Schmunzeln sorgt. Der Kabarettist Simon Enzler hat noch nie einen nackten Wanderer gesehen und ist überzeugt: Auch Murmeltier und Gämse würden grosse Augen machen.

swissinfo: Wieso will der kleinste Kanton der Schweiz das Nacktwandern verbieten?

Simon Enzler: In den letzten Monaten sind mehrere solche Fälle beobachtet worden. Gewisse Leute fühlen sich gestört. Jetzt muss irgendwie eine Handhabung geschaffen werden.

Offenbar ist es eine Tatsache, dass Menschen im Adamskostüm durch Wälder und Höhen wandern wollen. Ich habe im Südtirol auch schon Leute beobachtet, die sich auf einem Hügel “oben ohne” gesonnt haben. Mir persönlich ist das egal. Ich weiss, wie die Menschen aussehen.

Aber es gibt auch verschlossenere Menschen, die verklemmter sind als andere. Und man muss für die Allgemeinheit schauen, nicht für den Einzelfall.

swissinfo: Was ist störend daran, wenn sich ein paar Nackedeis zwischen Murmeltieren und Appenzeller Rindvieh tummeln?

S.E.: Vorauszuschicken ist, dass man ja die Murmeltiere und Gämsen nicht fragt, ob sie das stört. Ich kann mir vorstellen, dass sie auch grosse Augen machen würden.

Ich persönlich bin etwas gespalten. Ich wandere im Sommer viel und gern, habe selber aber noch nie einen Nacktwanderer gesehen. Würde ich es erleben, wäre ich auf jeden Fall überrascht. Ich kenne indirekt nur einen einzigen Menschen, der je einen Nacktwanderer gesehen hat, und das nur von Weitem mit Feldstecher.

Ich kann die Menschen verstehen, die sich daran stören. Es ist ja nicht zufällig, dass die Sauna ein geschlossener Raum ist, der nicht für alle einsehbar ist. Ein normaler Mensch verrichtet sein tägliches Geschäft alleine auf der Toilette, bei geschlossener Türe. Nacktheit bedeutet für den Durchschnittsmenschen Intimität.

swissinfo: Empört sich der Durchschnitts-Appenzeller wirklich an einer Handvoll hüllenloser Wanderer?

S.E.: Nein, ich glaube nicht. Der Durchschnitts-Appenzeller lacht, wie der Durchschnittsschweizer auch. Auf der anderen Seite muss man all jene fragen, die jetzt den kleinsten Schweizer Kanton belächeln, ob sie, zum Beispiel die Berner, es goutieren würden, wenn auf ihrem Hausberg, dem Gurten, nackte Menschen umher wanderten.

swissinfo: Sind Nacktwanderer verkappte Exhibitionisten und eine Gefahr für Kinder?

S.E.: Das glaube ich nicht. Aber die Angst besteht. Jemand hat mir gegenüber vor Kurzem die Befürchtung geäussert, dass sich irgendwann Pädophile unter den Nacktwanderern verstecken könnten. Meiner Meinung nach verstecken sich diese jedoch hinter dem Computer.

swissinfo: Haben Sie auch schon Lust gehabt, als “naked walker” im Alpstein zu wandern?

S.E.: Nein, ich bin kein Sonnenanbeter. Allenfalls in der Dämmerung oder in einer Vollmondnacht könnte ich es mir vorstellen, wenn ich eine gewisse Intimsphäre hätte. Aber am Tag bei schönem Wetter nackt zu wandern – da bin ich froh, wenn ich mein T-Shirt und meine Wanderhose habe und ich mich nicht eincrèmen muss.

swissinfo: Handelt es sich bei dieser Vorlage möglicherweise um eine gewitzte und kostengünstige Tourismus-Kampagne für die Appenzeller Bergwelt?

S.E.: Ich glaube nicht, dass das bewusst so gemacht wird. Es sind ja nicht die Appenzeller, die nackt wandern, sondern es gibt eine Community, die vor allem aus Deutschland stammt.

Appenzell reagiert nur – und die Medien springen auf. Das Appenzell kann für einmal nichts dafür, dass über das Thema berichtet wird, das offensichtlich interessant und auch amüsant ist.

swissinfo: Könnte es sein, dass die Touristen ausbleiben, weil sie Angst vor den nackten Wanderern haben?

S.E.: Wohl kaum. Da glaube ich eher an den positiven Effekt, dass man ins Alpsteingebiet kommt und vielleicht, so es das Glück will, nebst einem Murmeltier irgendein Nackedei sichtet.

Dass für diese “freie Körperkultur” gerade der Appenzell IR ausgelesen wurde, ein sehr traditioneller und katholischer Kanton, ist eine schöne Koinzidenz, finde ich. Man könnte ja auch im weniger besiedelten Graubünden wandern.

Die Appenzeller haben einen sehr starken Tourismus, zu stark für meinen Geschmack. So freizügig wie die Nackedeis mit ihrem Körper umgehen, so freizügig tragen die Appenzeller manchmal ihre Kultur zu Markte.

swissinfo: Der Kanton Appenzell schaffte es mit dem Thema Nacktwandern gar in die New York Times. Macht das einen Appenzeller stolz?

S.E.: Er ist überrascht. Die Appenzeller machen nicht bewusst einen Marketing-Gag aus der Sache, und an der Landsgemeinde wird kein Nacktwander-Geschäft behandelt. Es geht um die Revision des Übertretungsstrafgesetzes, das Littering, Lärmbelästigung in der Nacht – und eben auch Nacktwandern betrifft.

Aus einem Antragsdelikt soll ein Offizialdelikt gemacht werden, wo die Polizei Bussen verteilen kann, wie beim Falschparkieren. Dort klemmt man die Busse hinter die Scheibenwischer – die Frage ist nur, wohin damit bei den Nacktwanderern?

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Landsgemeinde

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Landsgemeinde ist eine der ältesten und einfachsten Formen der Schweizer Direktdemokratie. Alle Wahl- und Stimmfähigen eines Kantons versammeln sich einmal jährlich unter freiem Himmel zur Wahl der Regierung (Appenzell Innerrhoden) und zur Verfassungs- und Gesetzgebung oder Festsetzung des Steuerfusses (Appenzell Innerrhoden und Glarus). Sie tun dies durch Aufheben der Hand oder des Stimmrechtsausweises. Diese…

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swissinfo: Sie haben das Thema Nacktwandern in ihr Programm aufgenommen – der perfekte Stoff für einen Kabarettisten?

S.E.: Er drängt sich natürlich auf. Und wenn ein Appenzeller Kabarettist zum Nacktwandern nichts zu sagen hat, finde ich es tragisch. Wenn ich auf der Bühne diese Nummer bringe, braucht es zwei Sätze, und die Leute sind mitten drin in diesem aktuellen Thema.

Die Geschichte habe ich vor etwa einem halben Jahr geschrieben, als es die ersten Übertretungen gab. Dann kam der lange Winter. Nichts mit Nacktwandern. Auf die Premiere war dieses Thema wieder extrem präsent in den Medien, quasi eine Fügung des Schicksals.

Jetzt ist die Tournee am Rollen, und über das Thema wird auch international berichtet – schöner kann es für einen Kabarettisten nicht sein.

swissinfo-Interview, Gaby Ochsenbein

Die Landsgemeinde von Appenzell Innerrhoden hat am 26. April als weltweite Premiere das Nacktwandern verboten.

Sie erklärte dieses diskussionslos und mit grosser Mehrheit zum Offizialdelikt.

Das in der FKK-Szene angepriesene Nacktwandern im Alpstein wird demnach künftig mit 200 Franken gebüsst.

Das von der Landsgemeinde beschlossene Gesetz verstosse gegen das Bundesstrafgesetz, da es seit 1992 keinen Sittenparagraphen mehr gebe. Nackt sein sei vielleicht ein Ärgernis, aber nicht strafbar, sagen die einen.

Anders sehen dies die Gegner dieser “Natursportart”. Die Kantone seien durchaus berechtigt, ein solches Verbot zu erlassen.

Gut möglich, dass das Bundesgericht in dieser Frage das letzte Wort haben wird.

Geboren 1976 in Appenzell.

Seine Kabarettisten-Karriere begann er als Gymnasiast. Ab 1996 trat Enzler zusammen mit seinem heutigen Bühnenpartner, dem Musiker Daniel Ziegler, unter dem Namen “Intellenten” in geschlossener Gesellschaft auf. Nach der Matura erfolgte 1999 der erste öffentliche Auftritt.

Zusammen mit Martin Walker gründete er die Kleinkunst-Agentur “Bretterwelt”, im Jahr 2000 die Appenzeller Kabarett-Tage.

2003 schaffte er mit einem Auftritt im Casino-Theater in Winterthur den nationalen Durchbruch.

Nährboden für Enzlers Mundart-Geschichten ist das Appenzellerland. Pro Jahr tritt er rund 100 Mal auf.

2007 erhielt er den Salzburger Stier, die höchste Auszeichnung in der Sparte Kabarett im deutschen Sprachraum.

Zudem wurde er mit dem Prix-Walo 2008 in der Kategorie Kabarett/Comedy ausgezeichnet.

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